Desmond Morris ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit, deren Werk die Welten von Zoologie, Kunst und Literatur auf einzigartige Weise miteinander verbindet. Bekannt wurde er vor allem durch sein selbst verfasstes Buch „Der nackte Affe“, das tiefgehende Einblicke in die menschliche Natur aus zoologischer Perspektive bietet. Doch weit weniger bekannt ist seine frühe Karriere als surrealistischer Künstler und Filmemacher, die noch heute faszinieren und überraschen. Sein Leben ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Wissenschaft und Kunst auf unerwartete Weise zusammenwirken können. In den frühen 1950er Jahren war Desmond Morris ein junger Mann voller kreativer Energie.
Während seines Zoologiestudiums an der Universität Birmingham entdeckte er seine Liebe zum Surrealismus. Inspiriert von wegweisenden Filmen wie „Un Chien Andalou“ von Salvador Dalí und Luis Buñuel, wagte er sich selbst an die Produktion eines surrealistischen Kurzfilms namens „Time Flower“. Obwohl heute 97 Jahre alt, hat Morris dieses frühere Werk nun nach Jahrzehnten erstmals wieder öffentlich gezeigt, was einen neuen Blick auf seine künstlerische Vielseitigkeit ermöglicht. „Time Flower“ ist ein zehnminütiger Schwarz-Weiß-Film, der auf den ersten Blick eher unkonventionell wirkt. Er zeigt die Jagd eines Mannes nach einer Frau über einen nebligen englischen Moor, die ganz deutlich symbolhaft verstanden werden kann als Suche nach Liebe, Leidenschaft und inneren Trieben.
Diese Handlung spiegelt nicht nur die übliche Dynamik von Verfolgung und Anziehung wider, sondern auch die tiefen Schichten des Unbewussten, die im Sinne des Surrealismus eine zentrale Rolle spielen. Morris hat den Film nicht nur gedreht, sondern auch die Hauptfigur gespielt, während seine spätere Ehefrau Ramona die Frau verkörperte, die er verfolgte. Das Bild einer wilden Jagd, begleitet von surrealen Fantasien beider Protagonisten, vermittelt eine geradezu hypnotische Energie. Der Faszination des Films liegt in der Verbindung von instinktivem Verhalten und künstlerischem Ausdruck, die auch seine spätere wissenschaftliche Arbeit durchzieht. Ein denkwürdiges Ereignis bei den Dreharbeiten war die Rolle eines wilden Kaninchens, das mitten in einer Verfolgungsszene beeindruckend frei und eigenwillig agierte.
Dass Morris diese Szene trotz der physischen Gefahr für Ramona mit Hingabe verfolgte, unterstreicht die Intensität und Leidenschaft, mit der er sowohl das Leben als auch die Kunst erlebte. Der Übergang von der Kunst zur Zoologie ist bei Desmond Morris kein Bruch, sondern fließend. Seine zoologische Perspektive auf den Menschen zeichnet insbesondere sein Buch „Der nackte Affe“ aus, das erstmals 1967 erschien und schnell zu einem Klassiker der populärwissenschaftlichen Literatur wurde. Darin betrachtet Morris den Menschen als eine Tierart, die trotz kultureller Überlagerungen auf uralte biologische und evolutionäre Wurzeln zurückgreift. Er analysiert menschliches Verhalten – von Sexualität über soziale Interaktion bis zu Kunst und Ritual – mit dem Blick eines Zoologen und öffnet damit neue Dimensionen des menschlichen Selbstverständnisses.
Obwohl Morris betont, dass sein surrealistisches Frühwerk und seine zoologische Forschung getrennte Bereiche darstellen, lässt sich der Einfluss naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf seine künstlerische Ästhetik nicht leugnen. In seinen Nächtens entstandenen Gemälden setzte Morris häufig Tiere und Menschen in absurden, traumähnlichen Situationen in Szene, die die Grenze zwischen Realität und Fantasie verwischen. Diese Bilder sind Zeugnisse seines kompromisslosen Interesses an Instinkten und Verhaltensweisen, das ihn zeitlebens begleiten sollte. In seiner langjährigen Ehe mit Ramona, die er einst für eine seiner mutigsten Filmszenen heiratete, fand Morris eine lebenslange Partnerin, die seine Leidenschaft für das Außergewöhnliche teilte und unterstützte. Ramona war mehr als nur seine Muse; sie war eine kluge, mutige Frau, die zur Co-Autorin einiger seiner Werke wurde und seine Forschung anregte sowie seine künstlerischen Projekte beflügelte.
Ihre Beziehung widerspiegelt ebenfalls die Mischung aus Instinkt, Verstand und Leidenschaft, die in Morris' gesamtem Schaffen eine Schlüsselrolle spielt. Neben seiner schriftstellerischen und künstlerischen Tätigkeit wurde Desmond Morris vor allem als Tierfilmer und Fernsehmoderator bekannt. Seine Fähigkeit, komplexe zoologische Sachverhalte verständlich und faszinierend zu vermitteln, machte ihn zu einer populären Figur in Wissenschaft und Öffentlichkeit. Sein Wirken zeigt, wie wichtig es ist, Brücken zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und alltäglicher Erfahrung zu schlagen. Denn durch solche Verbindungen wird das Verständnis für die Natur des Menschen vertieft und erweitert.
Heute erinnert man sich nicht nur an Morris‘ berühmtestes Buch, sondern entdeckt zunehmend auch seine surrealistischen Arbeiten wieder. Die öffentliche Vorführung seines Films „Time Flower“ im Rahmen des Flatpack-Filmfestivals an der Universität Birmingham rückte die frühe Phase seines kreativen Schaffens in den Fokus der Aufmerksamkeit und demonstrierte seine künstlerische Vielseitigkeit. Trotz technischer Unvollkommenheiten wirkt der Film durch seine emotionale Tiefe und seine irrationale Intensität erstaunlich modern und berührend. Desmond Morris hat die Balance zwischen Rationalität und Irrationalität, Wissenschaft und Kunst auf bewundernswerte Weise gemeistert. In einer Welt, die oft zwischen diesen Polen hin- und hergerissen ist, bietet sein Leben und Werk ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass beides Hand in Hand gehen kann.
Der nackte Affe und der Surrealist – diese scheinbar gegensätzlichen Rollen vereinen sich in ihm zu einer faszinierenden Synthese menschlichen Strebens nach Erkenntnis und Ausdruck. Seine fortwährende Kreativität, die er auch im hohen Alter noch mit Nachdruck pflegt, seine Neugier auf das Leben und seine Offenheit für ungewohnte Perspektiven machen Desmond Morris zu einer prägenden Figur unserer Zeit. Seine vielfältigen Werke laden dazu ein, den Menschen selbst neu zu entdecken – nicht nur als biologisches Wesen, sondern auch als träumendes, liebendes und gestaltendes Individuum. Die Wiederentdeckung von „Time Flower“ und seiner surrealistischen Kunst zeigt, wie aufregend es sein kann, verborgene Facetten seiner Biografie zu erforschen und das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft neu zu würdigen. Desmond Morris ist somit weit mehr als der Autor eines einzigen berühmt gewordenen Buches.
Er ist ein lebendiges Beispiel für die Kraft der Neugier, die gesunde Mischung von Leidenschaft und Wissen sowie die Offenheit gegenüber den vielfältigen Ausdrucksformen menschlichen Lebens. Seine Geschichten, Filme und Bilder werden auch in Zukunft Menschen inspirieren, die Grenzen des Gewohnten zu überschreiten und sich auf fantastische und zugleich wissenschaftlich fundierte Entdeckungsreisen zu begeben.