Die Medienindustrie hat in den vergangenen Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel erlebt, bedingt durch den Aufstieg des Internets und die Veränderung der Mediennutzungsgewohnheiten. Traditionelle Medien, einst das Rückgrat der Informations- und Unterhaltungslandschaft, mussten dabei erhebliche Anpassungen vornehmen. Während die Disruption durch digitale Plattformen wie Netflix den Bereich der Distribution maßgeblich veränderte, steht heute eine neue Ära der Veränderung bevor – angetrieben von Generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI). Trotz dieser Herausforderungen besteht Grund zur Zuversicht, denn auch wenn der Wandel radikal erscheint, bieten sich für traditionelle Medienunternehmen zahlreiche neue Möglichkeiten, sich zu behaupten und sogar zu wachsen. Die Frage ist nicht nur, wie disruptiv die Veränderungen sein werden, sondern auch, wie Medienschaffende darauf reagieren und welche neuen Chancen sich daraus ergeben.
Die Grundlage für viele Entwicklungen in der Medienbranche ist seit jeher die sogenannte „Moat“-Mentalität – also das Schaffen von Schutzgräben, die den eigenen Marktanteil und Wert bewahren sollen. Historisch basierten diese Moats auf exklusiven Inhalten, starken Marken und einem etablierten Vertriebsnetz. Mit dem Internet jedoch begann diese Schutzmauer zu bröckeln. Inhalte wurden zunehmend frei zugänglich und Distribution fand immer öfter über Plattformen statt, die nicht selbst Inhalte produzieren, sondern als Zwischenhändler fungieren. Die daraus resultierende Herausforderung ist heute sichtbarer denn je: Wie können traditionelle Medienunternehmen in einer Welt bestehen, in der Content-Sättigung und leicht zugängliche Alternativen an der Tagesordnung sind? Hier kommt GenAI ins Spiel.
Diese Technologie verändert nicht nur die Art und Weise, wie Inhalte erstellt werden, sondern auch die Geschwindigkeit, Vielfalt und Quantität. Die manuelle Erstellung von Texten, Audio- und Videoinhalten wird durch automatisierte Systeme ergänzt oder ersetzt, was zu einer explosionsartigen Vermehrung von Content führen kann. Doch genau diese Überfülle wirft eine grundlegende Frage auf: Welche Inhalte sind wirklich wertvoll und warum? Wenn Inhalte in großer Zahl und zu geringeren Kosten verfügbar sind, wird die Seltenheit – und damit der Wert – von bestimmten Elementen neu definiert. Inmitten dieses Umbruchs entstehen neue „Knappheiten“, die für traditionelle Medienunternehmen zu wertvollen Wettbewerbsvorteilen werden können. Eine dieser Knappheiten ist die Fähigkeit, wirklich originelle, tiefgründige Geschichten zu erzählen.
Während Algorithmen und KI hervorragende Synthesen und Variationen bestehender Inhalte erzeugen können, sind wahrhaft kreative und originäre Themen schwer automatisierbar. Die menschliche Kreativität, durch persönliche Erfahrungen, investigative Arbeit und kulturelle Einblicke angetrieben, bleibt ein unverzichtbarer Schatz. Darüber hinaus gewinnt die kuratorische Kompetenz enorm an Bedeutung. Angesichts der Masse an verfügbaren Inhalten benötigen Nutzer mittlerweile Orientierungshilfen, die ihnen helfen, relevante, verlässliche und hochwertige Medien zu finden. Dies umfasst sowohl algorithmisch unterstützte Empfehlungen als auch redaktionell geschulte Selektion.
Medienhäuser, die in der Lage sind, diese Art der verlässlichen Kuratierung anzubieten, schaffen Vertrauen und binden ihre Zielgruppen nachhaltig. Ein weiterer entscheidender Faktor ist Authentizität. In einer Welt voller generierter Inhalte werden echte menschliche Stimmen, vertrauenswürdige Marken und handwerklich exzellent produzierte Formate besonders geschätzt. Provenienz, also der Ursprung und die Nachvollziehbarkeit von Inhalten, wird zum Unterscheidungsmerkmal. Verbraucher suchen nach glaubwürdigen Quellen und qualitativ hochwertigen Nachrichten, die nicht nur schnell, sondern auch korrekt sind.
Außerdem verändert sich die Bedeutung von Aufmerksamkeit und Zeit als Ressourcen grundlegend. Nutzer haben eine begrenzte Menge an Zeit und Willen, Medieninhalte zu konsumieren. Die Kunst, gerade diese Aufmerksamkeit zu gewinnen und zu halten, wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Hier spielen nicht nur ausgeklügelte Marketingstrategien eine Rolle, sondern auch der Aufbau von Communities und stärkerer emotionaler Bindungen durch Fandom und gemeinsame Erlebnisse. Traditionelle Medienunternehmen verfügen über eine Vielzahl dieser wertvollen Ressourcen.
Etablierte Marken, verbunden mit einer langen Geschichte und breitem Vertrauen, bieten eine solide Basis, auf der neue digitale Geschäftsmodelle aufbauen können. Gleichzeitig verschieben sich die Grenzen von linearen Formaten hin zu interaktiven und immersiven Erlebnissen, bei denen reale Treffen und Events („In Real Life“-Erfahrungen) den digitalen Konsum ergänzen und intensivieren. Die Bedrohung ist real, doch die Reaktionen auf GenAI und dessen Implikationen könnten über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Ein stockendes Festhalten an alten Modellen oder gar Ignorieren technologischer Neuerungen wäre fatal. Stattdessen raten Experten, GenAI nicht nur als Projekt oder Pilot zu betrachten, sondern als integralen Bestandteil der langfristigen strategischen Planung.
Dies beinhaltet eine intensive Weiterbildung und Umschulung der Belegschaft, damit Mitarbeiter die neuen Technologien verstehen, effizient nutzen und weiterentwickeln können. Die Etablierung sogenannter Skunkworks-Teams – kleine, innovative Arbeitsgruppen, die experimentell neue Anwendungen und Unternehmensmodelle entwickeln – ist ein weiterer Schritt, um institutionelles Know-how aufzubauen und Chancen frühzeitig zu identifizieren. Zudem sollte die Auseinandersetzung mit GenAI stets auch die ethischen und qualitativen Fragestellungen umfassen, um die journalistische Integrität und die gesellschaftliche Verantwortung der Medien nicht aus den Augen zu verlieren. Darüber hinaus bieten die sinkenden Kosten bei der Produktion von Inhalten neue Geschäftsmodelle. Während preisgünstigere Content-Erstellung zunächst als Bedrohung erscheinen mag, kann sie auch zur Demokratisierung kreativer Prozesse und zur Stimulierung neuer Formate führen.
Partnerschaften zwischen Technologieunternehmen und klassischen Medienhäusern können Synergien schaffen, die beiden Seiten zugutekommen. Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass sich Medienlandschaften weiterentwickeln werden, aber keinesfalls traditionelles Mediensterben zwangsläufig eintreten muss. Vielmehr stehen grundlegende Innovationen und Transformationen an, die etablierte Medienunternehmen, sofern sie agil und offen für Veränderungen agieren, zu zentralen Akteuren machen können. Es wird entscheidend sein, nicht nur technologische Entwicklungen zu verfolgen, sondern vor allem die sich wandelnden Bedürfnisse und Erwartungen des Publikums in den Mittelpunkt zu stellen. Insgesamt zeichnen sich für traditionelle Medien viele Wege ab, um auch in einem von GenAI geprägten Umfeld relevant zu bleiben.