SimCity ist seit Jahrzehnten ein Synonym für Städtebau- und Wirtschaftsmanagement-Simulationen. Für die meisten Spieler ist es ein leicht zugängliches Spiel, bei dem man Städte mit Straßen, Wohngebieten, Industrie und Infrastruktur modelliert. Doch für Vincent Ocasla, besser bekannt unter dem Namen Vince, ist SimCity mehr als nur ein Spiel – es wurde zu einer künstlerischen Ausdrucksform und einer Plattform, um tiefgründige gesellschaftliche und politische Konzepte zu erforschen. Seine monumentale Stadt Magnasanti, die er im Spiel SimCity 3000 erschuf, gilt als eine der beeindruckendsten und gleichzeitig beklemmendsten Kreationen in der Geschichte des Spiels. Sie ist nicht nur ein technisches Meisterwerk, sondern auch eine kritische Reflexion über Macht, Kontrolle und die Spirale totalitärer Gesellschaften.
Vince wurde in den Philippinen geboren und ist ein 22-jähriger Architekturstudent, der durch sein intensives Engagement in SimCity 3000 zu Berühmtheit gelangte. Das außergewöhnliche an ihm ist nicht nur die Größe seiner Stadt – Magnasanti beherbergt unglaubliche sechs Millionen virtuelle Bürger –, sondern die Art und Weise, wie er das Spiel nutzte, um eine dystopische Metropole zu entwerfen, die von totalitärer Herrschaft, sozialer Kontrolle und ästhetischer Kälte geprägt ist. Seine Stadt ist faszinierend und erschütternd zugleich, denn sie zeigt, was möglich ist, wenn man Spiele nicht nur als Unterhaltung, sondern als Ausdrucksmittel für ernsthafte gesellschaftliche Botschaften versteht. Die Entstehungsgeschichte von Magnasanti beschreibt einen langen Prozess von fast eineinhalb Jahren, in denen Vince nicht nur baute, sondern auch akribisch Theorien entwickelte, Modelle testete und Spielmechaniken erforschte, um seine Vision zu verwirklichen. Ähnlich einem Wissenschaftler führte er eigene Experimente durch, notierte Ergebnisse und verfeinerte ständig seine Methodik.
Das Ergebnis ist eine Stadt, die unter der Oberfläche wie ein gigantisches Uhrwerk funktioniert, eine perfekt durchorganisierte Struktur mit minimalem Platz für individuelle Freiheit und maximaler Effizienz. Das Design von Magnasanti beruht auf dem Bhavacakra – dem Rad des Lebens und Sterbens aus der buddhistischen Philosophie. Obwohl Vince heute kein praktizierender Buddhist mehr ist, war diese Symbolik für ihn ein wichtiger Ankerpunkt in der Planung seiner Stadt. Das Bhavacakra wird traditionell genutzt, um die zyklische Natur des Lebens und der Existenz darzustellen. Vince adaptierte dieses Konzept, um die Ewigkeit und Unveränderlichkeit des totalitären Systems in Magnasanti zu illustrieren.
Die Stadt ist somit nicht nur eine Simulation urbaner Planung, sondern auch eine Allegorie für das Wiederholen von Geschichte und das Gefangensein der Individuen in einem unentrinnbaren System. Magnasanti ist streng hierarchisch und durchdrungen von einem autoritären Kontrollsystem, das die Bevölkerung in einem Zustand dauerhafter Konformität und Unterordnung hält. Die Bewohner, oder Sims, arbeiten und leben in unmittelbarer Nähe zueinander, wodurch soziale Mobilität und persönliche Freiheit auf ein Minimum reduziert werden. Trotz großer Bevölkerungsdichte fehlen entscheidende Infrastrukturen wie Feuerwachen, Schulen oder Krankenhäuser, was zu einer bedrückenden Lebensqualität führt. Die Sims altern schnell und erreichen kaum ein Alter von über 50 Jahren, was die Vernachlässigung sozialer und gesundheitlicher Aspekte unterstreicht.
Eine besonders erschreckende Komponente von Magnasanti ist, dass die virtuelle Bevölkerung die totalitäre Herrschaft hinnimmt und keine Rebellionen oder sozialen Unruhen hervorruft. Polizei und Überwachungskräfte sorgen für Ordnung, die Bürger sind geistig und physisch so beeinträchtigt, dass sie keine Möglichkeiten sehen, das System zu hinterfragen. Dies ist eine provozierende und düstere Darstellung von Unterdrückung, die auf reale politische Modelle Bezug nimmt, in denen Kontrolle und Manipulation das Ziel der Machthaber sind. Vince selbst beschreibt SimCity nicht als gewöhnliches Spiel. Für ihn ist es ein Medium künstlerischer und philosophischer Erkundung.
Während viele Spiele auf Zerstörung und Kampf ausgelegt sind, ermöglicht SimCity kreatives Schaffen und das Experimentieren mit Gesellschaftsmodellen. Die Möglichkeit, komplexe Systeme zu simulieren, nutzt Vince, um Fragen zu Freiheit, Kontrolle, Fortschritt und menschlicher Existenz zu thematisieren. Dabei fand er Inspiration in Werken wie Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi“, einem experimentellen Film, der die Entfremdung der modernen Welt und die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt zeigt. Die Stadt Magnasanti ist somit weit mehr als ein virtueller Raum. Sie ist ein Spiegelbild gesellschaftlicher Realitäten und ein kritischer Kommentar über Autoritarismus.
Vince legt offen, dass seine zentralen Motive die Erforschung der Machtmechanismen und der Illusion von Ordnung sind. Seine Aussage, dass die Bürger einer solchen Stadt „Sklaven der Wirtschaft“ seien, die „im Kreis laufen“ und dabei nicht merken, dass sie in einem Käfig gefangen sind, ist eine prägnante Kritik an kapitalistischen und totalitären Systemen. Während andere Spieler SimCity oft als Moment der Entspannung oder Unterhaltung sehen, stellte Vince seine Fähigkeiten und seine Zeit in den Dienst eines groß angelegten Projekts, das ihn zu einer Art urbanem Künstler macht. Seine Arbeit an Magnasanti zeigt die Verbindung von Spiel, Kunst und gesellschaftlicher Reflexion. Trotz des intensiven Engagements ist er jedoch selbst ein zurückhaltender Mensch, der versichert, keine psychischen Krankheiten zu haben.
Seine Arbeit entspringt einer tiefen intellektuellen Neugier und philosophischen Denkweise. Magnasanti fordert die Spieler und Betrachter dazu heraus, über die Konsequenzen von Planung und Kontrolle nachzudenken. Es ist ein Monument für die Schattenseite der Urbanisierung und eine Warnung vor sozialer Entmenschlichung. Es zeigt, wie der Traum unendlichen Wachstums und Effizienz zum Albtraum für die Bevölkerung werden kann. Vince hat sich von der aktiven Spielwelt inzwischen fast ganz zurückgezogen, da er den persönlichen Reiz an den simulierten Welten verloren hat.
Seine Erfahrung lehrt jedoch, wie digitale Spiele als Werkzeug zur Erforschung philosophischer und sozialer Fragestellungen dienen können. Magnasanti ist dabei ein außergewöhnliches Beispiel für die Verknüpfung von Gaming, Kunst und kritischem Denken. In einer Welt, in der Computerspiele oft als bloße Unterhaltung abgetan werden, verdeutlicht das Projekt von Vincent Ocasla, dass digitales Spielen auch tiefgründige Narrative und komplexe Gesellschaftsmodelle beinhalten kann. Magnasanti bleibt ein beeindruckendes Zeugnis menschlichen Einfallsreichtums und der Frage, wie wir Städte, Gesellschaften und Systeme gestalten wollen – in der Realität wie in der virtuellen Welt.