Der Wechsel von einer festen Vollzeitposition zu einer Fractional-Rolle ist für viele Führungskräfte und Spezialisten ein großer Schritt hin zu mehr Flexibilität, Vielfalt und Selbstbestimmung. Doch gerade dieser Übergang birgt eine häufig unterschätzte Gefahr: Die Versuchung oder gar der Druck, wieder in die alten Aufgaben und Routinen hineinzugeraten, die man eigentlich bewusst hinter sich lassen wollte. Der Wunsch, das Unternehmen weiterhin zu unterstützen, resultiert oft in einem schleichenden Rückfall in die frühere Rolle – ganz ohne festes Beschäftigungsverhältnis, dafür aber zu deutlich schlechteren Konditionen. Um diese Falle zu vermeiden, bedarf es einer klaren Strategie und einer bewussten Abgrenzung gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber. Nur so lässt sich die neue Position als Fractional Executive oder Berater nachhaltig erfolgreich gestalten und monetarisieren.
Gerade in Führungspositionen hinterlässt man beim Verlassen oft eine große Wissens- und Verantwortungslücke. Man kennt interne Prozesse, ausschlaggebende Entscheidungen und nicht selten auch komplexe Problemfelder, die anderen verborgen bleiben. Deshalb reagieren Unternehmen verständlicherweise oft mit dem Wunsch, eine „Rettungsleine“ in Form von Beratungsarbeiten, Retainern oder Projektmandaten anzubieten. Auf den ersten Blick klingt dies verlockend. Fluide Zeitmodelle, gelegentliche Honorare und eine scheinbar einfache Übergabephase sind attraktiv, zumal man den Schritt des Ausstiegs ja bereits gewagt hat.
Doch schnell zeigt die Erfahrung, dass es genau so einfach nicht ist. Ohne klare Vereinbarungen und eine wohldurchdachte Struktur gleichen solche Arrangements oft einem Teilzeitjob ohne Sozialleistungen und mit unsicherem Einkommen. Zudem bindet man kostbare Zeit und geistige Ressourcen, die eigentlich in neue, eigenständige Projekte einfließen sollten.Eines der ersten und wichtigsten Elemente bei der Gestaltung eines erfolgreichen Übergangs ist das präzise Definieren des Umfangs der Zusammenarbeit. Grundsätzlich unterscheiden sich die Gründe, weshalb ehemalige Mitarbeiter in Beratung oder als Fractional Ressource eingebunden werden, erheblich.
Manchmal geht es darum, dem Nachfolger oder dem neuen Team Kontextwissen zu vermitteln. In anderen Fällen ist die Aufgabe, den Betrieb stabil zu halten, bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger eingearbeitet ist. Wiederum andere Situationen verlangen eine Bereitschaft für Notfälle, wenn unvorhergesehene Probleme auftreten – etwa wenn „Leichen im Keller“ entdeckt werden. Schließlich kann eine emotionale Komponente eine Rolle spielen: Der ehemalige Verantwortliche kann sich nur schwer von seiner Rolle lösen und möchte weiterhin eingebunden bleiben. Jede dieser Optionen erfordert jedoch ein anderes Modell der Zusammenarbeit und eine unterschiedliche Preispolitik.
Ein verbreiteter Irrtum ist, einen Retainer mit einem Vorabzahlungspaket für eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden gleichzusetzen. Die meisten Unternehmen neigen dazu, Vereinbarungen auf Basis eines stundenbasierten Modells zu treffen, das regelmäßig dokumentiert, gemessen und kontrolliert wird. Das fühlt sich im Kern wie eine Teilzeitstelle an, nicht wie eine beratende Retainer-Vereinbarung. Ein echter Retainer unterscheidet sich davon grundlegend. Er wird idealerweise im Voraus entrichtet, erfolgt zu einem Pauschalpreis und verzichtet bewusst auf aufwändige Zeitnachweise.
Es geht nicht darum, die Zeit zu verkaufen, sondern um den Zugriff auf Ihre Expertise. Darin liegt der wesentliche Vorteil: Man „vermietet“ einen Platz im eigenen Wissen und in der Erfahrung, gibt Zugang, keine festen Deliverables. Dabei werden auch klare Reaktionszeiten vereinbart – niemals 24/7, sondern definiert beispielsweise nächster Werktag. Es wird also nicht eine permanente Verfügbarkeit verkauft, sondern ein sicherer Zugang zur Unterstützung, wenn sie tatsächlich gebraucht wird.Ein weiterer Punkt, der viele in die Falle lockt, ist die Übernahme von Projektarbeit nach dem Austritt.
Für viele Menschen ist es einfach vertraut, an bekannten Systemen, Produkten oder Prozessen weiterzuarbeiten. Das heißt für den ehemaligen Mitarbeiter: Bekanntes Umfeld, bekannte Abläufe, schneller Einstieg, einfachere Leistungserbringung und daher oft auch einfachere Abrechnung. Der Haken liegt darin, dass genau diese Art der Umsetzung Sie wieder in Ihre alte Rolle zurückversetzt – Sie werden zu einer verlängerten Werkbank des Unternehmens, als dessen ehemaliger Mitarbeiter mit deutlich weniger Vorteilen oder Rechte. Ziel einer Fractional-Rolle ist jedoch gerade die Trennung und das Etablieren einer neuen beruflichen Normalität. Projektimplementierung und operative Tätigkeiten sollten Sie deshalb klar abgrenzen oder vollständig delegieren.
Eine mögliche Ausnahme besteht darin, diese Leistungen für andere Kunden zu erbringen, aber eben nicht für den ehemaligen Arbeitgeber. Dort sollten Sie nur beratend und strategisch tätig sein, niemals als ausführende Kraft. Denn jede Stunde, die Sie im operativen Geschäft investieren, bedeutet verlorene Zeit für den Aufbau neuer Kunden und Projekte sowie einen Anreiz für das Unternehmen, noch keinen neuen Mitarbeiter einzustellen.Eine wohlüberlegte, klare Zeitbegrenzung und Abgrenzung sind ebenso essenziell, um nicht in eine dauerhafte „Ersatzrolle“ zu geraten. Jeder offene Vertrag ohne festgelegte Laufzeit gefährdet Ihre Unabhängigkeit und hemmt den Fortschritt bei Ihrer beruflichen Neuorientierung.
Bewährt hat es sich, den Beratungsvertrag als Brücke zu verstehen. Typische Laufzeiten von drei bis sechs Monaten lassen genug Raum für die Übernahme neuer Aufgaben im Unternehmen durch Dritte und bieten gleichzeitig Planungssicherheit für Sie. Innerhalb dieser Zeiträume sollten feste Pauschalpreise gelten, die im Voraus zu entrichten sind. Der Umfang ist genau definiert und auf wesentliche Beratungs- oder Unterstützungsthemen beschränkt. Das schließt auch klare Reaktionszeiten und die Möglichkeit einer anschließenden Neuverhandlung oder Beendigung des Engagements ein.
Dabei sollte Flexibilität nur gegen angemessenen Preisaufschlag gewährt werden.Häufig wird zwischen zwei klassischen Retainer-Modellen unterschieden: dem Advisory- und dem Insurance-Ansatz. Advisory-Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass Sie regelmäßig und strategisch mitwirken. Sie stehen im fortlaufenden Kontakt mit dem Team, bieten proaktive Impulse, unterstützen durch Expertise und geben Leitplanken für wichtige Entscheidungen. Ihr Engagement auf diesem Level ist eher strategisch als operativ und bildet somit einen Mehrwert, ohne Sie in hineinziehende operative Routinen zu verwickeln.
Das Insurance-Modell hingegen ist deutlich «leichter» und beschränkt sich auf eine reine Bereitschaft im Ernstfall. Das Unternehmen zahlt dafür, dass Sie im Hintergrund sind und im Problemfall einspringen. Kontakt entsteht nur reaktiv. In der Praxis kommen oft Mischformen dieser beiden Modelle vor – ebenfalls möglich, wenn die Struktur und das Preisniveau klar definiert bleiben. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, dass neben den Erwartungen auch die Grenzen klar kommuniziert werden, um nicht zur dauerhaften Allzwecklösung unter Wert zu werden.
Zur Verdeutlichung kann man sich ein Angebot vorstellen, das einen strategischen Advisory-Retainer auf Premium-Niveau umfasst. Dabei bleibt die eigene Rolle als ehemaliger CTO oder leitender Mitarbeiter sichtbar, Sie beteiligen sich proaktiv an Teamsitzungen und stellen sicher, dass Ihr Wissen gewinnbringend eingesetzt wird. Slack-Zugang, regelmäßiger Austausch und eine garantierte Reaktionszeit sind Teil des Pakets. Das Gegenstück dazu wäre ein leichteres Insurance-Paket mit monatlichen Check-Ins und der Verfügbarkeit für dringende Fälle. Die Abrechnung erfolgt stets als Pauschale mit klaren Zahlungsritualen.
Solche Modelle schützen vor unbezahlter Mehrarbeit und verhindern preisliche Verhandlungen auf Basis von Zeitaufwand. Sie verbessern gleichzeitig die Planbarkeit und professionalisieren die Zusammenarbeit erheblich.Eine besondere Stärke in der Zusammenarbeit liegt in der Flexibilität und Individualisierung solcher Retainer. Sie sind keine starren Formeln, sondern Anpassungen auf Grundlage von Bedürfnissen, Verfügbarkeiten und gewünschtem Umfang sollten immer möglich sein. Auch Erreichbarkeit über Wochenende oder schnellere Reaktionszeiten können angeboten werden – jedoch immer verbunden mit einer angemessenen Preisanpassung.
Diese Vorgehensweise verhindert unangenehme Verhandlungen und erlaubt gleichzeitig, den Wert der eigenen Dienstleistung richtig zu kommunizieren. Statt über den Preis zu diskutieren, verlagert sich die Argumentation auf den Umfang der Leistungen.Ganz wichtig ist es auch, bewusst Nein sagen zu können. Nur weil das ehemalige Unternehmen anfragt oder Ihnen eine „Honorarstelle“ anbietet, sind Sie nicht verpflichtet, diese zu akzeptieren. Umgekehrt sollten Sie auch keine Nachlässe als Freundschaftsdienst oder aus zu großer Loyalität gewähren.
Der Wechsel in die Fractional-Rolle ist ein Gewinn an Freiheit und Gestaltungsspielraum. Das verpflichtet nicht, alte Lasten auf sich zu nehmen oder unter Wert zu arbeiten. Kunden, selbst ehemalige Arbeitgeber, müssen Ihre Leistung wertschätzen und die Geschäftsbeziehung klar regeln. Damit schaffen Sie eine win-win-Situation, in der Sie als Berater oder Fractional Manager nachhaltig wachsen können.Neben diesen vertraglichen und strategischen Aspekten ist ein wesentlicher Punkt, emotional und gedanklich loszulassen.
Häufig fühlt man sich verantwortlich und möchte nicht, dass der Nachfolger scheitert oder das Unternehmen Probleme bekommt. Doch genau solche Verantwortungen halten Sie geistig gefangen und schaffen die Gefahr eines Rückfalls. Die Konzentration sollte darauf liegen, neue Perspektiven zu verfolgen, sich weiterzuentwickeln und das eigene Portfolio zu diversifizieren. Wenn Begleitung erwünscht ist, dann nur auf Ihrer professionellen Basis, nicht aus altem Pflichtgefühl.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Schlüssel zum erfolgreichen Übergang aus einer Vollzeitstelle in eine Fractional-Rolle darin liegt, klare Grenzen zu ziehen, passende und fair bezahlte Modelle zu etablieren und sich nicht in operative oder alte Aufgaben hineinziehen zu lassen.
Bewusste Abgrenzung, professionelle Vertragsgestaltung, strategische Beratung statt Projektarbeit sowie ein gesundes Maß an Gelassenheit und Selbstschutz sind unerlässlich, um nicht erneut in alte Muster zu verfallen. Wer diese Prinzipien beherzigt, legt den Grundstein für eine erfüllende, gewinnbringende und spannende neue Karriere als Fractional Executive oder Berater – mit der Freiheit, die eigene Zeit und Expertise selbstbestimmt einzusetzen und wertzuschätzen.