Jon de la Motte hatte lange Zeit einen Traum: Er wollte bei Stripe arbeiten, dem angesehenen Unternehmen im Bereich Finanztechnologie, das sowohl seine Software-Leidenschaft als auch die Verbindung zur Finanzwelt seines Vaters vereinte. Wie so viele träumte er davon, Teil eines innovativen Teams zu werden, mit dessen Arbeit er sich nicht nur identifizieren konnte, sondern die auch einen echten Einfluss auf die moderne Wirtschaftslandschaft hat. Doch was als Erfolgsgeschichte begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer persönlichen und beruflichen Herausforderung, die Jon zwang, tief in sich selbst hineinzublicken und letztlich eine weitreichende Entscheidung zu treffen – das Verlassen von Stripe. Der Weg zu Stripe war für Jon zunächst alles andere als einfach. Sein erster Vorstellungsgespräch scheiterte, obwohl er sich bestens vorbereitet hatte und mit viel Engagement seine Programmierfähigkeiten unter Beweis stellen wollte.
Die Erkenntnis, dass bei einem Interview nicht nur Perfektion im Code entscheidend ist, sondern vor allem die Fähigkeit, Probleme zu lösen, war für ihn ein Wendepunkt. Sechs Monate später kehrte er zurück, besser vorbereitet und mit einem klareren Fokus, und wurde schließlich angenommen. Bei Stripe entschied sich Jon für die Herausforderung, dem neu gegründeten JavaScript-Infrastrukturteam beizutreten. Der Aufbau eines solchen Teams in einem schnell wachsenden Technologieunternehmen ist zweifellos riskant und der Druck, messbare geschäftliche Erfolge zu erzielen, immens. In der Anfangsphase kämpfte er mit der Aufgabe, neben der technischen Komplexität auch die geschäftlichen Ziele klar zu kommunizieren und seine Projekte so zu planen, dass sie die Aufmerksamkeit und Unterstützung des Managements erhielten.
Es war eine lehrreiche, aber auch anstrengende Zeit, in der Jon viel über die Rolle von Kommunikation und Projektmanagement in einem performanceorientierten Umfeld lernte. Der Durchbruch kam mit dem sogenannten Bundler-Projekt. Jon übernahm die Migration eines enorm großen Codesystems auf ein neues Bundling-Tool, was nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch für die Effizienz des gesamten Unternehmens von großer Bedeutung war. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten meisterte er die Herausforderungen und konnte durch die Optimierung der Startzeiten und die Einführung neuer Technologien einen spürbaren Mehrwert schaffen. Dieses Projekt brachte ihm viel Anerkennung und öffnete die Tür zu weiteren Verantwortungen.
Doch der Erfolg bei der Projektabgabe stand in starkem Kontrast zu der emotionalen Erschütterung, die Jon bei der Leistungsbeurteilung erlebte. Er erhielt eine Bewertung, die unter seinen Erwartungen lag – "teilweise Erwartungen erfüllt" – was ihn tief traf. Die Enttäuschung und Selbstzweifel führten zu einem inneren Konflikt, der weit über den Bereich der Arbeit hinausging. Wie so viele, die eine solche Erfahrung machen, war Jon gezwungen, sich mit seiner eigenen Identität auseinanderzusetzen und zu erkennen, wie sehr er sich über seine professionelle Leistung definiert hatte. Parallel zu diesen beruflichen Turbulenzen kamen weitere Herausforderungen im Privatleben auf ihn zu.
Die Beziehung zu seiner Frau, die durch die Erkrankung und Angstzustände seiner Partnerin, die unter anderem ihren Führerschein nicht mehr benutzen konnte, belastet wurde, löste Spannungen aus, die zu einem ernsthaften Konflikt führten. Dieser Konflikt brachte ihn an einen Punkt, an dem er die Stabilität seiner Ehe und damit auch seine familiäre Sicherheit infrage stellte. Die nicht einfachen Erfahrungen führten Jon dazu, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung, eine Therapie zu beginnen, war in seinem persönlichen und kulturellen Kontext keine Selbstverständlichkeit. Aufgewachsen in einem fundamentalistischen christlichen Umfeld, war das Vertrauen auf Gott der zentrale Halt – nicht die Suche nach psychologischer Unterstützung.
Doch die Therapie eröffnete ihm einen neuen Blick auf seine eigenen Verhaltensmuster, besonders auf dessen Ursprung in der Kindheit. Er lernte, wie frühere Verletzungen und Erfahrungen sein heutiges Verhalten und seine emotionalen Reaktionen beeinflussen und wie das Gehirn automatisch Entscheidungen trifft, die oft außerhalb unserer bewussten Kontrolle liegen. Während sich Jon in der Therapie öffnete, erlebte er auch weiter private Belastungen. Die gesundheitlichen Probleme seiner Frau forderten ihn zusätzlich, und er musste lernen, Berufliches und Privates neu zu gewichten. Die Entscheidung, die Arbeitszeiten zu reduzieren, um seine Familie besser zu unterstützen, brachte Unsicherheit über die berufliche Zukunft mit sich.
Doch gleichzeitig zeigte sich, dass es möglich war, mit einem ausgewogeneren Ansatz bessere Leistungen zu erzielen – was sich in der Folge auch in seiner nächsten Leistungsbeurteilung widerspiegelte. Ein weiterer entscheidender Punkt in Jons Geschichte ist die Beziehung zu seinem Vater. Dieser hatte ihn geprägt, indem er ihn auf eine Karriere in der Finanzbranche vorbereitete, gleichzeitig aber auch durch seine eigene obsessive Arbeitsmentalität eine emotionale Distanz schuf. Als Jon versuchte, mit seinem Vater über seine persönlichen Grenzen und seine Situation zu sprechen, wurde er abgelehnt und sogar disstanziert. Dieses schmerzhafte Erlebnis führte zu tiefer Trauer und einem erneuten Aufarbeiten von Kindheitstraumata, mit der Erkenntnis, dass er nie den Vater gehabt hatte, den er gebraucht hätte.
Trotz der Schmerzhaftigkeit dieser Offenbarungen bedeutete diese Zeit des Leidens und der Selbstreflexion für Jon auch persönliches Wachstum. Er fand neue Stärken und Fähigkeiten, die er zuvor nicht für möglich gehalten hatte – etwa die Verbesserung seiner mathematischen Fähigkeiten im Erwachsenenalter, ein Bereich, der ihm jahrelang Schwierigkeiten bereitet hatte. Dies war kein Zufall, sondern die Folge der Therapie und der bewussten Arbeit an seinen inneren Blockaden. Auch in seinem beruflichen Umfeld verbesserten sich unter den neuen Voraussetzungen die Beziehungen im Team und die Arbeitsweise. Offenheit gegenüber Schwächen und der Mut, Fehler einzugestehen, führten zu größerem Vertrauen und besserer Zusammenarbeit.
Doch trotz der positiven Entwicklungen folgte ein erneutes Tief, eine depressive Phase, die Jon wieder in die Defensive brachte. Dies verdeutlicht, wie komplex und langwierig der Prozess der Heilung und Selbstfindung sein kann. Es ist kein linearer Weg, sondern ein ständiges Auf und Ab, geprägt von Fortschritten und Rückschlägen. Letztlich führte dieses Gesamtpaket aus persönlichen, familiären und beruflichen Herausforderungen dazu, dass Jon entschied, Stripe zu verlassen – nicht als Kapitulation, sondern als bewusster Schritt in eine neue Lebensphase. Die Entscheidung war begleitet von der Erkenntnis, dass Erfolg allein im Beruf nicht ausreicht, wenn das innere Gleichgewicht und die persönliche Gesundheit auf der Strecke bleiben.
Dass die Trennung von Stripe kein abruptes Ende, sondern ein Übergang war, zeigt Jons Haltung im Rückblick. Er sieht seine Geschichte nicht als einfache Erfolgsgeschichte oder als Misserfolg. Vielmehr betrachtet er den gesamten Prozess als Reise zu einem tieferen Verständnis seiner selbst und seiner Bedürfnisse. Dabei ist das Verlassen von Stripe nicht das Ziel, sondern ein Mittel, um ein erfüllteres und bewussteres Leben zu führen. Seine Geschichte spiegelt wider, wie wichtig es ist, über den Tellerrand von Karriere und Leistung hinauszublicken.
Das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben, das Verstehen der eigenen Emotionen und die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen sind zentrale Aspekte, die zum Wohlbefinden beitragen. Gleichzeitig verdeutlicht Jons Erfahrung die oft verborgenen Kämpfe hinter der Fassade des beruflichen Erfolgs. Für viele Menschen in der Tech-Branche, aber auch darüber hinaus, ist Jons Weg ein Beispiel dafür, dass es in Ordnung ist, Schwächen zu zeigen, Hilfe anzunehmen und neue Prioritäten zu setzen. Es ist eine Erinnerung daran, dass Selbstfürsorge und persönliche Entwicklung unverzichtbare Bestandteile eines erfüllten Lebens sind, selbst wenn der äußere Erfolg herausfordernd erscheint. Die Geschichte von Jon de la Motte und seinem Abschied von Stripe bietet wertvolle Einsichten für alle, die nach mehr Ausgewogenheit und Authentizität streben.
Sie lädt dazu ein, die eigenen Werte und Bedürfnisse zu hinterfragen und mutig Schritte zu wagen, die vielleicht nicht immer dem Karriereideal entsprechen, aber langfristig zu einem tieferen Lebensglück führen können.