Das Feld der zeitgenössischen Kunst befindet sich in einem stetigen Wandel, geprägt von einer zunehmenden Fragmentierung in verschiedene Subfelder, die jeweils eigene Ökonomien, Diskurse und soziale Räume beherrschen. Andrea Fraser, eine renommierte Künstlerin und Professorin, hat ein Diagramm entwickelt, das diesen komplexen Kunstmarkt und seine Subbefelder übersichtlich darstellt. Es dient als wertvolles Werkzeug, um Künstlern, Kuratoren, Wissenschaftlern und Kunstinteressierten die Orientierung in einem scheinbar unübersichtlichen und vielschichtigen Kunstgeschehen zu erleichtern und Verständnis für die Positionierung im Gesamtfeld der Kunstproduktion zu schaffen. Das Feld der zeitgenössischen Kunst ist nicht homogen, sondern teilt sich in mehrere relativ autonome Subfelder auf. Zu diesen zählen das Kunstmarkt-Subfeld, das Ausstellungs-Subfeld, das akademische Subfeld, eine Vielzahl an gemeinschaftsbasierten Subfeldern sowie das Subfeld der kulturellen Aktivismusbewegungen.
Jedes dieser Subfelder unterscheidet sich fundamental in seiner ökonomischen Funktionsweise, den vorherrschenden Diskursen, künstlerischen Praktiken, institutionellen Strukturen und sozialen Räumen. Daraus resultieren differente Kriterien für die Bewertung dessen, was Kunst ist, was Künstler herstellen und welche Bedeutung ihre Arbeit hat. Die Grundlage für Frasers Diagramm bildet die Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, der das Konzept der Felder kultureller Produktion entwickelte. Er analysierte soziale Räume und Machtverhältnisse anhand unterschiedlicher Formen von Kapital – ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Das Feld der Kunst ist demnach ein Teil des größeren sozialen Machtfeldes, in dem unterschiedliche Kapitalsorten verteilt und umkämpft sind.
Die Einordnung und Positionierung von Künstlern oder Institutionen innerhalb des Kunstfeldes wird durch die Menge und Art des verfügbaren Kapitals bestimmt. Historisch lässt sich das heutige Bild der Kunstfelder durch Bourdieu und Fraser in eine Entwicklung von heteronomen über zunehmend autonome Felder einordnen. Anfangs war Kunst stark durch aristokratische oder kirchliche Mäzene geprägt, später ermöglichte die bürgerliche Kunstmarktentwicklung und die Trennung zwischen Produktion und Konsumtion eine größere künstlerische Autonomie. Das 19. Jahrhundert brachte mit der Aufklärung und Romantik symbolische Systeme hervor, welche Kunst als Selbstzweck definierten.
Mit dem 20. Jahrhundert und den avantgardistischen Bewegungen entstand eine formal autonome Kunstwelt, die sich explizit von ökonomischen und politischen Interessen abgrenzte. Doch mit der Globalisierung, der Machtkonzentration seit den 1990er-Jahren und einer wachsenden Kunstwelt hat sich diese Autonomie zugunsten einer vermehrten Integration in wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme verändert. Die zeitgenössische Kunst hat eine enorme Erweiterung erfahren, nicht nur räumlich, sondern auch durch die Vielzahl der darin agierenden Akteure und deren Interessen. Sie konnte Investitionen verschiedenster Art anziehen – finanzielle Mittel von Privaten und Institutionen, ebenso wie die Energie von Künstlern und Kunstinteressierten, die neue Möglichkeiten in diesem Feld suchten.
Ironischerweise war diese Ausdehnung auch durch radikale avantgardistische Herausforderungen an ästhetische, disziplinäre und institutionelle Grenzen erst möglich geworden. Seit Mitte der 1990er-Jahre lässt sich die Expansion der Kunstwelt in drei wichtige Wachstumswellen unterteilen. Die späten 90er brachten einen Boom im Bereich der Museen und der Ausstellungsmöglichkeiten sowie der kuratorischen Praxis, die sich globalisierte und Teil eines kulturellen Erfahrungskapitalismus wurde. Anfang der 2000er Jahre erlebte der kommerzielle Kunsthandel, einschließlich großer Kunstmessen, einen starken Aufschwung, wobei Kunst zunehmend als ein Finanzwert betrachtet wurde, in den wohlhabende Anleger investieren. Schließlich folgten eine starke Ausweitung von Kunststudiengängen und der akademischen Durchdringung der Kunstpraxis, besonders durch neue Promotionsprogramme.
Diese Entwicklung führte zur Herausbildung mehr oder weniger autonomer Subfelder, die jeweils ihre eigenen Regeln, Kriterien für Erfolg und Wertschätzung definieren. Während früher die kritische Auseinandersetzung mit den herrschenden Institutionen und Werten ein wesentliches Moment der Kunstpraxis war, hat sich dies heute verändert. Die Subfelder nehmen eine Funktion ein, die sich gegenseitig bedingt, oft symbiotisch oder sogar parasitär, und die zentrale Kämpfe um Werte zugunsten strategischer Positionierung innerhalb ihrer jeweiligen Ökonomien abgelöst hat. Das Kunstmarkt-Subfeld ist hauptsächlich der kommerzielle Sektor mit Galerien, Kunstmessen und Auktionen. Hier ist „Wert“ die zentrale Währung, die sowohl auf künstlerischen Kriterien als auch zunehmend auf denen von Luxusgütern – etwa Seltenheit, Materialqualität und handwerklicher Aufwand – basiert.
Künstler erzielen hier Einkommen hauptsächlich über den Verkauf von Werken auf dem Primär- oder Sekundärmarkt. Das Ausstellungs-Subfeld dagegen konzentriert sich auf öffentliche und gemeinnützige Institutionen wie Museen, Biennalen oder öffentliche Kunstprogramme. Künstler schaffen hier vor allem „Erfahrungen“ – ästhetische, soziale, politische oder psychologische –, die oft schwer formalisierbaren Auswahlkriterien unterliegen. Einkommen wird in Form von Ausstellungs- oder Kommissionshonoraren erwirtschaftet. Im akademischen Subfeld, das innerhalb von Bildungseinrichtungen und Forschungslaboratorien angesiedelt ist, ist Kunstproduktion in erster Linie Wissensproduktion.
Künstler agieren als Forschende, deren Arbeiten als Formen von Forschung, Lehre und wissenschaftlicher Praxis gelten. Der finanzielle Unterhalt erfolgt durch Lehrtätigkeiten, Stipendien, Publikationen und Vorträge. Hier treffen künstlerische Praxis und akademische Legitimität auf bisweilen widersprüchliche Kriterien. Eine große und oft wenig sichtbare Gruppe bilden gemeinschaftsbasierte Subfelder, die häufig in selbstorganisierten, nie vollständig institutionalisierten oder von externen Förderungen abhängigen Rahmen operieren. Das zentrale Produkt ist Gemeinschaft, sei es durch künstlerische Kooperationen, politische Identität oder der Aufbau lokaler Netzwerke.
Die Wertmaßstäbe richten sich nach dem Beitrag der Kunst zur Stabilisierung und Sichtbarkeit dieser Gemeinschaften, besonders in Kontexten sozialer Marginalisierung. Das Subfeld des kulturellen Aktivismus wiederum ist meist von gemeinschaftsorientierten oder basisdemokratischen Ökonomien geprägt. Es versteht Kunst als Instrument für sozialen Wandel, als Intervention und Kritik an bestehenden Machtstrukturen. Die Kriterien orientieren sich an Wirksamkeit und politischem Engagement. Auch hier erfolgt die Finanzierung über vielfältige Formen, oft über Förderungen, Kampagnen oder direkte Arbeit.
Um die Positionierung und Beziehungen dieser Subfelder zueinander zu analysieren, hat Fraser Bourdieu’s Koordinatensystem adaptiert, welches eine horizontale Achse von kulturellem zu ökonomischem Kapital und eine vertikale Achse von hohem zu niedrigem Macht- und Kapitalanteil anzeigt. So können Subfelder in ihrem Grad der Autonomie, Wertsetzung und Machtverteilung visuell verortet werden. Die linke Seite des Diagramms spiegelt primär kulturelle Legitimität wider, die rechte ökonomische Interessen, während oben die Konzentration von Macht durch Kapital angedeutet wird und unten eher periphere, marginalisierte Bereiche positioniert sind. Das akademische Subfeld steht meist im Bereich der hohen kulturellen Kapitalakkumulation mit institutionalisierter Anerkennung, während das Kunstmarkt-Subfeld im Bereich hohen ökonomischen Kapitals angesiedelt ist. Das Ausstellungssubfeld nimmt eine Zwischenstellung ein, da hier Bildungseinflüsse mit Marktmechanismen interagieren.
Gemeinschaftsbasierte und Aktivismus-Subfelder befinden sich eher im unteren Spektrum, mit begrenzter Kapitalausstattung und in Randpositionen. Diese Unterteilung hat weitreichende Auswirkungen für künstlerische Praktiken, Materialität und Ästhetik. So dominieren im Kunstmarkt traditionell handwerklich anspruchsvolle, materiell wertvolle Werke wie Malerei und Skulptur mit hohem Investitionswert. Dagegen sind im Ausstellungssystem Video, Installation oder partizipative Praktiken weit verbreitet. Akademisch orientierte Kunst bewegt sich häufig in Konzepten und diskursiven Formen, die weniger auf materielle Wertschöpfung abzielen, sondern Wissensproduktion und theoretische Reflexion betonen.
An Schnittstellen der Subfelder können hybride Formen entstehen, etwa Arbeiten, die künstlerische Grandiosität mit sozialen Interventionen verbinden oder Forschung mit spektakulärer Inszenierung. Dabei kann das Überschreiten von Subfeld-Grenzen strategisch oder aus künstlerischer Überzeugung erfolgen, erzeugt aber auch Spannungen und Ambivalenzen, da oft unterschiedliche Kriterien gleichzeitig bedient werden müssen. Das Feld der zeitgenössischen Kunst ist damit nicht nur ein der Expansion unterworfener Bereich, sondern auch ein politisch hart umkämpfter Raum. Die Beziehungen zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital spiegeln gesellschaftliche Machtstrukturen wider und prägen die Positionierung von Kunst und Künstlern. Während im Inneren der Subfelder meistens Konkurrenz um Anerkennung und Ressourcen herrscht, ist die Interdependenz zwischen ihnen für den Fortbestand des Gesamtsystems essentiell.
Politisch betrachtet sind viele Kämpfe im Kunstfeld nicht zuletzt Auseinandersetzungen um die Verteilung von Macht und Kapital, oft zwischen dominanten Gesellschaftsgruppen, die diese innerhalb der Kunst reproduzieren. Gleichzeitig bietet die Position des Feldes innerhalb gesellschaftlicher Machtstrukturen eine potenzielle Perspektive für gesellschaftskritische und transformative Interventionen, die sich am Rand oder durch Überschreitungen von Subfeldgrenzen manifestieren können. Künstler und Akteure, die jenseits traditioneller Grenzen agieren, stehen vor der Herausforderung, sich in diesem komplexen Geflecht von Autonomie, Abhängigkeit, Kritik und Anpassung zu behaupten. Das Verständnis der Dynamiken, der spezifischen Kriterien und Kapitalsorten der jeweiligen Subfelder kann dabei helfen, bewusste Positionierungen zu treffen und Strategien zu entwickeln, die nicht nur Erfolg, sondern auch künstlerische und soziale Relevanz ermöglichen. Das von Andrea Fraser entwickelte Diagramm zum Feld der zeitgenössischen Kunst dient deshalb nicht nur dem akademischen Verständnis, sondern auch praktischen Zwecken – etwa der Kunstvermittlung, der Aus- und Weiterbildung sowie der künstlerischen Praxisentwicklung.
Es zeigt, dass Kunst als soziales Feld nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern in einem fortwährenden Wechselspiel aus Macht, Kapital und kultureller Produktion steht, dessen Reflexion wesentlich ist für eine zeitgemäße und kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst. Zusammenfassend eröffnet die Betrachtung des Feldes der zeitgenössischen Kunst anhand von Fragmentierung, Subfeldern und ihren jeweiligen Eigenlogiken neue Wege des Verstehens von Kunstproduktion, -rezeption und -bewertung. Sie verdeutlicht die Notwendigkeit, Institutionen, Märkte und soziale Bewegungen als miteinander verwobene, aber auch eigenständige Akteure zu betrachten, deren Zusammenspiel Gemeinwohl, Exklusion, Macht und Innovation in der Kunstwelt mitbestimmt. Nur durch eine differenzierte Sicht auf diese Felder und ihre Koordinaten lässt sich der komplexen Realität heutiger Kunstwelten gerecht werden und gleichzeitig Raum für Gegenentwürfe und neue Perspektiven schaffen.