Der Begriff „Altcoin Season“ hat in der Welt der Kryptowährungen lange Zeit eine magische Anziehungskraft ausgeübt. Er beschreibt jene Phasen, in denen alternative Kryptowährungen – Altcoins – Bitcoin in ihrer Wertentwicklung übertreffen. Diese Perioden galten traditionell als kurze, intensive Phasen, die nach einer Bitcoin-Rallye stattfinden. Doch die Daten aus den letzten Monaten und Jahren zeichnen ein differenzierteres Bild, das viele Experten bereits dazu veranlasst, eine grundsätzliche Neubewertung vorzunehmen. Die lang erwartete Altcoin Season für 2024 scheint nicht nur nahe zu sein, sondern sogar schon begonnen zu haben – jedoch in einer Form, die sich deutlich von früheren Zyklen unterscheidet.
Früher war die Altcoin Season oftmals klar definiert, beispielsweise durch die Blockchain Center Altseason Index-Metrik, welche anzeigt, ob mindestens 75 % der Top 50 Altcoins innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen Bitcoin outperformen. Dieses Kriterium wurde 2015 bis 2018 sowie dann 2019 bis 2022 mehrfach erfüllt, wobei die Kursbewegungen relativ homogen waren. Doch jüngste Messungen aus Anfang 2025 zeigen, dass es zwar deutliche Phasen mit steigenden Altcoin-Performances gab, diese jedoch nicht lange genug anhielten, um den Kriterien einer klassischen Altcoin Season zu genügen. Die Dynamik scheint sich aufzulösen, und die Vielfalt der Kursbewegungen verweist auf eine komplexere Marktstruktur. Eine Ursache für diese Entwicklung sei laut Branchenkennern die Verschiebung der Kapitalströme innerhalb des Kryptomarktes.
Insbesondere Memecoins nehmen eine Sonderrolle ein, indem sie große Mengen spekulativen Kapitals anziehen, auf Kosten konventioneller Altcoins. Plattformen wie Pump.fun, die sich auf Onchain-Memecoins mit niedrigem Marktvolumen spezialisiert haben, haben viel Aufmerksamkeit erregt. Dieses Phänomen führte dazu, dass Anleger nicht wie einst in die etablierten Top-200 Altcoins investierten, sondern vermehrt in hochspekulative, oft illiquide Token. Dies führte zu massiven Kursanstiegen, aber auch zu abrupten Einbrüchen mit bis zu 80 % Wertverlusten, was viele Privatanleger hart traf – ähnlich, jedoch noch gravierender als die Verluste in der ersten Jahreshälfte 2022.
Ein weiterer Faktor, der das traditionelle Bild einer Altcoin Season verzerrt, ist die zunehmende Professionalisierung und Institutionalisierung des Marktes. Besonders seit der Einführung von Spot Bitcoin ETFs ab Januar 2024 fließen Hundermilliarden US-Dollar in regulierte und gut zugängliche Kryptoprodukte. Diese Produkte bieten Sicherheit, Liquidität und Transparenz und saugen Kapital ab, das früher risikoreicher in kleinere Altcoins investiert wurde. BlackRock’s IBIT-ETF ist zum Beispiel zu einem zentralen Investmentvehikel geworden, unterstützt von einer wachsenden Anzahl von Optionen und Futures, die zusätzliche Hedging-Möglichkeiten bieten. Die Folge: Das Geld fließt in größere, etablierte Tokens mit ETF-Zugang und weniger in spekulative Projekte, die früher den Kern der Altcoin Season ausmachten.
Diese Entwicklung zeigt jedoch auch Grenzen auf. Der Kryptomarkt ist keineswegs Nullsummenspiel; die gesamte Liquidität wächst durch neue Investoren. Auch die Einführung von Spot Ether ETFs seit Juli 2024 signalisiert, dass institutionelle Anleger durchaus an Altcoins interessiert sind. Allerdings sind die Zuflüsse hier im Vergleich zu Bitcoin-ETFs verhältnismäßig gering, was auf unterschiedliche Anlegerüberzeugungen und Risikoeinstellungen hinweist. So bleibt festzuhalten: ETF-Strukturen allein sind nicht das einzige Kriterium für den Erfolg von Altcoins innerhalb eines Bullenmarktes.
Die Terminologie rund um Altcoins muss heute weiter differenziert werden. Während früher Altcoins einfach als jegliche Kryptowährungen außer Bitcoin definiert wurden, bringt die digitale Assetklasse inzwischen eine Vielzahl von unterschiedlichen Token-Arten hervor. Blockchain-Native Coins wie Ethereum, Governance-Token, Stablecoins, Memecoins sowie Token, die reale Vermögenswerte abbilden (Real-World Assets - RWA), bedienen verschiedene Anwendungsfälle und besitzen unterschiedliche Investorenprofile. Deshalb macht es wenig Sinn, all diese Assets unter einer homogenen Kategorie zu betrachten. Ein Blick auf die Marktentwicklung bestätigt diese Spaltung.
Real-World Asset Token etwa verzeichneten im aktuellen Zyklus eine erstaunliche Wertsteigerung um das 15-fache, während GameFi-Token ihren Marktwert halbierten. Dies zeigt, dass narratives und ökonomisches Potenzial zunehmend die Preisbewegungen bestimmen. Die Diversifizierung der Blockchain-Ökosysteme spiegelt sich in der Spezialisierung der führenden Plattformen wider: Ethereum bleibt das Zentrum für DeFi, Solana ist ein Hotspot für Memecoins, Tron übernimmt wichtige Rollen beim Stablecoin-Transfer und ImmutableX etabliert sich im Gaming-Sektor. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Begriff „Altseason“ an seine Grenzen stößt. Altcoins bewegen sich nicht mehr als homogene Einheit, sondern zeigen eine fragmentierte und differenzierte Markttransformation.
Für Anleger und Analysten bedeutet das, dass die Fokussierung auf einzelne Kategorien und konkrete Ökosysteme wichtiger wird als die generelle Erwartung einer breitflächigen Altcoin Rally. Die zunehmende Marktreife und Professionalität des Kryptowährungsmarktes wird somit auch zu einem Paradigmenwechsel. Anstatt einer einzigen Phase, in der sämtliche Altcoins Bitcoin outperformen, erwarten wir künftig eine Vielzahl von Nischenphasen, in denen spezifische Kategorien oder Technologien ihren Aufschwung erleben. Dieses neue Marktbild eröffnet Chancen für eine gezieltere Anlage, erfordert jedoch auch ein tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Projekte und deren Nutzungsmöglichkeiten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Altcoin Season 2024 nicht nur eine Frage des Timings, sondern vor allem eine des Wandels in der Struktur und Dynamik des Kryptomarktes ist.
Die klassischen Indikatoren verlieren an Aussagekraft, während spezialisiertes Wissen und Verständnis für innovative Tokenmodelle an Bedeutung gewinnen. Die Daten zeigen klar, dass die Altcoin Season sich nicht mehr als homogene Phase definiert, sondern bereits in vielfältiger Form ihre Spuren hinterlässt – für clevere Anleger, die bereit sind, über den Tellerrand hinauszublicken und sich auf die neue, differenzierte Ära der Kryptowährungen einzulassen.