Die Frage, ob Aktien immer steigen, gehört zu den häufigsten Überlegungen für Anleger weltweit. Auf den ersten Blick scheint die Antwort klar zu sein: Aktienkurse tendieren langfristig nach oben. Wer zum Beispiel vor vier Jahrzehnten, 1985, sein gesamtes Vermögen in den Aktienmarkt investiert hätte, könnte heute über ein Vielfaches seines eingesetzten Kapitals verfügen. Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein – als hätte man mehrere Jahrzehnte lang einfach auf den Markt gesetzt und geduldig gewartet, bis das Vermögen gewachsen ist. Doch wenn man die Sache genauer betrachtet und Faktoren wie Inflation, Kosten für Verwaltung und Handel sowie das individuelle Anlagehorizont berücksichtigt, wird das Bild komplexer und vermittelt eine realistischere Einschätzung der Chancen und Risiken.
Der vermeintliche Boom der vergangenen Jahrzehnte ist durch historische Kursanstiege geprägt, die viele Anleger zu dem Schluss verleiten könnten, Aktien seien eine sichere Bank. Doch die Realität ist komplexer. Das nominale Wachstum einer Investition wird durch die Inflation gemindert. Dies bedeutet, dass, obwohl die Aktienwerte steigen, die Kaufkraft des angelegten Geldes oft deutlich geringer wächst, als es der reine Kursanstieg vermuten lässt. Wenn man die Inflationsrate berücksichtigt, etwa die Jahre rund um die Dotcom-Blase in den frühen 2000er Jahren, wird deutlich, dass es lange Jahre gab, in denen Anleger trotz guter nominaler Werte real Geld verloren.
Neben der Inflation schlagen auch verschiedene Kosten zu Buche, die bei der Indexnachbildung oder beim direkten Handel mit Aktien entstehen. Ursprünglich war das Kaufen einzelner Aktien mit hohen Gebühren verbunden, da Handel und Verwaltung teuer waren. Heute sind ETFs (Exchange Traded Funds) deutlich günstiger und ermöglichen Anlegern, ganze Indizes kosteneffizient zu verfolgen. Dennoch fallen laufende Verwaltungskosten an, dazu kommen Steuern auf die Anlagen sowie eventuelle Transaktionskosten. Diese Faktoren schmälern die langfristige Rendite und dürfen bei der Planung eines Investments nicht vernachlässigt werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der individuelle Anlagehorizont. Nicht jeder Anleger hat die Möglichkeit oder den Willen, 40 Jahre am Markt zu bleiben. Wer für größere Anschaffungen wie Haus, Auto oder andere Lebensziele innerhalb von fünf Jahren Geld benötigt, sieht sich mit einer viel volatileren Marktsituation konfrontiert. Kurze Zeiträume spiegeln gelegentlich deutliche Schwankungen wider, die jederzeit zu spürbaren Verlusten führen können – unabhängig davon, wie erfreulich die langfristige Entwicklung erscheint. Über einen Zeitraum von fünf Jahren zeigen Simulationen, dass zwar häufig positive Renditen erzielt werden, doch die Gefahr von signifikanten Kursrückgängen nicht unterschätzt werden darf.
Die Volatilität, also die Schwankungsbreite der Renditen, ist ein zentrales Merkmal von Aktieninvestitionen. Während hohe Renditen locken, geht dies häufig mit höheren Risiken einher. Die Kapitalmärkte zeichnen sich durch eine gewisse Unvorhersehbarkeit aus, die es auch langfristig schwierig macht, sichere Prognosen abzugeben. Die Messung der Rendite im Verhältnis zum Risiko geschieht häufig mittels der Sharpe-Ratio, die den durchschnittlichen Überschuss der Rendite gegenüber einem risikofreien Investment mit der Volatilität in Beziehung setzt. Werte um 0,25 gelten als realistisch für langfristige Aktienanlagen, was bedeutet, dass der Gewinn pro Risikoeinheit nicht übermäßig hoch ist.
Die oft zitierten Werte von 0,6 oder höher beruhen in der Regel auf kurzen Zeiträumen und sind somit wenig verlässlich. Ein überraschendes Ergebnis dieser Betrachtung ist, dass Aktien nicht unbedingt einen höheren risikoadjustierten Ertrag liefern als andere Anlageklassen wie Staatsanleihen guter Bonität. Letztere bieten zwar niedrigere absolute Renditen, allerdings weisen sie auch wesentlich geringere Schwankungen auf. In der Gesamtbetrachtung gleichen sich die Chance-Risiko-Profile somit an. Für Anleger bedeutet das, dass eine Kombination verschiedener Anlageklassen oft sinnvoller ist als das vollständige Vertrauen auf Aktien allein.
Diversifikation, also die Streuung des Kapitals auf unterschiedliche Anlageformen, ist eine wesentliche Strategie zur Risikominimierung und zur Erzielung stabilerer Erträge. Es ist nicht ausreichend, in viele einzelne Aktien zu investieren, wenn diese starken Korrelationen unterliegen. Vielmehr sollten verschiedene Anlageklassen kombiniert werden, um Schwankungen aufzufangen und das Portfolio gegenüber Markteinbrüchen widerstandsfähiger zu machen. Die Annahmen hinter diesen Erkenntnissen basieren unter anderem auf der effizienten Markthypothese, die besagt, dass die Preise von Wertpapieren alle verfügbaren Informationen widerspiegeln und somit zukünftige Gewinne nicht sicher prognostiziert werden können. Dazu kommt die Anwendung der Kelly-Kriterien, die die optimale Einsatzhöhe bei wiederholten Wetten beschreiben und darauf hinweisen, dass das korrekte Einschätzen der Volatilität entscheidend ist.
Eine Überschätzung des Risikos führt zu konservativeren Investitionen und schützt vor totalem Verlust, während eine Unterschätzung zu Überinvestition und potenziell ruinösen Drawdowns führen kann. Marktteilnehmer sollten sich zudem darüber im Klaren sein, dass selbst erfahrene Investoren und Anleger regelmäßig große Kurseinbrüche miterleben. Drawdowns von 30, 50 oder gar 90 Prozent sind keine Seltenheit in der Börsengeschichte und erfordern ein robustes Risikomanagement sowie eine angepasste mentale Bereitschaft. Wer solche Verlustphasen nicht bewältigen kann, riskiert Fehlentscheidungen und kann im schlimmsten Fall das gesamte Kapital verlieren. Abschließend lässt sich sagen, dass Aktien zwar über lange Zeiträume typischerweise im Wert steigen, dieser Prozess jedoch von verschiedenen Einflüssen wie Inflation, Kosten und Schwankungen geprägt ist.
Die scheinbare Sicherheit der Aktienanlage darf nicht zur Unterschätzung der Risiken führen. Eine ausgewogene, diversifizierte Anlagestrategie, die auf einem realistischen Verständnis von Risiko und Rendite beruht, bildet die Grundlage für finanziellen Erfolg. Anleger sollten sich dabei stets darüber im Klaren sein, dass Investieren kein Glücksspiel mit kurzfristigen Gewinnen ist, sondern ein langfristiger Prozess, der Geduld, Disziplin und Wissen erfordert.