Soziale Medien sind aus dem Alltag von Jugendlichen längst nicht mehr wegzudenken. Mit einem fast universellen Zugang zu Plattformen wie Instagram, TikTok und Snapchat verändern sich nicht nur ihre Kommunikationswege, sondern auch die Art und Weise, wie sie sich selbst wahrnehmen und sozial interagieren. Gleichzeitig hat in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit für psychische Gesundheitsprobleme im Jugendalter zugenommen. Der Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und der psychischen Verfassung junger Menschen wird dabei zunehmend kontrovers diskutiert. Neue Forschungsergebnisse aus Großbritannien bieten tiefergehende Erkenntnisse darüber, wie Jugendliche mit und ohne diagnostizierte psychische Erkrankungen soziale Medien nutzen und wie sich ihre Erfahrungen unterscheiden.
Dieser differenzierte Blick ist entscheidend, um die Debatte zu versachlichen und gezielte Unterstützungsmöglichkeiten bereitzustellen. Die wachsende Bedeutung sozialer Medien begleitet eine besorgniserregende Entwicklung in der psychischen Gesundheit junger Menschen. Offizielle Zahlen zeigen, dass in Großbritannien inzwischen etwa jeder sechste Jugendliche im Alter von 7 bis 16 Jahren von einer wahrscheinlichen psychischen Erkrankung betroffen ist. Insbesondere zwischen 17 und 19 Jahren steigt die Prävalenz auf bis zu einem Viertel an. Diese Zunahme von psychischen Belastungen verlangt nach einem besseren Verständnis der Faktoren, die Einfluss nehmen – und hier werden soziale Medien häufig verantwortlich gemacht.
Viele Studien versuchen, einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und psychischen Symptomen wie Depression, Angst oder Essstörungen zu erfassen. Häufig wird dabei die Zeit, die Jugendliche in sozialen Netzwerken verbringen, als Indikator genutzt. Allerdings zeigen Ergebnisse überwiegend geringe Zusammenhänge und widersprüchliche Befunde, was auch darauf hinweist, dass entscheidende individuelle Unterschiede oft nicht berücksichtigt werden. Unterschiede im Alter, Geschlecht und kulturellen Hintergründen können die Art und Weise stark beeinflussen, wie soziale Medien Wirkung entfalten. Ein besonderer Kritikpunkt vieler Untersuchungen ist die oft fehlende Differenzierung zwischen Jugendlichen mit klinisch relevanten psychischen Erkrankungen und solchen, die zwar belastet sind, aber keine formale Diagnose besitzen.
Viele Studien ziehen Teilnehmer aus Schulen oder der Allgemeinbevölkerung heran und nutzen Selbstauskunftsinstrumente, um Symptome zu erfassen. Diese Ansätze verfehlen jedoch meist die differenzierte Betrachtung der verschiedenen Krankheitsbilder und deren Schweregrade. Ein starker Kontrast besteht zwischen Jugendlichen, die nur punktuell Symptome zeigen, und solchen, die tatsächlich diagnostizierte psychische Störungen haben und gegebenenfalls in Behandlung sind. Eine groß angelegte Studie, die 2017 in England durchgeführt wurde, unterscheidet sich von vielen bisherigen Untersuchungen durch die Verwendung eines klinisch validierten Diagnoseinstruments, bei dem Fachleute anhand strukturierter Interviews zu klaren Diagnosen kommen. In einer Stichprobe von über 3.
300 Jugendlichen im Alter von 11 bis 19 Jahren wurden sowohl quantifizierbare Daten über die Zeitspanne der Social-Media-Nutzung als auch qualitative Informationen über verschiedene Nutzungsarten und deren emotionale Verarbeitung erhoben. Dadurch konnte erstmals systematisch untersucht werden, wie sich das Nutzungsverhalten zwischen Jugendlichen mit und ohne mentale Erkrankungen unterscheidet. Das Ergebnis zeigt, dass Jugendliche mit einer diagnostizierten psychischen Erkrankung generell mehr Zeit in sozialen Netzwerken verbringen als ihre nicht betroffenen Altersgenossen. Besonders auffällig ist, dass junge Menschen mit sogenannten internalisierenden Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen deutlich mehr Zeit online sind, sich häufiger mit anderen vergleichen und stärker auf Rückmeldungen (zum Beispiel Likes oder Kommentare) emotional reagieren. Sie sind weniger zufrieden mit der Anzahl ihrer Online-Freundschaften und neigen dazu, weniger ehrlich oder offen im Netz zu kommunizieren.
Diese Befunde illustrieren die emotionale Belastung und den Gebrauch sozialer Medien als teilweise Bewältigungsstrategie, gleichzeitig aber auch als Faktor, der das Wohlbefinden negativ beeinflussen kann. Jugendliche mit externalisierenden Erkrankungen, wie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Verhaltensstörungen, zeigen zwar auch eine Tendenz, mehr Zeit in sozialen Medien zu verbringen, allerdings unterscheiden sich ihre Nutzungsmuster weniger stark in qualitativen Aspekten. Sie berichten zum Beispiel nicht über starke Veränderungen im Gefühl von Kontrolle über die Onlinezeit oder im emotionalen Erleben von Feedback. Dies kann mit den typischen Symptomen dieser Erkrankungen, die oft mehr auf Impulsivität und Kontaktfreudigkeit abzielen, erklärt werden. Die Ergebnisse heben mehrere wichtige Aspekte hervor.
Zum einen zeigt sich, dass die Zeit in den sozialen Medien allein kein ausreichendes Maß ist, um den Einfluss auf die psychische Gesundheit zu bewerten. Qualitative Dimensionen wie das emotionale Erleben, die Art der Interaktion und das Selbstbild sind zentrale Faktoren, die differenzierter betrachtet werden müssen. Zum anderen unterstreichen die Unterschiede zwischen internen und externen Formen psychischer Erkrankungen, wie vielfältig die Herausforderungen im digitalen Raum sind und dass Schutzmaßnahmen und Interventionen entsprechend angepasst werden sollten. Ein weiterer Befund ist die Unzufriedenheit mit Online-Freundschaften bei betroffenen Jugendlichen. Soziale Verbundenheit ist nachweislich ein starker Schutzfaktor für psychische Gesundheit, und Schwierigkeiten, befriedigende Beziehungen zu knüpfen oder sich anerkannt zu fühlen, wirken sich negativ aus – sowohl offline als auch online.
Die Diskrepanz zwischen der Zahl der Online-Kontakte und dem subjektiven Wohlbefinden zeigt, dass Quantität im sozialen Netzwerk nicht mit Qualität gleichzusetzen ist. Was bedeutet das für die Praxis und die politische Diskussion? Die Studie nähert sich mit einem differenzierten methodischen Ansatz der Realität der Jugendlichen an und liefert keine Vereinfachungen oder überstürzte Schuldzuweisungen an digitale Medien. Vielmehr wird klar, dass soziale Medien eine komplexe Rolle spielen, die je nach psychischem Hintergrund ganz unterschiedlich erlebt wird. Für Klinikerinnen und Klinikern eröffnen sich Ansatzpunkte, um bei jugendlichen Patientinnen und Patienten gezielt Themen wie den Umgang mit sozialem Vergleich, die Wahrnehmung von Feedback und Strategien der Selbstoffenbarung zu thematisieren. Psychoedukative Maßnahmen und Interventionen können hier helfen, Risiken zu reduzieren und Nutzungsweisen zu fördern, die eher unterstützend wirken.
Zudem können die Erkenntnisse Entscheidern in Politik und Bildung als Grundlage dienen, um regelnde Maßnahmen zur Bildschirmzeitbegrenzung kritisch zu hinterfragen und stattdessen auf differenzierte Prävention zu setzen. Vor allem ist die Förderung von Medienkompetenz und die Schaffung eines schulischen und sozialen Umfelds wichtig, in dem Jugendliche lernen, soziale Medien reflektiert zu nutzen und negative Wirkungen frühzeitig zu erkennen. Die Studie weist auch auf offene Fragen und Forschungsbedarf hin. Da die Erhebung Querschnittsdaten verwendet, ist es nicht möglich, Ursache und Wirkung eindeutig zu trennen. Es bleibt unklar, ob die psychische Erkrankung zu vermehrter Nutzung führt oder ob bestimmte Social-Media-Muster psychische Belastungen verstärken.
Langfristige Beobachtungen und experimentelle Studien sind nötig, um diese Dynamik besser zu verstehen. Außerdem müsste untersucht werden, wie sich die schnelle evolutionäre Entwicklung sozialer Medien, etwa durch neue Apps oder Funktionen, auf diese Zusammenhänge auswirkt. Auch der Einfluss von soziokulturellen Faktoren außerhalb Großbritanniens sollte verstärkt einbezogen werden, um global gültige Erkenntnisse zu erhalten. Abschließend lässt sich sagen, dass soziale Medien ein fester Bestandteil im Leben von Jugendlichen sind und viele, vor allem vulnerable junge Menschen aus unterschiedlichsten Gründen verstärkt online aktiv sind. Ein pauschales Verurteilen oder Verharmlosen greift zu kurz.
Vielmehr ist es notwendig, den Blick zu schärfen und die Vielfalt der Erfahrungen und psychischen Zustände zu berücksichtigen. Nur so können wir Wege finden, den digitalen Raum sicherer und unterstützender zu gestalten, damit Jugendliche ihre Online-Zeit positiv erleben und ihre psychische Gesundheit gefördert wird.