Die High Arctic Relocation gehört zu den düstersten Kapiteln in der Geschichte der kanadischen Inuit und verdeutlicht, wie politisches Kalkül auf Kosten von Menschenwürde und kultureller Identität durchgesetzt wurde. In den frühen 1950er Jahren, während des Kalten Krieges, entschied sich die kanadische Regierung unter Premierminister Louis St. Laurent, etwa 92 Inuit-Familien aus Inukjuak im Norden von Quebec in extreme und bislang unbewohnte Gebiete im hohen Arktisgebiet umzusiedeln. Diese Maßnahme sollte vor allem der Sicherung der kanadischen Souveränität in der umstrittenen Arktis dienen, doch sie führte zu menschlichem Leid, kultureller Desorientierung und tiefgreifenden Auswirkungen, die bis heute nachwirken. Die Inuit, die zwangsumgesiedelt wurden, stammten ursprünglich aus Regionen, die durch eine nomadische Lebensweise und das Jagen von Rentieren, Fischen und anderen lokalen Ressourcen geprägt waren.
Die Regierung propagierte die Umsiedlung als Chance für diese Familien, sich von der sozialen Abhängigkeit zu befreien, die sie in den südlicheren Siedlungen kanadischer Provinzen angeblich gewonnen hatten, und versprach bessere Lebens- und Jagdmöglichkeiten. Doch diese Versprechen erwiesen sich als trügerisch. Die neuen Orte – Grise Fiord auf der südlichen Spitze von Ellesmere Island und Resolute auf Cornwallis Island – waren nicht nur rund 2000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt, sondern auch extrem unwirtlich, mit harschem Klima, langen Phasen der Polarnacht im Winter und dem Polartag im Sommer, die ihr biologisches und soziales System völlig herausforderten. Die Inuit wurden beim Transport auf dem Patrouillenschiff CGS C.D.
Howe getrennt und in drei unterschiedliche Siedlungen gebracht. Die unzureichenden Vorbereitungen seitens der Regierung bedeuteten, dass viele Familien ohne ausreichend Nahrungsmittel, Kleidung, Zelte oder andere lebenswichtige Ressourcen ausgesetzt wurden. Die Überlebensbedingungen waren katastrophal – Nahrung war knapp, Hilfsmittel für das Jagen und die Herstellung warmer Kleidung fehlten, und das Wissen über die Region war anfangs äußerst begrenzt. Die Umstellung auf neue Jagdmethoden und das Anpassen an das Polarklima bedeutete eine immense Herausforderung. Viele Familien litten Hunger, Krankheiten breiteten sich aus, und die Isolation verstärkte das Gefühl der Verzweiflung.
Im Laufe der Zeit gaben die Inuit jedoch nicht auf. Mit ihrer bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit und tiefem Verständnis für die arktische Umwelt lernten sie, die lokalen Wanderwege der Belugawale zu nutzen und entwickelten neue Jagdstrategien, die ihnen das Überleben sicherten. Trotz der anfänglichen Härten wuchsen in Grise Fiord und Resolute stabile Gemeinschaften heran, die bis heute bestehen und eine eigene Identität innerhalb der arktischen Kultur Kanadas entwickelten. Bis in die 1980er Jahre waren die Beweggründe der Umsiedlung weitgehend von der kanadischen Regierung nicht offiziell hinterfragt worden. Die Inuit-Familien, die als „High Arctic Exiles“ bezeichnet werden, kämpften jedoch darum, ihre Erfahrungen offiziell anerkennen zu lassen.
Sie argumentierten, dass die Umsiedlung nicht auf freiwilliger Basis erfolgte und dass die wahren Absichten der Regierung hauptsächlich darin bestanden, durch die Errichtung menschlicher Siedlungen ein signalhaftes Zeichen der kanadischen Hoheitsgewalt in der Arktis zu setzen – sogenannte „human flagpoles“. Das bedeutete, dass sie geopfert wurden, um territoriale Ansprüche Kanadas gegenüber anderen Nationen zu bestätigen. Der Kampf der Betroffenen führte 1987 zu einer Forderung nach kompensatorischer Wiedergutmachung seitens der Bundesregierung. Trotz zahlreicher Untersuchungen und öffentlichen Drucks weigerte sich die Regierung lange Zeit, ein offizielles Eingeständnis ihres Fehlverhaltens zu geben oder eine Entschuldigung auszusprechen. Dies führte zu einem Riss innerhalb der Gemeinschaften, denn während ältere Generationen oft die Rückkehr in ihre Heimat bevorzugten, entschieden sich jüngere Inuit dafür, in den hohen arktischen Siedlungen zu bleiben, die inzwischen zu ihren dauerhaften Wohnorten geworden waren.
Die Empfehlungen der Royal Commission on Aboriginal Peoples aus dem Jahr 1994 unterstrichen die Ungerechtigkeit dieser Umsiedlungen, forderten eine Entschuldigung und eine angemessene finanzielle Entschädigung. Sie anerkannten auch, dass die Präsenz der Inuit in der Arktis tatsächlich zur Festigung der kanadischen Souveränität beitrug, dass die Umsetzung der Umsiedlung jedoch sozial und wirtschaftlich unangemessen war und den betroffenen Familien großen Schaden zufügte. Obwohl die kanadische Regierung zunächst ablehnte, sich zu entschuldigen, wurde 1996 ein Reconciliation Agreement geschlossen und ein Fonds in Höhe von 10 Millionen kanadischen Dollar für die Überlebenden und ihre Familien eingerichtet. Erst im August 2010 erfolgte eine offizielle Entschuldigung durch die Regierung. Diese wurde von John Duncan, dem damaligen Minister für Indianische Angelegenheiten und Nordentwicklung, ausgesprochen.
Er erkannte die Leiden und gebrochenen Versprechen an und würdigte die Ausdauer der Inuit, die diesen tragischen Abschnitt durchlebten. Diese Geste markierte einen wichtigen Schritt in der Versöhnung und dem Bemühen um Anerkennung und Gerechtigkeit für die betroffenen Gemeinschaften. Die High Arctic Relocation fand auch Eingang in Medien und Kunst. Filme wie „Exile“ von Zacharias Kunuk oder Dokumentationen wie „Broken Promises – The High Arctic Relocation“ beleuchten die Erlebnisse der Inuit und fungieren als Erinnerungen an dieses dunkle Kapitel der kanadischen Geschichte. Künstlerische Arbeiten wie die Denkmäler von Looty Pijamini und Simeonie Amagoalik, die 2010 enthüllt wurden, dienen als sichtbare Mahnmale für die erlittenen Leiden und das durch die Trennung auseinandergerissene familiäre Gefüge.
Die Geschichte der High Arctic Relocation steht exemplarisch für die komplexen Zusammenhänge zwischen indigener Selbstbestimmung, staatlichen Interessen, Menschenrechten und kultureller Identität. Sie zeigt, wie Zerbrechlichkeit und Überlebenswille in Extremsituationen ineinandergreifen und wie vergangene politische Entscheidungen heute noch Nachwirkungen für Gemeinschaften haben, die unerschütterlich um Anerkennung und Versöhnung kämpfen. Das Beispiel erinnert eindrücklich daran, von historischen Fehlern zu lernen und mehr Respekt vor den Rechten und Kulturen indigener Völker in aller Welt zu zeigen.