Die Rolle der Aufsichtsräte in US-Unternehmen steht zunehmend im Fokus von Kritik und Debatten, wie eine aktuelle Umfrage von PricewaterhouseCoopers (PwC) in Zusammenarbeit mit The Conference Board deutlich zeigt. Demnach wünschen sich 93 % der befragten Führungskräfte aus den Führungsebenen öffentlicher US-Unternehmen mindestens einen Austausch innerhalb ihrer jeweiligen Vorstände. Dieses Ergebnis ist ein Rekordwert in den letzten fünf Jahren, in denen die Umfrage konstant durchgeführt wird. Die Studie spiegelt eine wachsende Unzufriedenheit mit der bisherigen Zusammensetzung und der Arbeitsweise von Unternehmensvorständen wider, was deutliche Impulse für Veränderungen im Bereich der Unternehmensführung setzt. Der Wandel der Erwartungen an Aufsichtsräte ist eng gekoppelt mit der erhöhten Aufmerksamkeit von Investoren und Regulierungsbehörden in einem zunehmend komplexen Marktumfeld.
Politische Unsicherheiten, schärfere Vorschriften und ein sich wandelndes Verbraucherverhalten zwingen Unternehmen dazu, sich agil und strategisch neu auszurichten. Vorstände werden dabei nicht mehr nur als Kontrollinstanzen verstanden, sondern zunehmend als aktive Mitgestalter und Unterstützer des Managements mit fundierten Fachkenntnissen. Diese Entwicklung ist mitunter ein zweischneidiges Schwert, da Manager vermehrt das Gefühl haben, dass einige Direktoren in operative Details eingreifen, was zu Spannungen führen kann. Ein weiterer zentraler Punkt der Studie ist die Sorge über die Leistungsfähigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder. Insbesondere das fortgeschrittene Alter von Direktoren wird von 56 % der Befragten als möglicher Nachteil wahrgenommen.
Dies wird in Kombination mit der Tatsache problematisiert, dass 47 % der befragten Manager der Meinung sind, dass einzelne Vorstandsmitglieder in zu vielen Unternehmen gleichzeitig sitzen. Diese sogenannte Mehrfachmandate können die Effektivität und die Verfügbarkeit der Direktoren beeinträchtigen und führen somit zu einer Verschlechterung ihrer Leistung in den jeweiligen Gremien. Nur 32 % der Befragten sind nach eigener Einschätzung der Meinung, dass ihre Vorstände über die richtigen Fähigkeiten und das notwendige Fachwissen verfügen, um den aktuellen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Die Einmischung der Aufsichtsräte in alltägliche Managemententscheidungen ist ein weiteres Thema von wachsender Bedeutung. 32 % der Führungskräfte berichten, dass Direktoren in operative Entscheidungen eingreifen – zum Beispiel bei der Auswahl von mittleren Führungskräften oder bei der Entscheidung für bestimmte Lieferanten.
Diese Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und verdeutlicht damit eine Zunahme der Aktivitäten der Aufsichtsräte jenseits ihrer eigentlichen Kontroll- und Beratungsfunktion. Trotz der Kritik zeigen die Ergebnisse auch positive Entwicklungen: Der Anteil der Befragten, die die Arbeit ihrer Vorstände als gut oder exzellent bewerten, ist auf 35 % gestiegen – ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Dies weist darauf hin, dass sich einige Unternehmen bemühen, ihre Vorstände zu verbessern, indem sie Experten mit tiefgreifender Expertise in relevanten Bereichen wie Cybersicherheit, Klimawandel, Humankapitalmanagement und digitaler Transformation aufnehmen. Diese neuen Mitglieder tragen dazu bei, die strategische Ausrichtung und die Belastbarkeit der Unternehmen zu stärken. Ray Garcia, Leiter des PwC Governance Insights Center, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „in der heutigen schnelllebigen Umgebung „gut genug“ nicht mehr ausreiche“.
Es sei essenziell, Aufsichtsräte mit der nötigen Tiefe an Fachwissen auszustatten, damit sie die Unternehmen sicher durch komplexe Herausforderungen steuern können. Dabei besteht jedoch die Gratwanderung, das richtige Maß an Engagement zu finden, um nicht in das operative Geschäft einzudringen und somit die Grenzen der Vorstände zu respektieren. Die Ergebnisse der PwC-Umfrage spiegeln einen tiefgreifenden Wandel in der Corporate Governance wider, der durch externe und interne Einflüsse angetrieben wird. Auf der einen Seite steigt der Druck von Investoren und Regulierungsbehörden, die Transparenz, Verantwortung und Kompetenz der Aufsichtsräte fordern. Auf der anderen Seite müssen sich Unternehmen in einem sich rapide verändernden wirtschaftlichen und technologischen Umfeld behaupten, das neue Fähigkeiten und eine veränderte Herangehensweise an Strategie und Risikomanagement erfordert.
Diese Dynamiken führen zu einem deutlich erhöhten Wunsch nach Erneuerung und Umstrukturierung in den Gremien, was sich in den Forderungen der Unternehmensleitungen nach dem Austausch von mindestens einem Mitglied zeigt. Dies kann auch bedeuten, dass Unternehmen zunehmend nach Direktorinnen und Direktoren suchen, die nicht nur traditionelle Governance-Aufgaben erfüllen, sondern aktiv zur digitalen und nachhaltigen Transformation beitragen können. Die alternde Demografie der bisherigen Vorstände stellt hierbei eine besondere Herausforderung dar. Unternehmen sind gefordert, einen Generationenwechsel in den Aufsichtsräten zu gestalten, der das Know-how der erfahrenen Mitglieder mit frischen Impulsen und moderner Expertise vereint. Eine ausgewogene Mischung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Gremien ihre Aufgaben effizient und zukunftsorientiert erfüllen können.
Darüber hinaus spielt die Kritik an Mehrfachmandaten und die Bedenken bzgl. der möglichen Überbelastung von Direktoren eine wesentliche Rolle bei der Diskussion um die optimale Zusammensetzung von Aufsichtsräten. Tatsächlich kann eine zu hohe Anzahl von Mandaten dazu führen, dass Direktoren wichtige Entwicklungen verpassen oder nicht ausreichend Zeit für die Vorbereitung und Teilnahme an Sitzungen aufbringen. Vor diesem Hintergrund wägen Unternehmen verstärkt ab, wie sie ihre Governance-Strukturen stärken und gleichzeitig das Vertrauen von Investoren, Mitarbeitern und anderen Stakeholdern fördern können. Die Suche nach Kandidaten mit branchenspezifischem Expertenwissen gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung.
Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass die Vorstellungen von eigenverantwortlicher Unternehmensführung und die Grenzen zwischen Aufsicht und operativer Leitung klar definiert bleiben. Die Ergebnisse der Umfrage sprechen auch für eine mögliche Intensivierung der politischen und regulatorischen Diskussion über die Pflichten, Verantwortlichkeiten und Zusammensetzung von Corporate Boards. Angesichts der wachsenden Forderungen nach Nachhaltigkeit, Ethik und Diversität bei gleichzeitiger Sicherstellung hoher Fachkompetenz dürfte die Rolle der Gremien weiter an Bedeutung gewinnen. Abschließend lässt sich festhalten, dass US-Unternehmen vor einem Weg stehen, der auf tiefgreifende Veränderungen in der Unternehmensführung setzt. Die dringende Forderung vieler Führungskräfte nach dem Austausch von Vorstandsmitgliedern unterstreicht den Bedarf, die Governance-Strukturen zukunftsfähig und widerstandsfähig zu machen.
Unternehmen, die flexibel auf diese Herausforderungen reagieren und innovative Lösungen finden, können sich bessere Chancen im Wettbewerb der globalisierten Wirtschaft sichern.