In einer Welt, die zunehmend von Informationsfluss und Multitasking geprägt ist, stoßen viele Menschen an die Grenzen ihres mentalen Fassungsvermögens. Es ist kaum noch möglich, alle Verpflichtungen, Termine und Ideen ausschließlich im Kopf zu behalten, ohne dabei in Vergesslichkeit oder Stress zu versinken. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Konzept des "Exobrain" immer mehr an Bedeutung – eine Form der externen Gedächtnisstütze, die den Geist entlastet und dabei unterstützt, Prioritäten zu setzen und den Überblick zu bewahren. Mein Exobrain basiert auf der intensiven Nutzung von Emacs Org-mode, einem einzigartigen Tool, das Textdateien nutzt, um Aufgaben, Termine und Notizen strukturiert zu verwalten. Org-mode fungiert dabei nicht nur als digitaler Kalender oder To-Do-Liste, sondern ermöglicht eine tiefgehende Organisation, die sich individuell an persönliche Bedürfnisse anpassen lässt.
Diese externe Erweiterung meiner geistigen Fähigkeiten ist für mich unverzichtbar geworden, weil sie mir erlaubt, all die Facetten meines Lebens – sei es Beruf, Familie, Gesundheit oder persönliche Projekte – effizient zu koordinieren. Die Grundlage meines Systems beruht auf einigen klar definierten Prinzipien. Zum einen sollte der Exobrain hervorragend darin sein, Informationen zuverlässig zu speichern. Dabei geht es nicht nur um das bloße Festhalten von Daten, sondern auch darum, diese Informationen stets dann präsent zu haben, wenn sie relevant sind. Erinnerungen müssen auf natürliche Weise auftauchen, sodass ich mich nicht permanent an jedes Detail selbst erinnern muss.
Einige mögen dabei an neuraltechnologische Träume denken, doch mein Ansatz ist wesentlich bodenständiger: Es geht im Wesentlichen um einfache, praktische Werkzeuge – digital und analog – die die Kapazitäten des Gehirns ergänzen. Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Automatisierung von Prozessen. Wer von einem Exobrain profitiert, möchte weniger Zeit in die Pflege des Systems investieren und stattdessen mehr Zeit für die eigentliche Arbeit oder kreative Tätigkeiten haben. Hier glänzt Software im Vergleich zu rein analoger Dokumentation, denn sie kann Routineaufgaben übernehmen, wiederkehrende Termine automatisch aktualisieren und eine konsistente Datenhaltung gewährleisten. Trotzdem haben analoge Methoden wie Papier und Stift ihren festen Platz in meinem Workflow – insbesondere in sozialen Situationen oder bei spontaner Notizaufnahme, wo das analoge Medium flexibler und weniger störend wirkt.
Besonders betont wird in meinem Konzept die Personalisation. Ein System, das für eine andere Person hervorragend funktioniert, passt nicht zwangsläufig auch für mich. Daher ist es unerlässlich, die Werkzeuge und Methoden so zu gestalten, dass sie sich meiner Denkweise und meinen Anforderungen anpassen lassen. Ein exobrain ist nichts Statisches, sondern entwickelt sich immer wieder weiter, reflektiert neue Erkenntnisse und verändert sich mit den Lebensumständen. Die Umsetzung im Alltag erfolgt durch eine klare Strukturierung meiner Org-mode Dateien.
Diese bilden das Rückgrat meines Systems und sind in vier Hauptbereiche gegliedert: Maintenance (Wartung und Pflege), Projekte, Lore (Wissensbasis) sowie ein Archiv. Jeder dieser Bereiche erfüllt eine spezifische Funktion und trägt dazu bei, dass meine Organisation übersichtlich und effizient bleibt. Der Bereich Maintenance umfasst alle Aspekte meines Lebens, die kontinuierliche Aufmerksamkeit erfordern. Das können physische Dinge wie meine Fahrzeuge sein, bei denen ich an Serviceintervalle denke, oder abstrakte Kategorien wie meine Gesundheit oder berufliche Verpflichtungen. Innerhalb dieser Dateien organisiere ich Dinge systematisch nach dem Warum, sehe mir regelmäßig Verbesserungspotenziale an und halte sowohl Termine als auch wiederkehrende Aufgaben fest.
Dieses Vorgehen sorgt dafür, dass ich nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv mit meinen Verantwortlichkeiten umgehe. Projekte bilden eine zweite zentrale Säule meines Exobrains. Im Gegensatz zu Maintenance-Bereichen sind Projekte zeitlich klar abgegrenzt und haben ein definiertes Ziel, das es zu erreichen gilt. Wenn eine Aufgabe zu umfangreich wird, bekommt sie eine eigene Projektdatei, um alle relevanten Informationen und Aufgaben gebündelt zu halten. Dabei finden sich auch hier Reflexionen zum Projektzweck sowie definierte Ergebnisse und ein Plan mit einzelnen Schritten, die zu erledigen sind.
Ein laufendes Log dokumentiert den Fortschritt und unterstützt eine gezielte Nachverfolgung. Die Wissensdatenbank, genannt Lore, sammelt alles, was ich im Laufe der Zeit gelernt habe und festhalten möchte. Anders als bei Projekten oder Maintenance ist der Inhalt hier weniger strukturiert, dafür aber thematisch breit gefächert. Von detaillierten Anleitungen zu technischen Tools bis zu persönlichen Erkenntnissen – alles findet seinen Platz in diesem fundamental wichtigen Baustein meines Exobrains. Die regelmäßige Pflege und das bewusste Wiederauffrischen des Wissens sorgen dafür, dass es jederzeit abrufbar und aktuell bleibt.
Der Bereich Archiv diente dazu, abgeschlossene Projekte, alte Notizen und nicht mehr aktive Inhalte platzsparend aus dem aktiven Arbeitsbereich zu verlagern. So bleibt der Fokus auf aktuell wichtigen Dingen erhalten, während ein gewisses Maß an Rückgriffsmöglichkeit auf ältere Informationen weiterhin besteht. Ein ganz besonderer Bestandteil im Umgang mit meinem Exobrain ist der tägliche und wöchentliche Arbeitsrhythmus. Bei Programmstart von Emacs begrüßt mich stets die Tagesagenda, die alle relevanten Termine, Aufgaben und Erinnerungen in strukturierter Form präsentiert. Tags helfen dabei, Aufgaben sinnvoll zu gruppieren, etwa die sogenannten "Morning Chores“, also tägliche kleinere Pflichten zum Start des Tages, aber auch laufende Projekte und wartende Aufgaben.
Die wöchentliche Review-Phase dient der Bewusstwerdung und Planung. Hier werden alle Inboxen – das können analoge Notizhefte, digitale Nachrichten an mich selbst oder lose Notizen sein – gesichtet, relevante Informationen in die Org-mode Dateien übertragen und die nächste Woche strategisch vorbereitet. Das regelmäßige Reflektieren hilft dabei, nicht nur die kurzfristigen Aufgaben zu bewältigen, sondern auch langfristige Ziele im Auge zu behalten. Technisch profitiert mein Exobrain von der Einfachheit und Robustheit von reinen Textdateien, die ich mittels Git versioniere und synchronisiere. So habe ich überall Zugriff auf meine Daten, egal ob am Desktop, Laptop oder unterwegs.
Ein Manko bleibt allerdings der eingeschränkte mobile Zugriff auf die Agenda, was ich aktuell noch zu lösen versuche. Im zwischenmenschlichen Kontext steht mein Exobrain nicht allein. In beruflichen Zusammenhängen ergänze ich meinen persönlichen digitalen Organizer durch externe Tools wie Jira oder andere Projektmanagement-Systeme. Statt die Systeme miteinander zu verknüpfen, halte ich es für sinnvoll, Informationen dort zu pflegen, wo sie hingehören, und notwendige Duplikate bewusst in Kauf zu nehmen. Auch im Privatleben habe ich analoge Tools wie den Familienkalender auf dem Kühlschrank, was die Koordination mit anderen erleichtert.
Die Inspiration zu meinem Exobrain stammt aus vielfältigen Quellen. Neben klassischen Methoden wie David Allens Getting Things Done und modernen Konzepten wie Tiago Forte's "Building a Second Brain“ haben auch die unterschiedlichen Ansätze aus der Emacs-Community meinen Workflow geprägt. Wichtig ist mir dabei, stets flexibel zu bleiben und nur die Methoden zu übernehmen, die zu mir passen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein gut gepflegter Exobrain weit mehr ist als nur eine Ansammlung von Terminen und To-Do-Listen. Er ist ein Werkzeug zur Entlastung des Geistes, ein Motor für Kreativität und Reflexion sowie ein unterstützendes System, das hilft, die Komplexität des Lebens zu meistern.
Für jeden, der vor ähnlichen Herausforderungen steht, lohnt es sich, über einen solchen ergänzenden digitalen und analogen Organisator nachzudenken und ihn an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.