Der Fintech-Konzern Wise, gegründet von zwei estnischen Unternehmern, plant seine Hauptnotierung von der Londoner Börse (LSE) nach New York zu verlagern. Dieses Vorhaben unterstreicht nicht nur die zunehmende Attraktivität der US-amerikanischen Finanzmärkte für Technologieunternehmen, sondern auch die Schwierigkeiten, denen die Londoner Börse in den letzten Jahren gegenübersteht, wenn es darum geht, innovative Unternehmen als langfristige Börsenteilnehmer zu halten. Wise, vielfach als einer der Vorreiter der digitalen Finanzdienstleistungen angesehen, hat sich seit seinem Börsengang im Jahr 2021 erheblich weiterentwickelt. Seine Marktkapitalisierung wuchs von damals etwa 11 Milliarden US-Dollar auf nunmehr knapp 17 Milliarden. Dennoch scheint das Unternehmen im Sinne weiterer Expansion und größerer Kapitalmarktzugänge in den USA bessere Perspektiven zu sehen.
Der Londoner Börsenplatz hat sich historisch als eine der wichtigsten Finanzdrehscheiben Europas etabliert. Über Jahrzehnte hinweg zog er Unternehmen aus zahlreichen Branchen an, besonders solche aus dem Finanzdienstleistungssektor. Doch der Anspruch, zum europäischen Zentrum für Technologiefirmen zu avancieren, hat sich zuletzt als schwerer Brocken erwiesen. Die Abwanderung großer und innovativer Unternehmen, darunter neben Wise auch Branchenriesen wie Arm Holdings und Darktrace, ist symptomatisch für systematische Herausforderungen, die London derzeit beeinträchtigen. Diese Herausforderungen sind vielfältig.
Neben makroökonomischen Schwankungen, wie den Auswirkungen der Corona-Pandemie, sind es insbesondere zwei Faktoren, die vielfach genannt werden: begrenzte Liquidität an der Börse und Regulierungsunsicherheiten. Die Liquidität ist ein entscheidendes Kriterium für Unternehmen, die auf der Suche nach Investoren sind. Die New Yorker Börsen, insbesondere die New York Stock Exchange (NYSE) und die Nasdaq, bieten hier eine deutlich größere Tiefe und Reichweite an Kapitalmarktteilnehmern. Für Wise bedeutet der Schritt nach New York auch, potenziell in bedeutendere US-amerikanische Aktienindizes aufgenommen zu werden – ein Umstand, der die Sichtbarkeit und Attraktivität der Aktie auf dem Investorenmarkt erheblich steigern kann. Die regulatorische Landschaft in Großbritannien hat ebenfalls eine Rolle bei der Entscheidung von Unternehmen gespielt.
Obwohl die britische Finanzaufsichtsbehörde (Financial Conduct Authority, FCA) im Juli letzten Jahres neue Regelungen eingeführt hat, die es Firmen erleichtern sollen, an der Hauptbörse zu notieren und von der Alternative Investment Market (AIM) in den Hauptmarkt zu wechseln, konnten diese Reformen bislang nur begrenzt positive Effekte zeigen. Einige Marktteilnehmer berichten weiterhin von komplexen Compliance-Anforderungen und einem weniger dynamischen Umfeld verglichen mit den USA. Die Verlagerung von Wise ist mehr als nur ein Einzelfall. Sie steht exemplarisch für eine anhaltende Tendenz: London verliert zunehmend innovative und wachstumsorientierte Firmen an die USA. Diese Entwicklung könnte langfristig die Rolle Londons als internationales Finanzzentrum schwächen.
Die Gründe hierfür sind neben den bereits angesprochenen Faktoren auch auf eine gewisse strategische Zurückhaltung und politische Unsicherheit in Bezug auf die europäische Integration und Handelsbeziehungen zurückzuführen. Die USA locken mit einem dynamischeren Marktumfeld, einer starken Investorengemeinschaft und besseren Wachstumschancen. Wise selbst verfolgt mit der Listenverlegung klare Ziele. Zum einen will das Unternehmen durch den Neubörsengang in den USA seine Sichtbarkeit unter amerikanischen Anlegern erhöhen, was sich direkt auf die Liquidität der Aktie und die Kapitalbeschaffung auswirken kann. Zum anderen hofft Wise, durch den Zugang zu größeren und vielseitigeren Finanzmärkten weitere Wachstumsmöglichkeiten voranzutreiben und sich als globaler Player im Bereich der digitalen Geldtransfers zu positionieren.
Für Investoren ergibt sich aus der geplanten Verschiebung der Hauptnotierung eine neue Perspektive. Während die Positionierung in New York den Zugang zu einem breiteren Spektrum institutioneller und privater Investoren ermöglicht, bleibt abzuwarten, wie sich die Abhängigkeit von den US-Märkten auf die Unternehmensbewertung und die Volatilität auswirkt. Für die britischen Anteilseigner könnte dies auch bedeuten, dass sie sich auf veränderte Handelsbedingungen und möglicherweise auf eine andere regulatorische Behandlung einstellen müssen. Die Diskussion rund um die Verlagerung von Hauptnotierungen ist zugleich ein Spiegelbild der globalen Verschiebungen im Finanzsektor. Neben Wise haben schon andere bedeutende britische Unternehmen den Schritt gewagt oder darüber nachgedacht.
Die Londoner Börse reagiert mit verschiedenen Initiativen, um ihr Profil zu schärfen und wettbewerbsfähiger zu werden. Doch die Dynamiken scheinen sich nicht einfach durch regulatorische Maßnahmen zu dämpfen, sondern bedürfen eines umfassenden Umdenkens hinsichtlich der Marktaufstellung und der Zugänglichkeit für technologieaffine und innovative Firmen. Darüber hinaus wirft der Fall Wise Fragen zur Zukunft der europäischen Finanzplätze insgesamt auf. Während Städte wie Frankfurt, Paris oder Amsterdam ebenfalls versuchen, von den geopolitischen Veränderungen und dem Brexit zu profitieren, bleibt die Antwort darauf, welche europäische Metropole letztlich zum präferierten Standort für Technologiefirmen und Fintechs avanciert, noch offen. Das globale Kapital sucht zunehmend Standorte mit hoher Marktliquidität, effizienten Regulierungsbehörden und einer starken Innovationskultur – Kriterien, bei denen New York derzeit die Nase vorn hat.
Zusammenfassend zeigt die geplante Verlegung der Hauptnotierung von Wise nach New York exemplarisch die Herausforderungen, denen sich die Londoner Börse gegenübersieht, sowie die Chancen, die der US-Markt für Fintech-Unternehmen bietet. Während London weiterhin ein bedeutendes Finanzzentrum bleibt, wirkt die Abwanderung von Technologiefirmen wie Wise wie ein Warnsignal, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, um die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber internationalen Märkten zu bewahren. Für Wise könnte der Schritt ein entscheidender Meilenstein für weiteres Wachstum und weltweite Expansion sein – und ein wegweisendes Beispiel für andere europäische Fintechs, die vor ähnlichen strategischen Entscheidungen stehen.