Die Hubschraubertechnologie befindet sich ständig im Wandel, doch Sicherheit bleibt eine der größten Herausforderungen und Prioritäten in diesem Bereich. Im Jahr 2019 sorgte das italienische Unternehmen Curti Costruzioni Meccaniche mit einem bedeutenden Durchbruch für Aufsehen: Sie integrierten als erste einen ballistischen Fallschirm in einen Hubschrauber, den Zefhir. Diese Innovation könnte die Art und Weise, wie Notfallsituationen bei Hubschraubern gehandhabt werden, revolutionieren und vor allem Freizeitpiloten eine zusätzliche Sicherheitsebene bieten. Der Zefhir ist ein zweisitziger, turbinengesteuerter Hubschrauber, der von Curti für den Freizeitmarkt und als Baukastenflugzeug entwickelt wurde. Während bei Starrflügelflugzeugen, wie beispielsweise den bekannten Cirrus-Flugzeugen, ballistische Fallschirme bereits etabliert und zertifiziert sind, stellte deren Implementierung bei Hubschraubern bisher eine technische und sicherheitstechnische Herausforderung dar.
Hauptgrund hierfür ist die Konstruktion von Hubschraubern mit ihren rotierenden Hauptrotorblättern oberhalb des Rumpfs, die einen sicheren und reibungslosen Einsatz eines Fallschirms erschwerten. Traditionell verlassen sich Hubschrauberpiloten bei einem Triebwerksausfall auf die sogenannte Autorotation. Dabei drehen die Rotorblätter aufgrund des Luftstroms weiter und ermöglichen, dass das Fluggerät kontrolliert zu Boden gleitet. Autorotation ist die zentrale Überlebensstrategie bei Hubschrauber-Notfällen und gilt als die beste Möglichkeit, Leben zu retten und den Schaden am Fluggerät so gering wie möglich zu halten. Die Herausforderung entsteht jedoch, wenn ein Pilot nicht in der Lage ist, diese Technik richtig auszuführen, was vor allem bei weniger erfahrenen Piloten oder in kritischen Situationen der Fall sein kann.
Hier setzt Curti mit seinem Fallschirmsystem an: Es soll nicht die Autorotation ersetzen, sondern eine zusätzliche Notfalloption darstellen, falls eine Autorotation nicht durchführbar ist. Die Entwicklung des Fallschirmsystems war ein komplexer Prozess, der mehrere Jahre der Forschung, Entwicklung und Testphase erforderte. Dabei arbeitete Curti mit namhaften Partnern wie dem Motorhersteller PBS Velká Bíteš und Junkers Profly zusammen, einem europäischen Marktführer für ballistische Rettungssysteme. Eine der größten Herausforderungen war die sichere Positionierung des Fallschirms und das Problem des sich drehenden Hauptrotors. Ein Vorschlag, den Fallschirm seitlich auszustoßen und mit einem beweglichen Ringsystem zu befestigen, wurde verworfen, da potenzielle Versagensrisiken durch Witterungseinflüsse befürchtet wurden.
Stattdessen entschied man sich für eine Anordnung direkt über den Rotorblättern, wodurch das System in einem nicht rotierenden Gehäuse untergebracht wird. Dieses Gehäuse ist fest mit dem Luftfahrzeugrahmen verbunden und drehungsfest, um Schäden am Fallschirm beim Auslösen zu vermeiden. Der entscheidende Test erfolgte im Juni 2018 am Flughafen Oristano-Fenosu auf der italienischen Insel Sardinien, einem Standort mit geringer Bevölkerungsdichte, ideal für solche riskanten Versuche. Um das Risiko für Piloten zu eliminieren, entwickelte Curti gemeinsam mit der Universität Bologna eine ferngesteuerte Version des Zefhir, die in dem Test die Fallschirmauslösung durchlief. Die Ergebnisse waren überzeugend: Der Fallschirm öffnete sich vollständig innerhalb von sechs Sekunden und reduzierte die Sinkgeschwindigkeit des Hubschraubers von 23 Metern pro Sekunde auf etwa 7,5 Meter pro Sekunde – eine Geschwindigkeit, die eine Überlebenschance für die Insassen deutlich erhöht.
Da sich die Rotation der Hauptrotorblätter im Normalbetrieb fatal auf die Integrität und Entfaltung des Fallschirms auswirken könnte, wurde ein automatisierter Prozess zur Stoppen der Rotorblätter während der Auslösung entwickelt. Durch das Abschalten des Motors, das Anheben des Kollektivhebels zur Drehzahlreduzierung und das Betätigen der Rotorbremse konnten die rotierenden Blätter sicher gestoppt werden. Dies verhindert nicht nur eine Schädigung des Fallschirms, sondern erhöht auch die Überlebenschancen, indem mögliche Verletzungen durch rotierende Rotorblätter bei der Landung vermieden werden. Die Konstruktion des Fallschirmsystems ist dabei dennoch leichtgewichtig: Das Prototyp-Gehäuse besteht aus Aluminium und wiegt aktuell etwa 20 Kilogramm. Für die Serienversion plant Curti den Einsatz von Verbundwerkstoffen, um zusätzliche Gewichtseinsparungen zu erzielen und die Flugleistung des Zefhir nicht signifikant zu beeinträchtigen.
Dies ist besonders wichtig, da der Zefhir als Sport- und Freizeithelikopter für den Privatgebrauch konzipiert ist und auf Leichtigkeit und einfache Handhabung setzt. Neben dem Fallschirmsystem ist der Zefhir mit einer modernen Turbinenantriebseinheit und einer komplett kohlefaserverstärkten Karosserie ausgestattet. Die Sicherheitsausstattung umfasst zudem crashgeschützte Sitze und Fahrwerke, die zusätzlichen Schutz bei Notlandungen bieten. Das gesamte Design des Hubschraubers orientiert sich an den europäischen Luftfahrt-Sicherheitsnormen der Kategorie CS-27, was ihn zu einem der modernsten und sichersten Kleinrotorflugzeuge am Markt macht. Insbesondere für weniger erfahrene Piloten, wie sie häufig im Freizeitbereich anzutreffen sind, schafft das Fallschirmsystem eine zusätzliche Sicherheitsebene.
Das Bewusstsein, bei einem Triebwerksausfall nicht ausschließlich auf die Kunst der Autorotation angewiesen zu sein, sondern im Notfall den Fallschirm auslösen zu können, kann das Vertrauen in das Fluggerät und den Flugkomfort erheblich steigern. Curti verfolgt mittelfristig auch die Idee, den Zefhir als Ultraleichtflugzeug mit einer maximalen Abflugmasse von 600 Kilogramm zu zertifizieren und so einer breiteren Nutzerschaft zugänglich zu machen. Durch die Kombination von Ballistik-Fallschirmtechnologie und einem modernen, leichten Hubschrauber könnte das Unternehmen eine Nische besetzen, die bisher von der Industrie weitgehend unberührt geblieben ist. Seit der erfolgreichen Demonstration im Jahr 2018 ist Curti mit der fortwährenden Entwicklung und dem Testen des Systems beschäftigt. Flugerprobungen mit integriertem Fallschirm stehen noch aus, doch die bisherigen Versuche deuten darauf hin, dass das Fallschirmsystem kaum Auswirkungen auf die Flugeigenschaften des Zefhir haben wird.