Im März 2019 kam es in British Columbia zu einem Vorfall, der in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht – und zwar nicht nur wegen der Tat selbst, sondern vor allem wegen der juristischen Bewertung der Umstände. Leon-Jamal Daniel Barrett wurde wegen Sexualstraftat, Hausfriedensbruchs und Behinderung von Polizeiarbeit angeklagt. Das Besondere an diesem Fall ist seine Verteidigung: Barrett behauptete, eine Kombination aus Magic Mushrooms und Cannabis habe ihn in einen Zustand versetzt, der als Automatismus beschrieben wird – ein Zustand, in dem er nicht bewusst auf seine Handlungen eingewirkt habe. Aufgrund dieser Verteidigung wurde Barrett von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Entscheidung des Provinzgerichts von Surrey war dabei erstmalig und außergewöhnlich, was landesweite Debatten auslöste und Kritik sowohl von Experten als auch von Betroffenen hervorrief.
Die Tat ereignete sich an einem Freitagabend, als Barrett zu dem Schluss kam, dass die Menschheit korrupt sei und seine einzige Möglichkeit darin bestehe, sie zu retten, indem er mit einer von Gott bestimmten Frau „sexuellen Verkehr“ habe. In den Stunden vor diesem Erlebnis hatte er Magic Mushrooms konsumiert, was sich später als entscheidender Punkt in seinem Fall herausstellte. Barrett wartete zunächst zuhause auf die offenbar von ihm auserwählte Frau. Als sie nicht erschien, verließ er sein Heim in der Überzeugung, dass Gott sie auf seinem Weg zusammenbringen werde. Statt der ersehnten Frau traf er jedoch auf eine Fremde – eine Frau, die von ihm angegriffen wurde und sich verzweifelt zu wehren versuchte.
Die 49-jährige Frau schilderte vor Gericht, wie Barrett sie zu Boden stieß, versuchte sie zu küssen, ihr an die Brust schlug, sie eine Treppe hinunterstieß und versuchte, ihre Kleidung zu entfernen. Trotz ihrer heftigen Gegenwehr konnte sie aus der Situation entkommen. Körperliche Spuren wie eine Schnittwunde an der Lippe und Bissspuren an Barretts Zunge belegten die Gewalt des Angriffs. Nach der Tat beging Barrett Selbstverletzung und suchte anschließend eine weitere Frau, bis ihn schließlich die Polizei festnahm. Die Verteidigung stützte sich auf den seltenen rechtsmedizinischen Befund eines Zustandes namens Automatismus – eine Lage, bei der eine Person ohne Kontrolle über ihre Bewegungen und Handlungen agiert.
Barrett gab an, dass sowohl der Konsum von Magic Mushrooms als auch die Einnahme von Cannabis die Wahrnehmung und die bewusste Kontrolle über sein Verhalten vollkommen aufgehoben hätten. In Kombination mit seiner psychischen Verfassung, die Depression und soziale Ängste umfasste, argumentierten seine Anwälte, dass er nicht für die Tat verantwortlich gemacht werden könne, da sein Verhalten unwillkürlich gewesen sei. Die Richterliche Beurteilung des Falls fiel in eine Phase, in der die rechtliche Situation zum Thema „extreme Intoxikation“ in Kanada im Umbruch begriffen ist. Die Vorgängervorschrift des Strafgesetzbuches, Section 33.1, hatte in der Vergangenheit verhindert, dass Personen, die unter extremer Intoxikation Straftaten begangen hatten, sich auf Automatismus berufen konnten.
Diese Regelung wurde 2022 vom Obersten Gerichtshof Kanadas als verfassungswidrig aufgehoben, nachdem sie als Schutzmechanismus versagte und das Risiko von Fehlurteilen in sich trug, insbesondere wenn Menschen die Wirkungen von Substanzen nicht vorhersehen konnten. Das Urteil, das Barrett freisprach, verdeutlicht, wie schwierig es für das Rechtssystem ist, die feine Grenze zwischen persönlicher Verantwortung und Zustand der Bewusstlosigkeit zu definieren, wenn psychoaktive Substanzen im Spiel sind. Experten wie Isabel Grant von der Universität British Columbia bezweifeln, dass der Fall im Sinne von Opferschutz richtig entschieden wurde. Sie kritisiert, dass die Verteidigung hier faktisch den traumatischen Folgen der schwer verletzten Frau wenig Rechnung trägt. Die Botschaft, die solche Urteile senden, ist problematisch, da sie suggerieren, dass das Opfer den Preis für die „moralische Unschuld“ des Täters zu tragen habe – eine Vorstellung, die der Justiz und der Gesellschaft schwer zu vermitteln ist.
Barrett selbst zeigte im Gerichtssaal Reue, aber die Konsequenzen der Tat und der anschließenden rechtlichen Bewertung sind weitreichend. Seine Person bleibt mit der Bürde leben müssen, unter Einfluss schwerer Substanzen handlungsunfähig geworden zu sein und dennoch durch seine Taten schweres Leid verursacht zu haben. Das Urteil ist dabei keine Einladung zu leichtfertigem Umgang mit psychoaktiven Stoffen, sondern auch ein Aufruf an die Justiz, zwischen strafrechtlicher Schuld und medizinischen Zuständen sorgfältiger zu differenzieren. Der Fall verweist auf die wachsende Popularität von Psychedelika wie Magic Mushrooms, die in einigen Regionen legal verkauft und therapeutisch eingesetzt werden. Psilocybin, der Hauptwirkstoff der sogenannten Magic Mushrooms, kann intensive Halluzinationen und Bewusstseinsveränderungen hervorrufen.
Während dies für die Behandlung etwa von Depressionen vielversprechend wirkt, erhöht es auch das Risiko für unbeabsichtigte, gefährliche Handlungen unter deren Einfluss. Die Rechtsprechung muss daher künftig immer häufiger Fragen klären, die die feinen Grenzen zwischen Intoxikation, Automatismus und persönlicher Verantwortlichkeit berühren. Der öffentliche Aufschrei nach solchen Urteilen zeigt die Spannung zwischen Opferschutz, den individuellen Rechten und dem gesellschaftlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen. Der Fall Barrett verdeutlicht eindrücklich, wie medizinische und psychologische Erkenntnisse Einfluss auf die Gesetzgebung und deren Umsetzung in der Praxis nehmen können. Zugleich wirft er die ethische Frage auf, inwieweit aus Sicht der Gesellschaft und des Rechts ungewollte Straftaten unter Einfluss von Substanzen strafbar gemacht werden können oder ob hier unterschiedliche Maßstäbe gelten müssen.
In Kanada wird momentan intensiv darüber diskutiert, wie das Strafgesetz reformiert werden soll, um den neuen Gegebenheiten gerecht zu werden. Der Spagat besteht darin, sicherzustellen, dass Täter für ihre Handlungen Rechenschaft ablegen, ohne jedoch Menschen zu bestrafen, die sich zum Beispiel durch unbeabsichtigten oder unerwarteten Wirkungseintritt einer Substanz in einem Zustand völliger Handlungsunfähigkeit befinden. Die Entscheidung des Bundesparlaments, Section 33.1 grundlegend zu überarbeiten, zeigt bereits den Willen, hier ausgewogenere Lösungen zu finden, die präventiv wirken und Opferschutz stärker berücksichtigen. Es ist zudem wichtig zu erwähnen, dass Fälle wie jener Barretts nicht isoliert sind.
Ähnliche Urteile gab es zuvor, wie im Fall Matthew Brown, einem Studenten aus Calgary, der ebenfalls unter dem Einfluss von Alkohol und Magic Mushrooms schwere Gewalt verübte und freigesprochen wurde. Dies hat eine Kette von juristischen Herausforderungen ausgelöst, die heute weit über Kanada hinaus Beachtung finden und Grundsatzfragen des Strafrechts berühren. Für Betroffene solcher Straftaten zeigen diese Urteile oft einen schmerzhaften Widerspruch zwischen gesetzlicher Gerechtigkeit und persönlichem Erleben. Viele Opfer fühlen sich im Stich gelassen, wenn Täter aufgrund von Automatismus-Defensiven freigesprochen werden. Diese Diskrepanz erzeugt gesellschaftlichen Druck, das Rechtssystem zu reformieren, ohne jedoch in andere Bereiche der Strafzumessung ungerecht zu werden.
Letztlich zeigt der Fall Barrett, dass der Umgang mit psychoaktiven Substanzen und deren potenziellen Folgen in einem liberalen Rechtsstaat eine der größten Herausforderungen unserer Zeit darstellt. Neben medizinischen Fortschritten und einer zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz für alternative Therapien wächst der Bedarf, klare rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die sowohl die Rechte von Tätern als auch von Opfern balancieren können. Die juristische Bewertung von Automatismus in Verbindung mit Magic Mushrooms wird auch in Zukunft ein kontrovers diskutiertes Thema bleiben und erfordert weitere Forschung, Aufklärung und politische Sensibilität. Die öffentliche Diskussion sollte in jedem Fall sensibel geführt werden, um einerseits das Leid der Opfer zu würdigen und andererseits eine differenzierte Betrachtung von Schuld und Unschuld in Extremsituationen zu ermöglichen. Gerade der Umgang mit psychischen Erkrankungen und Drogenkonsum im Strafrecht steht hierbei im Fokus.
Barretts Fall kann als Anstoß dienen, umfassendere Strategien zu entwickeln, die Prävention, Rechtssicherheit und Hilfsangebote miteinander verbinden und so langfristig eine gerechtere und wirksamere Justiz ermöglichen.