Körperliche Fitness gilt seit langem als ein starker Indikator für Gesundheit und Langlebigkeit. Zahlreiche epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass Menschen mit besserer Ausdauer und höherer körperlicher Leistungsfähigkeit ein geringeres Risiko haben, frühzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder anderen Krankheiten zu sterben. Doch jüngste umfassende Untersuchungen legen nahe, dass diese Korrelation nicht so einfach interpretiert werden kann, wie es bislang oft angenommen wurde. Der zentrale Punkt ist, dass genetische Veranlagungen und familiäre Umstände eine bedeutende Rolle spielen und den scheinbaren Nutzen körperlicher Fitness hinsichtlich des Sterblichkeitsrisikos verfälschen können. Um ein vollständigeres Verständnis zu erhalten, muss der Einfluss dieser verborgenen Faktoren genauer betrachtet werden.
Eine umfangreiche Studie an über einer Million schwedischer Männer, die im Jugendalter kardiovaskuläre Fitness durch standardisierte Leistungstests ermittelten, liefert dabei wichtige Erkenntnisse. Diese Probanden wurden über mehrere Jahrzehnte hinsichtlich ihrer Mortalität beobachtet, wobei der gesamte Zeitraum bis zu einem Alter von etwa 60 Jahren reichte. Die Forscher analysierten neben allen Todesursachen auch spezifische Kategorien wie Krebstodesfälle, kardiovaskuläre Todesfälle und Unfälle. Um den möglichen Einfluss nicht kausaler Faktoren auszuschließen, verwendeten sie eine sogenannte negative Kontrollmethode, bei der der Zusammenhang zwischen Fitness und Todesfällen durch Unfälle untersucht wurde, da Fitness vermutlich keinen unmittelbaren Einfluss auf Unfallwahrscheinlichkeiten haben sollte. Darüber hinaus ermöglichten Geschwistervergleichsstudien die Kontrolle für genetische und gemeinsame Umweltfaktoren, die sonst schwer messbar sind.
Die Ergebnisse waren überraschend: Obwohl körperlich fitte Jugendliche in der Tat ein signifikant geringeres Risiko für vorzeitigen Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs zeigten, war die Assoziation zu Todesfällen durch Unfälle praktisch genauso stark. Dies deutet darauf hin, dass Faktoren wie familiäre Verhältnisse, genetische Veranlagungen oder sozioökonomische Bedingungen – die zwischen Geschwistern geteilt werden – einen großen Einfluss auf die beobachteten Risikoreduktionen haben. Die Geschwisteranalysen zeigten eine Abschwächung der Zusammenhänge, doch bestanden auch nach Kontrolle für solche familiären Merkmale noch Unterschiede. Diese Befunde werfen ernsthafte Zweifel an der oft angenommenen Kausalität der Verbindung zwischen Fitness und langfristiger Gesundheit auf.Dass genetische Faktoren bei der Ausprägung der körperlichen Leistungsfähigkeit eine große Rolle spielen, ist bereits gut belegt.
Studien an Zwillingen und Geschwistern haben gezeigt, dass Variationen in der maximalen Sauerstoffaufnahme und anderen Fitnessparametern zu einem bedeutenden Teil erblich sind. Ebenso wird das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs und andere chronische Krankheiten durch genetische Prädispositionen mitbestimmt. Darüber hinaus beeinflusst das familiäre Umfeld Bildungsniveau, Einkommensverhältnisse, Gesundheitsverhalten und Zugang zu medizinischer Versorgung – alles Faktoren, die sowohl die körperliche Fitness als auch die Sterblichkeitsrisiken formen. Somit lassen sich soziale und genetische Einflüsse nur schwer getrennt vom Effekt der körperlichen Fitness untersuchen.Die Studie aus Schweden verdeutlicht, dass der zuvor stark betonte Zusammenhang zwischen Jugendfitness und späterer Gesundheit mit Vorsicht interpretiert werden muss.
Es besteht die Möglichkeit, dass der soziale Status, Veranlagungen und gemeinsame familiäre Verhaltensmuster für einen Großteil der beobachteten besseren gesundheitlichen Ergebnisse verantwortlich sind. Selbst wenn körperliche Aktivität und Fitness als positive Gesundheitsmodulatoren wirken – was in experimentellen Studien grundsätzlich unterstützt wird – könnten die Effekte auf die Sterblichkeit insgesamt kleiner sein als angenommen. Dies fordert ein differenzierteres Verständnis darüber, wie präventive Maßnahmen zur Förderung von Fitness in der Bevölkerung bewertet werden.Andere methodische Ansätze könnten helfen, den Einfluss dieser Störfaktoren weiter zu klären. Dazu zählen Mendelian-Randomisierung-Studien, welche genetische Varianten als instrumentalvariablen verwenden, um kausale Effekte abzuleiten, sowie internationale Studien mit unterschiedlichen sozialen und genetischen Rahmenbedingungen.
Auch der Einbezug von Zwillingsstudien oder langjährigen randomisierten Interventionsstudien könnte dabei helfen, die Frage der Kausalität zu beantworten. Aktuelle Daten legen zudem nahe, dass sozioökonomische Ungleichheiten in der Gesellschaft eine bedeutende Ursache für ungleiche Gesundheitschancen sind und einen starken Einfluss auf die Fitness haben. Gesundheitspolitische Maßnahmen sollten daher breiter gefasst werden und neben der Förderung der körperlichen Aktivität auch gezielt soziale Determinanten adressieren.Wichtig ist, festzuhalten, dass der positive Einfluss regelmäßiger Bewegung auf die Gesundheit und das Wohlbefinden nicht infrage gestellt wird. Bewegung verbessert zahlreiche physiologische Funktionen, stärkt das Immunsystem und fördert die mentale Gesundheit.
Dennoch muss die Interpretation der Überlebensdaten differenzierter erfolgen, denn eine einfache Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Fitness und Lebenserwartung ist durch genetische und soziale Faktoren kompliziert. Es ist somit essenziell, weitere Forschung zu betreiben, um die objektive Bedeutung von Fitness als Zielgröße in der Prävention zu bewerten, ohne dabei von statistischen Verzerrungen irregeführt zu werden.Abschließend lässt sich sagen, dass die Korrelation zwischen körperlicher Fitness und Sterblichkeitsrisiko durch genetische und familiäre Einflüsse stark verfälscht sein kann. Ein tieferes Verständnis dieser Zusammenhänge ist notwendig, um realistische gesundheitspolitische Entscheidungen zu treffen und Ressourcen effektiv einzusetzen. Die Förderung von körperlicher Bewegung bleibt dabei eine wichtige Säule, sollte jedoch im Kontext umfassender sozialer und genetischer Faktoren gesehen werden, die das Risiko für Krankheiten und vorzeitigen Tod maßgeblich beeinflussen.
Nur durch die Kombination verschiedener wissenschaftlicher Methoden und interdisziplinärer Ansätze wird es möglich sein, die komplexen Wechselwirkungen zwischen Körper, Genetik und Umwelt vollständig zu verstehen und im Sinne einer besseren Gesundheitspolitik zu nutzen.