Die Brombeere (Rubus spp.) erfreut sich weltweit großer Beliebtheit – sowohl als frische Frucht als auch in verarbeiteten Produkten. Ihre hohe antioxidative Wirkung, vor allem durch den Gehalt an Anthocyaninen, macht sie nicht nur geschmacklich, sondern auch gesundheitsfördernd interessant. Trotz der zunehmenden Nachfrage und wirtschaftlichen Bedeutung der Brombeere stellen die komplexe Genetik und Polyploidie große Herausforderungen für Züchtung und genomische Forschung dar. Nur durch die Entschlüsselung und präzise Abbildung des Brombeergenoms können zielgerichtete Züchtungsprogramme und molekulare Markerentwicklung effizient vorangebracht werden.
Kürzlich gelang nun ein bedeutender Durchbruch: die erste chromosomale und haplotypaufgelöste Assemblierung des tetraploiden Brombeergenoms, basierend auf modernsten Sequenzierungstechnologien und dreidimensionaler Chromatinorganisation. Die tropische Natur vieler Brombeersorten, ihre polyploide Genstruktur mit vier homologen Chromosomensätzen, erschwert es seit Langem, eine vollständige, differenzierte Genomkarte zu erstellen. Während frühere Referenzgenome meist in einer verdichteten, zusammengefassten Form vorlagen, verlor man dabei vielfach die für die Züchtung wichtigen Varianten einzelner Chromosomen und Allele. Die neue Assemblierung der Sorte BL1, einer primocane-fruitenden, dornlosen tetraploiden Selektion, bietet nun erstmals eine phasenaufgelöste Darstellung – das heißt, alle vier homologen Chromosomensätze werden separat und detailliert dargestellt. Dadurch lassen sich die genomischen Unterschiede zwischen den einzelnen Chromosomen präzise untersuchen, was gerade bei komplexen polyploiden Pflanzen von unschätzbarem Wert ist.
Bei der Erstellung der Genomassemblierung kamen Spitzentechnologien zum Einsatz: Das Rohmaterial wurde mit Oxford Nanopore Technology sequenziert, die sehr lange DNA-Stränge erlaubt und dadurch den Erhalt langer Chromosomenabschnitte sichert. Ergänzt wurde diese Datenbasis durch Hi-C-Technologie, die Informationen über die räumliche Organisation der DNA im Zellkern liefert und so beim Zusammenfügen der Chromosomenstücke zu vollständigen Pseudomolekülen unterstützt. Das Endergebnis ist eine Assembly mit einer Gesamtgröße von rund 919 Megabasen, effizient verteilt auf 27 Pseudochromosomen. Beeindruckend ist dabei der hohe N50-Wert von 35,73 Megabasen, der sowohl die Kontiguität als auch die hohe Qualität der Sequenzierung unterstreicht. Mehr als 98 Prozent der wichtigen Kern-Gene (BUSCOs) sind vollständig abgebildet, was wiederum die Aussagekraft für funktionelle Genanalysen optimiert.
In der Analyse des Genoms wurde klar, dass etwa 58 Prozent der DNA aus repetitiven Elementen besteht, von denen insbesondere lange Terminal-Repeat (LTR) Retrotransposons dominieren. Diese repetitiven Elemente sind häufig entscheidend für die Genomevolution und können vielfältige regulatorische Funktionen haben. Die detaillierte Genannotation ergab fast 88.000 vorhergesagte protein-codierende Gene, von denen mehr als 80 Prozent bereits funktionell charakterisiert werden konnten. Das ist wesentlich mehr als in vorherigen diploiden Assemblierungen, was die erweiterte Komplexität des tetraploiden Genoms widerspiegelt.
Eine der bedeutendsten praktischen Anwendungen dieser Genomstudie ist die Aufdeckung von Genen, die für kritische agronomische Merkmale verantwortlich sind. Beispielsweise konnten jene Gene ermittelt werden, die mit der Dornlosigkeit zusammenhängen – ein extrem wichtiges Zuchtziel, da dornige Ruten die Ernte erschweren, Verletzungsrisiken für Arbeiter erhöhen und potenziell das Auftreten von Krankheiten fördern können. Verschiedene Transkriptionsfaktoren wie MYB-, bHLH- und NAC-Familien, die bereits aus Modellpflanzen für die Entwicklung von Trichomen und dornenähnlichen Strukturen bekannt sind, fanden sich in dem für die Dornlosigkeit relevanten Genomabschnitt. Neben einzelnen Genen wiesen die Analysen auf komplexe Netzwerke hin, die die Bildung von Dornen regulieren und so neue gezielte Züchtungsansätze ermöglichen. Auch das für die Primocane-Fruchtigkeit – die Fähigkeit, Früchte schon an einkeimblättrigen Ruten (einjährig) zu entwickeln – verantwortliche Genlokus wurde in diesem Genom präzise definiert.
Diese Eigenschaft verlängert die Ernteperiode und erlaubt die kulturelle Anpassung an unterschiedliche Klimazonen mit kurzen Vegetationsperioden. In der Assemblierung konnten zahlreiche Kandidatengene identifiziert werden, die an der Blühzeit, Blütenintensität und -entwicklung beteiligt sind, darunter auch viele regulatorische Sequenzen. Dieses Wissen federte frühere genetische Studien ab und eröffnet Möglichkeiten, mittels molekularer Marker und genomischer Selektion zielgenau neue Sorten mit optimierten Fruchtentwicklungszeiten zu erzeugen. Auch die Resistenz gegenüber Krankheiten nimmt mehr und mehr an Bedeutung zu, angesichts des Umweltbewusstseins und ökonomischer Zwänge, chemische Pflanzenschutzmittel einzusparen. Im tetraploiden Brombeergenom konnten eine Vielzahl von NLR-Genen (Nucleotide-binding site Leucine-rich repeat) lokalisiert und klassifiziert werden.
Diese Repräsentanten der typischen Pflanzen-Resistenzgene spielen eine Schlüsselrolle gegen zahlreiche Pathogene. Zudem wurden MLO-Gene untersucht, deren gezielte Manipulation in anderen Kulturpflanzen bereits zu breiter Resistenz gegen Mehltau geführt hat. Schließlich identifizierten die Forscher auch die DMR6-Gene, die als Suszeptibilitätsgene auftreten und potenziell durch klassische Züchtung oder Genomeditierung anvisiert werden können, um Downy Mildew Resistenzen zu erhöhen. Neben der Genomassemblierung erfüllten die Wissenschaftler wichtige ergänzende Aufgaben: Die komplette Sequenzierung des Chloroplastengenoms ermöglicht nicht nur Studien zur Stammesgeschichte, sondern dient auch als Grundlage für pflanzengenetische Identifikation und Systematik. RNA-Seq-Analysen aus verschiedenen Geweben und Entwicklungsstadien lieferten umfassende Daten zur Expression der Gene, die Grundlagen für funktionelle Genomik darstellen.
Insbesondere konnten damit die physiologischen Veränderungen, etwa während der Anthocyaninbildung und Fruchtreifung, auf genetischer Ebene abgebildet werden. Die Rolle von Aktivator- und Repressorgenen wurde detailliert veranschaulicht, was zu einem vertieften Verständnis der Farbbildung und des antioxidativen Potenzials beiträgt. Durch die Nachsequenzierung von sieben weiteren tetraploiden Brombeer-Kulturen wurde darüber hinaus die genetische Variation innerhalb der Zuchtmaterialien erfasst. Diese Vielfalt spiegelt sich in Varianten von Thornlosigkeit, Fruchtungseigenschaften sowie Krankheitsanfälligkeiten wider. Besonders nennenswert ist, dass die Verwendung der neu entwickelten, tetraploiden Referenz als Bezugsskript die Erkennung von SNPs und anderen Sequenzpolymorphismen im Vergleich zu bisher verfügbaren diploiden Genomen deutlich optimierte.
Dieser Weltsensation vergleichbare Fortschritt bei der Brombeer-Genomarbeit kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Pflanzenzüchter und Wissenschaftler den Einsatz genomischer Werkzeuge verstärkt vorantreiben. Das nun verfügbare Referenzgenom bildet das Fundament für moderne Ansätze der molekularen Züchtung, Marker-gestützten Selektion und Genom-Editierung. Durch das tiefere Verständnis der genetischen Architektur können neuartige, hochergiebige, robustere und anwenderfreundliche Brombeersorten entwickelt werden, die den Anforderungen von Konsumenten und Produzenten besser gerecht werden. Die hohe Qualität und Vollständigkeit der Assemblierung belegen die enormen Fortschritte im Bereich der Langzeitsequenzierungstechnologien und Bioinformatik. Für die Zukunft eröffnen sich vielversprechende Perspektiven, etwa bei der Entschlüsselung weiterer komplexer Traits, der Entdeckung von Subgenom-Wechselwirkungen und der Erforschung der Polyploidie-Dynamiken in Rubus-Arten.
Darüber hinaus trägt dieses Wissen dazu bei, die Evolution, Domestikation und Anpassung der Brombeere auf molekularer Ebene besser zu verstehen. Zusammenfassend markiert die chromosomale und haplotypaufgelöste Genomassemblierung der tetraploiden Brombeere einen Meilenstein für die Pflanzenforschung und Züchtungswissenschaft. Sie schließt eine bisherige Lücke hinsichtlich Genomdaten von polyploiden Brombeersorten und bietet eine solide Grundlage für die gezielte Verbesserung wichtiger Merkmale. Durch das Zusammenwirken von fortschrittlichen Sequenzier- und Analysemethoden sowie interdisziplinärer Forschung wird die Brombeere künftig noch mehr an Bedeutung als Modellpflanze und kommerziell relevante Kultur gewinnen, was den Genuss und die Vielfalt der Beerenfrüchte langfristig steigert.