In einer Welt, die sich zunehmend durch technologische Innovationen und Digitalisierung definiert, steht die klassische Vorstellung von Imperien vor einer fundamentalen Transformation. Während historisch betrachtet Macht in erster Linie durch die Kontrolle von geografischen Territorien, Ressourcen und militärischer Stärke bestimmt wurde, zeichnet sich heute eine völlig neue Spielart geopolitischer Dominanz ab – ein Zeitalter, das von Mikrochip-Technologien und der Errichtung virtueller Welten geprägt ist. Dieses Phänomen ist zentral für das Verständnis der zukünftigen globalen Machtverhältnisse und markiert eine Wende von physischen zu digitalen Imperien. Der Autor Bruno Maçães beschäftigt sich in seinem Buch „World Builders: Technology and the New Geopolitics“ mit der Idee, dass künftige Supermächte nicht mehr über Landflächen herrschen werden, sondern als Betreiber umfassender, künstlich geschaffener Realitäten auftreten. Dabei beschreibt er ein Szenario, in dem Gesellschaften tief in sogenannte Metaversen eingebettet sind – digitale Universen, die von einer zentralen Instanz kontrolliert und gestaltet werden.
Diese Entwicklung würde eine neue Dimension staatlicher Souveränität einläuten, in welcher die Grenzen zwischen Regierung, Technologie und Alltag vollständig verschwimmen. Der Weg zu solch einer künftigen Ordnung ist untrennbar mit der technologischen Entwicklung der Mikroprozessoren verbunden. Diese winzigen Bauteile sind das Rückgrat fast aller modernen Systeme, seien es Kommunikationsnetze, Finanzsysteme, medizinische Geräte oder militärische Ausrüstung. Ihre geografische Herstellung ist hochspezialisiert und konzentriert in wenigen Ländern – insbesondere im Westen und China. Diese Konzentration hat enorme strategische Bedeutung, wird doch um die Beherrschung der Mikrochip-Produktion ein geopolitischer Wettbewerb geführt, der bereits mit den Maßnahmen der US-Regierung unter Donald Trump begonnen hat.
Die USA erkannten frühzeitig die sicherheitspolitische Dimension der Halbleiterindustrie und versuchten, Fertigungskapazitäten zu kontrollieren, um konkurrenzlos zu bleiben. China hingegen verfolgt mit großer Entschlossenheit eine eigene Strategie zur Sicherung dieser „digitalen Schlüssel“. Die Betonung durch chinesische Führungspersönlichkeiten auf die Wichtigkeit von Kerntechnologien im Internet unterstreicht die tiefe Erkenntnis, dass Mikrochip-Produktion und digitale Infrastruktur die neuen Machtzentren der Welt sind. Dieses Wettrennen um technologische Vormacht symbolisiert den Abschied von klassischen imperalen Territorien hin zu einer durch Technologie definierten Machtarchitektur. Die Vorstellung, dass dieser Paradigmenwechsel ausschließlich zu mehr Freiheit und Individualismus führen wird, wird von Maçães kritisch hinterfragt.
Die mögliche Folge der digitalen Dominanz ist vielmehr die Entstehung sogenannter „Staatsmetaversen“, in denen der Einfluss staatlicher Autoritäten auf alle Bereiche des Lebens noch zentraler wird. Denn in einem solchen System vermischen sich virtuelle Welten mit politischer Kontrolle, so dass private und öffentliche Sphären kaum noch unterscheidbar sind. Es entsteht eine Form der Herrschaft, die weit über herkömmliche Überwachung hinausgeht und tief in die Gestaltung unserer Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten eingreift. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Wandels ist die Rückkehr und Neugestaltung industrieller Politiken, die durch die Pandemie COVID-19 beschleunigt wurde. Die Lockdowns und Reaktionsmechanismen der Staaten zeigten, dass soziale und wirtschaftliche Ordnungen sukzessive durch digitale Systeme gestaltbar sind.
Das virtuelle Umfeld wird zum Ort radikaler sozialer Experimente, in denen traditionelle Grenzen überschritten werden können – mit weitreichenden Konsequenzen für Freiheit, Governance und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Trotz dieser technologischen Ambitionen bleibt jedoch die Realität oft widersprüchlich. Maçães verweist zum Beispiel auf den aktuellen Konflikt in der Ukraine, in dem die USA versuchen, durch wirtschaftliche Sanktionen und strategische Kontrolle der Energieversorgung Russland zu schwächen. Diese Maßnahmen sind Ausdruck einer neuen Kriegsführungsebene, bei der es nicht mehr um direkte Gefechte, sondern um die Steuerung globaler Systeme geht. Gleichzeitig scheitern manche dieser Maßnahmen an der Komplexität globaler Netzwerke und der Existenz von „Graumarkt“-Akteuren, die sich staatlicher Kontrolle entziehen.
Die technische und politische „Systemkriegsführung“ steht damit auf tönernen Füßen, besonders angesichts der Realitäten multipler Interessen und Interdependenzen. Darüber hinaus wird der Übergang zu erneuerbaren Energien als unerlässlicher Schritt für diese künftige Weltordnung bewertet. Wind- und Solarenergie bieten die Perspektive für eine neue Energieinfrastruktur, die weniger von traditionellen Ressourcen und geografischen Beschränkungen abhängt. Diese neue Freiheit von physischen Zwängen könnte militärische und geopolitische Macht neu definieren, ähnlich der Erfindung der Dampfschifffahrt vor Jahrhunderten. Allerdings müsste dieser Fortschritt von einer umfassenden Infrastruktur begleitet werden, die Land basierte Strategien weiterhin notwendig macht – ein Aspekt, der gelegentlich in den Zukunftsvisionen mitunter übersehen wird.
Philosophisch wirft die Vorstellung einer vollkommen künstlichen, von Menschen geschaffenen Weltordnung fundamentale Fragen nach der Natur des Seins und der Freiheit auf. Maçães zieht Drawings von Immanuel Kant heran, der moralisches Handeln als vor allem kohärent und universal verstand, und konfrontiert dieses Bild mit einer betont aristotelischen Sicht, die die Unauflöslichkeit von Form und Materie betont. Die „technologische Ordnung“ kann damit nie vollkommen sein, da sie stets ontologisch fragil bleibt und grundlegende Naturgesetze und menschliche Bedürfnisse nicht außer Kraft setzen kann. Die Debatte über die Zukunft der Imperien ist zugleich technologische Herausforderung und philosophische Grundsatzfrage. Sie betrifft die Art und Weise, wie Gesellschaften Macht konstituieren, wie Menschen in einer zunehmend digitalen Welt leben, und wie politische Autorität legitimiert werden kann oder sich neu erfinden muss.
Die Macht der Zukunft wird nicht mehr allein auf See- oder Landherrschaft beruhen, sondern auf der Fähigkeit, digitale und reale Welten miteinander zu verweben und die Kontrolle über komplexe Systeme zu erlangen. Mit der Dominanz von Mikrochip-Technologie und digitalen Systemen steht die Welt vor einer möglichen zweiten Genesis – einer Schöpfung neuer virtueller Universen, die von wenigen Supermächten geformt werden. Dies stellt uns vor grundlegende Fragen, welche Freiheiten und Verantwortlichkeiten wir als Gesellschaft akzeptieren wollen, und welche Rolle Technologie dabei spielt, die Grenzen unserer Wirklichkeit neu zu definieren. Letztlich ist die Zukunft der Imperien kein festgeschriebenes Script, sondern ein dynamischer Prozess, in dem wir als Gesellschaft mitbestimmen können, ob wir uns in digitale Systeme einfügen oder diese kritisch gestalten werden. Die Geschichte zeigt, dass Macht immer auch von Gegenbewegungen begleitet wird.
Ob die digitale Weltherrschaft gelingt und welche Konsequenzen dies für Freiheit, Sicherheit und menschliche Autonomie haben wird, bleibt eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit.