Die Aufklärung gilt gemeinhin als eine der einflussreichsten intellektuellen Bewegungen der Geschichte. Sie entstand im 17. und 18. Jahrhundert in Europa und prägte das Denken von Philosophen, Wissenschaftlern und politischen Reformern maßgeblich. Der Kern ihrer Ideen lag in der Förderung von Vernunft statt Aberglaube, in der Suche nach Wissen und Fortschritt sowie in dem Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit.
Doch die Aufklärung ist weit mehr als eine historische Epoche: Sie ist ein lebendiges Erbe, das sowohl Inspiration als auch Konfliktpotenzial in sich birgt und das bis heute kontrovers diskutiert wird. Die Vorstellung der Aufklärung als einheitliche Bewegung wird zunehmend hinterfragt. Historiker, wie J. C. D.
Clark, führen an, dass es im 18. Jahrhundert keine geschlossene Aufklärungsbewegung gab. Vielmehr handelte es sich um ein loses Bündel von Ideen und Diskursen, die weder einheitlich waren noch unter einem einzigen Begriff zusammengefasst wurden. Tatsächlich etablierte sich der Begriff „die Aufklärung“ erst im 20. Jahrhundert als fester Bestandteil der historischen Rede, vor allem als Versuch, politische und gesellschaftliche Reformen durch ein positives Narrativ zu legitimieren.
Die grundlegende Botschaft der Aufklärung war die Überwindung von Ignoranz und Vorurteilen durch den Einsatz der Vernunft. Immanuel Kant definierte die Aufklärung in seinem berühmten Aufsatz von 1784 als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Gemeint war damit die Befreiung des Individuums von der Bevormundung durch Kirche, Staat oder Tradition. Dabei betonte Kant die zentrale Rolle der Aufklärung als Selbstbestimmung und als Voraussetzung für moralisches und politisches Handeln. Trotz dieser idealistischen Grundgedanken wird die Aufklärung heute auch kritisch betrachtet.
Auf der politischen Linken wird sie teilweise als Ursprung moderner Formen von Rassismus und Kolonialismus interpretiert. Historiker und Kritiker weisen darauf hin, dass viele berühmte Aufklärer trotz ihres Einsatzes für Freiheit und Gleichheit auch von eurozentrischen und hierarchischen Weltbildern geprägt waren. Die mit der Aufklärung einhergehende wissenschaftliche und technologische Expansion diente nicht selten der Rechtfertigung imperialistischer Machtansprüche. Auch von konservativer Seite gibt es Widerstand gegen eine unkritische Verherrlichung der Aufklärung. Religiöse Kreise und sogenannte postliberale Denker warnen davor, dass Ideen wie Rationalismus und Individualismus traditionelle Werte von Familie, Gemeinschaft und Religiosität unterminieren könnten.
Für sie steht die Aufklärung für einen Bruch mit überlieferter Lebensweise und sozialer Ordnung, der in vielerlei Hinsicht als problematisch angesehen wird. In den letzten Jahrzehnten hat die Debatte um die Bedeutung der Aufklärung eine neue Dimension erhalten. Intellektuelle wie Steven Pinker haben eine optimistische Sicht vertreten und die Aufklärung fast uneingeschränkt als Motor menschlichen Fortschritts gefeiert. Pinker sieht in ihr den Ursprung von Wissenschaft, Menschenrechten und Demokratie, die er mit seiner Vorstellung eines technokratisch-liberalen Weltbilds verbindet. Zudem argumentiert er, dass die immensen Erfolge der Aufklärung die meisten Menschen davon überzeugen sollten, an deren Werte festzuhalten.
Demgegenüber haben Denker wie Susan Neiman und Samuel Moyn differenziertere Interpretationen vorgelegt. Neiman betont, dass die Aufklärung einen unvollendeten Auftrag trägt, der heute von progressiven Bewegungen weitergeführt werden sollte. Gleichzeitig warnt sie davor, dass eine verzerrte oder ideologisch besetzte „Woke“-Politik das ursprüngliche Aufklärungsprojekt unterminiert. Moyn sieht hingegen die Gefahr vor allem in der Anpassung linker Bewegungen an konservative Interessen, wodurch der emanzipatorische Kern der Aufklärung verloren gegangen sei. Eine besonders umfangreiche Aufarbeitung der Aufklärung leisteten Historiker wie Ritchie Robertson und Anthony Pagden.
Ihre Werke zeichnen ein Bild der Aufklärung als eine Epoche, die sich der menschlichen Verbesserung verschrieb und die Voraussetzungen für moderne Toleranz und Kosmopolitismus schuf. Jonathan Israel hebt zudem hervor, dass zahlreiche fundamentale Werte unserer liberalen Gesellschaft – von Menschenrechten über soziale bis hin zur sexuellen Gleichstellung – bereits im Umfeld der „radikalen Aufklärung“ des 17. Jahrhunderts angelegt wurden. Israel weist besonders auf die Bedeutung des niederländischen Philosophen Baruch Spinoza hin, dessen Denken wegweisend für die radikale Strömung war. Neben ihren positiven Seiten hat die Aufklärung jedoch nicht nur Zustimmung gefunden.
Besonders die Schriften von Max Horkheimer und Theodor Adorno aus den 1940er Jahren haben die andere Seite beleuchtet. Ihre „Dialektik der Aufklärung“ stellt dar, wie das Instrumentalisieren von Vernunft und Rationalität in totalitäre Systeme umschlagen kann. Nach ihnen mündete die Aufklärung in eine gefährliche Form von „instrumenteller Vernunft“, die die Menschlichkeit unterdrückt und mitverantwortlich für die Verbrechen des 20. Jahrhunderts sei. Damit haben sie einen wichtigen Beitrag zur kritischen Reflexion geleistet und gezeigt, dass Aufklärung kein einseitig positiver Fortschritt war.
Die Ambivalenz der Aufklärung spiegelt sich heute in den kontroversen Debatten wider, die im 21. Jahrhundert über ihre Erbschaft geführt werden. Die Frage, ob wir die Erben und Beschützer dieses Geistes sind oder ob wir uns kritisch von ihm distanzieren müssen, ist alles andere als einfach zu beantworten. In Zeiten, in denen populistische Bewegungen und ideologische Gräben tiefere gesellschaftliche Spaltungen bewirken, wirkt das Aufklärungsprojekt attraktiver denn je. Es verspricht Klarheit, Freiheit und Frieden.
Doch gleichzeitig konfrontiert es uns mit der Erkenntnis, dass der Anspruch universeller Vernunft nie unproblematisch war und nie sein wird. Insgesamt zeigt sich, dass die Aufklärung ein vielschichtiges historisches Phänomen bleibt, das sich nicht in einen einfachen Narrativ pressen lässt. Sie war und ist einerseits Quelle großer Ideale und wichtiger Errungenschaften wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Andererseits ist sie auch ein Komplex, in dem Widersprüche zwischen Fortschritt und Ausgrenzung, Aufklärung und Gewalt existieren. Gerade diese Widersprüche machen die historische Erfahrung der Aufklärung nach wie vor relevant für politische, kulturelle und philosophische Diskussionen.
Für unsere Gegenwart kann die aufklärerische Tradition somit sowohl eine Inspirationsquelle sein als auch eine Mahnung, die eigenen Annahmen und politischen Ziele kritisch zu hinterfragen. Der Diskurs um die Aufklärung zeigt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit der Geschichte nicht darin besteht, sie zu idealisieren oder zu verteufeln, sondern immer wieder neu auszuhandeln. Nur so kann der Geist der Vernunft lebendig bleiben und zu einem Instrument der Humanisierung beitragen – auch in Zeiten großer Unsicherheit und gesellschaftlicher Herausforderungen.