In den letzten Jahren hat Indien wiederholt das Ziel verfolgt, sich als weltweit bedeutender Fertigungsstandort zu etablieren. Die Ankündigung von Apple, einen Großteil der Produktion seiner iPhones, die für den US-Markt bestimmt sind, von China nach Indien zu verlagern, scheint auf den ersten Blick genau in diese Richtung zu weisen. Doch parallel dazu bringt ein neues Handelsabkommen zwischen den USA und China diese ehrgeizigen Pläne ins Wanken und lässt Zweifel aufkommen, ob Indien seine Rolle als „Fabrik der Welt“ erfolgreich übernehmen kann. Indiens Vision, sich als Produktionszentrum zu etablieren, ist keineswegs neu. Seit Jahrzehnten bemüht sich das Land, die Voraussetzungen für eine florierende Fertigungsindustrie zu schaffen.
Bisher verlief der Aufbau jedoch schleppend. Der Anteil der Industrie an Indiens Bruttoinlandsprodukt blieb über zwanzig Jahre nahezu konstant bei etwa 15 Prozent. Diverse wirtschaftliche Hemmnisse, ein schwieriges Geschäftsumfeld und höhere Produktionskosten im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern haben dabei eine Rolle gespielt. Im Kontrast dazu haben Staaten wie Vietnam, Thailand oder Malaysia durch niedrigere Löhne, vereinfachte Steuerstrukturen und Proaktivität bei Freihandelsabkommen eine beeindruckende Entwicklung im Bereich der Fertigung erlebt. Besonders Vietnam fungiert vermehrt als alternative Produktionsstätte für Firmen, die der Abhängigkeit von China entgegenwirken wollen.
Dennoch gab es im Zuge des globalen Umbruchs in Produktionsketten jüngst klare Hinweise darauf, dass auch Indien zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der Schlüssel dafür war unter anderem Apples Entscheidung, einen Großteil seiner iPhone-Produktion für den US-Markt nach Indien zu verlagern. Diese Ankündigung führte in Indien zu großer Euphorie und nährte die Hoffnung, dass der Technologieriese beispielhaft den Wandel hin zu einem hochattraktiven Produktionsstandort einläuten könnte. Doch diese Hoffnung wird von mehreren fundamentalen Herausforderungen gebremst. Einer der zentralen Stolpersteine ist die Tatsache, dass trotz des Herstellens der Endprodukte in Indien die Wertschöpfung dort noch sehr gering ist.
Nach aktuellen Einschätzungen verbleiben von den Einnahmen aus einem in den USA verkauften iPhone von circa 1000 US-Dollar dem indischen Marktwert lediglich weniger als 25 US-Dollar. Das liegt vor allem daran, dass wesentliche Komponenten und Rohmaterialien weiterhin aus China importiert werden. Solange Apple und seine Zulieferer die wertschöpfenden Prozesse wie die Herstellung von Einzelteilen oder wichtigen Bauteilen nicht stärker nach Indien verlagern, bleiben die wirtschaftlichen Effekte für Indien begrenzt und vor allem auf die Montage beschränkt. Diese Art von Produktion ist aufgrund der vergleichsweise niedrigen Lohnkosten attraktiv, generiert jedoch kaum hochwertige Beschäftigung oder nachhaltige Entwicklung des industriellen Know-hows im Land. In anderen Ländern haben internationale Unternehmen frühzeitig ganze Lieferketten mit lokalen Zulieferbetrieben aufgebaut, sodass eine echte industrielle Ökosphäre entstanden ist.
In Indien dagegen importieren Firmen oft große Teile, um Kosten für Zölle zu minimieren, ohne parallel die eigenen Lieferketten zu etablieren. Die indische Regierung versucht durch Programme wie das Production Linked Incentive (PLI)-Schema die Situation zu verbessern. Dieses Programm bietet finanzielle Anreize für Unternehmen, die in Indien stärker investieren und dort auch höhere Wertschöpfung erzielen. Dennoch haben diese Maßnahmen bisher nur begrenzte Wirkung gezeigt. Es fehlen zudem zusätzliche strukturelle Reformen, um das operative Geschäft für Unternehmen attraktiver zu gestalten.
Dazu gehören vor allem Investitionen in Infrastruktur, Logistik, Bürokratieabbau und eine klare gesetzliche Rahmengebung. Parallel zu Apples Engagement hat sich allerdings die geopolitische Lage im Handel neu gestaltet. Die USA und China haben in einem jüngsten Abkommen die Zölle zwischen den beiden Ländern deutlich abgesenkt. Nach Jahren hoher Strafzölle ist dieser Schritt eine Art Handelsreset, der den Weg für eine Entspannung im US-chinesischen Handelskonflikt ebnet. Diese Entwicklung jedoch könnte genau die Verlagerung von Produktionen Richtung Indien wieder konterkarieren oder zumindest verzögern.
Experten wie Ajay Srivastava vom Global Trade Research Institute in Delhi warnen, dass sich die Investitionen anderer Unternehmen womöglich wieder in Richtung China verlagern könnten, wenn Handelsschranken niedriger werden. Insgesamt bleibt damit eine Unsicherheit, ob ausländische Hersteller ihre Produktion dauerhaft in Indien aufbauen oder doch lieber am bewährten Markt China festhalten. Die Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Indien im globalen Wettbewerb um Produktionsstandorte mit weiteren Ländern konkurriert. Neben China sind dies vor allem andere asiatische Nationen wie Vietnam, Malaysia, Thailand und auch Bangladesch. Viele dieser Länder punkten mit niedrigeren Herstellungskosten und weniger komplexen Geschäftsprozessen.
Solange Indien es nicht schafft, seine Geschäftsbedingungen deutlich zu verbessern und die Kosten zu senken, fällt es dem Land schwer, sich nachhaltig als Alternative zu etablieren. Auf der positiven Seite stehen Indiens demographische Vorteile, ein wachsender Binnenmarkt und eine zunehmend proaktive Haltung gegenüber ausländischen Investoren. Die Regierungen unter Premierminister Narendra Modi zeigen sich offen für Reformen und sind bemüht, den Wirtschaftsstandort global wettbewerbsfähiger zu machen. Überdies verhandelt Indien derzeit ein Handelsabkommen mit den USA, das das Potenzial besitzt, die Handelsbeziehungen weiter zu intensivieren und indische Produkte für den US-Markt attraktiver zu machen. Auch ein kürzlich abgeschlossenes Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich, das unter anderem Zölle auf Whiskey und Autos deutlich senkt, signalisiert die Bereitschaft Indiens, neue Wege in der Handelspolitik zu beschreiten und internationale Investoren stärker anzuziehen.
Diese Schritte können langfristig dabei helfen, eine glaubwürdige Alternative zu China für internationale Unternehmen zu werden. Dennoch ist die Skepsis nach wie vor groß. Analysten aus Japan und anderen Ländern weisen darauf hin, dass Indien vor allem dann von den globalen Lieferkettenverschiebungen profitieren kann, wenn gleichzeitig deutliche Verbesserungen bei der Geschäftstätigkeit, der Produktivität und den regulatorischen Rahmenbedingungen erreicht werden. Nur so können niedrigere Zolltarife den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten. Ein weiterer Aspekt, der häufig angesprochen wird, ist die Gefahr, dass China versucht, seine Produkte über indische Fabriken und Exportstrukturen in die USA zu schleusen, um von den günstigeren Bedingungen zu profitieren.
Dies könnte zwar kurzfristig den Export Indiens erhöhen, aber den Aufbau einer eigenständigen robusten Produktionsbasis im Land behindern. Aus diesem Grund raten Experten Indien, nicht nur kurzfristig auf Montage- und Niedriglohnbeschäftigung zu setzen, sondern vielmehr strategisch den Aufbau lokaler Zulieferketten mit Fokus auf wertschöpfende Aktivitäten voranzutreiben. Nur so kann der erklärte Traum von Indiens Entwicklungspolitik Wirklichkeit werden – dass nicht nur Produkte exportiert werden, sondern eine stabile Industrie mit besseren Arbeitsplätzen, Know-how-Transfer und nachhaltigem Wirtschaftsaufschwung entsteht. Abschließend lässt sich sagen, dass Apples Entscheidung, die Produktion seiner iPhones nach Indien zu verlagern, zweifelsohne ein positives Signal ist. Es verdeutlicht, dass Indien als Fertigungsstandort zunehmend auf dem Radar großer internationaler Konzerne steht.