In der heutigen digitalen und kulturellen Landschaft gewinnt das Konzept der Agency in Spielen und immersiven Erfahrungen zunehmend an Bedeutung. Viele Menschen sehnen sich nach Kontrolle, nach Freiheit, das eigene Handeln in virtuellen oder künstlerischen Welten einschränkungslos zu gestalten. Doch wie frei sind wir tatsächlich in diesen Welten? Und wie verhält sich die Vorstellung von Agency in Spielen und immersiven Erlebnissen zu unserem realen Leben? Die Untersuchung dieser Fragen führt uns zu einer spannenden Unterscheidung zwischen sogenannter Agency und dem vielleicht bedeutsameren Konzept der Souveränität – mit Auswirkungen für Design, Gesellschaft und individuelle Erfahrung zugleich. Der Begriff Agency beschreibt schlicht die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und Einfluss auf den Verlauf der eigenen Erfahrungen zu nehmen. In vielen Medien, etwa Büchern oder Filmen, ist das Publikum weitgehend passiv.
Anders in Spielen, immersiven Theatern oder multisensorischen Installationen: Hier agieren die Teilnehmer*innen aktiv und erleben eine erweiterte Form der Teilhabe. Diese interaktive Dimension hat stark an Popularität gewonnen – nicht zuletzt, weil Menschen in ihrer modernen Lebenswelt häufig das Gefühl empfinden, die Kontrolle zu verlieren. Strenge gesellschaftliche Zwänge, begrenzte Ressourcen und scheinbar unbeeinflussbare Rahmenbedingungen führen dazu, dass virtuelle Welten oft als Flucht und Oase empfunden werden. Ein kritischer Blick auf die behauptete Mehrfreiheit zeigt jedoch, dass der Umfang tatsächlicher Entscheidungsfreiheit in Spielen oft hochgradig strukturiert ist. Selbst komplexe Open-World-Games oder Escape Rooms setzen ihren Nutzer*innen klare Grenzen und Rahmenbedingungen, innerhalb derer Entscheidungen getroffen werden können.
Selbst die symbolische Freiheit, in einem immersiven Theaterstück wie Sleep No More durch verschiedene Räume zu wandern, ist begrenzt: Die Zuschauer*innen sind eher beobachtende Gestalten als aktive Gestalter*innen. Die berühmte Aussage von Felix Barrett bringt es auf den Punkt: Die vermeintliche Agency ist oft eine Illusion, in der wir höchstens die Position wechseln können, von der aus wir die Geschichte wahrnehmen. Philosoph C. Thi Nguyen bringt hier einen essenziellen Gedanken ein: Die Einengung oder „Kristallisation“ von Agency ist gerade das, was Spiele als Kunstform ausmacht. Unterschiede und Einschränkungen machen die Struktur und damit das Erlebnis spannend und nachvollziehbar.
Die Freiheit im Spiel bedeutet nicht uneingeschränkte Freiheit, sondern eine Freiheit innerhalb eines Regelwerks, die Gefallen an Herausforderung und Kontrolle verbindet. Noch faszinierender ist die Verbindung von Agency mit dem Konzept der Souveränität. Ursprünglich aus der politischen Welt entlehnt, bezeichnet Souveränität die absolute Herrschaft einer Entität über ein Territorium. Im Neoliberalismus wurde diese Vorstellung auf den Konsum übertragen: Der „souveräne Konsument“ ist frei und autonom in seinen Kaufentscheidungen, sein Handeln gilt als rational und unumstößlich. Auch wenn diese Vorstellung heute vielfach als unrealistisch erkannt wird – Konsument*innen sind beeinflusst durch Werbung, sozial bedingte Präferenzen und ökonomische Zwänge –, prägt die Idee einer souveränen Entscheidungsfreiheit noch immer das Verständnis von Individualität und Freiheit.
In Spielen spiegelt sich die Sehnsucht nach Souveränität wider. Besonders Einzelspieler-Rollenspiele vermitteln eine Illusion, in der alle Ereignisse unter alleiniger Kontrolle der Spieler*innen stehen. Der Reiz daran liegt nicht unbedingt im Gewinnen, sondern in der Möglichkeit, Situationen selbst zu bestimmen und nicht fremdgesteuert zu sein. Damit entsteht eine virtuelle Macht, die vielen im echten Leben oft verwehrt bleibt. Doch gerade in kooperativen oder sozialen Spielen ändert sich dieses Bild grundlegend.
Hier steht nicht mehr die uneingeschränkte Selbstbestimmung, sondern das Zusammenspiel voneinander abhängiger Individuen im Vordergrund. Soziale Interaktion verlangt Kompromisse, Verhandlungen und Rücksichtnahme. Hannah Arendt sah diese Spannung bereits vor Jahrzehnten: Wahre Souveränität ist mit Pluralität, also einer Gesellschaft aus vielen Individuen, nicht vereinbar. Wird die Rolle der anderen Spieler*innen ernstgenommen, steht man immer vor der Herausforderung, eigene Wünsche gegen die der Gruppe abzuwägen. Nicht jede Entscheidung wird voll anerkannt, und Konflikte sind vorprogrammiert.
Die Herausforderung für moderne Spieldesigner*innen besteht daher darin, Räume zu schaffen, in denen nicht nur souveräne Freiheiten geträumt werden, sondern in denen die Mitspieler*innen miteinander umgehen können, ohne sich gegenseitig zu dominieren oder auszuschließen. Das Design solcher sozialen Umgebungen gestaltet sich komplex, denn Konzepte wie Anerkennung, Vertrauen und Kooperation müssen systemseitig unterstützt werden. Einige Entwickler*innen versuchen, soziale Interaktion ganz auszuklammern oder durch computergesteuerte Bots zu ersetzen, um Konflikte zu vermeiden. Andere wiederum suchen nach Prinzipien, die ein prosozial orientiertes Miteinander fördern. Ein vielversprechendes Feld in diesem Zusammenhang sind nicht-digitale Rollenspiele, insbesondere sogenannte Nordic Larp-Formate.
Hier wird das Spiel von den Teilnehmenden und Spielleiter*innen gemeinsam gestaltet, oft mit einem Fokus auf realweltlich relevante, auch schwierige Themen wie Trauma oder soziale Ungerechtigkeit. Diese Form des Spiels fordert die Spieler*innen heraus, Verantwortung füreinander zu übernehmen und gemeinsam an der Atmosphäre und dem Ergebnis zu arbeiten – ganz im Sinne einer emergenten kollektiven Agency. Die Methoden der Sicherheit und Abstimmung, die im Nordic Larp entwickelt wurden, haben längst Eingang in andere Rollenspielsysteme gefunden. Sie geben den Spieler*innen das Vertrauen, auch heikle Themen anzusprechen und auszuspielen. Gleichzeitig stärken sie soziale Kompetenz und die Fähigkeit, in komplexen Gemeinschaften zu agieren.
Das hat nicht nur spielerische, sondern auch politische und gesellschaftliche Auswirkungen: Skills für reale Zusammenarbeit, Sensibilität für andere und Mut zum gemeinsamen Entdecken wachsen. Agency bleibt somit ein wichtiger, aber unzureichender Begriff, um das Potenzial immersiver Erfahrungen zu beschreiben. Die gängigen Fantasien von allumfassender Souveränität sind ein durchaus attraktives Versprechen, das zugleich ein Abbild moderner Sehnsüchte nach Kontrolle und Selbstbestimmung ist. Doch wahre Freiheit entsteht erst in der Balance von individueller Handlungsmacht und sozialer Verantwortung, in der Anerkennung der Pluralität und Unberechenbarkeit anderer Menschen. Designs, die diese komplexen Dynamiken integrieren, eröffnen wesentlich reichere Erfahrungen und legen den Grundstein für gesellschaftlichen Zusammenhalt und empathische Begegnungen.