Die Digitalisierung und die COVID-19-Pandemie haben einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitswelt eingeleitet. Remote-Arbeit, also das Arbeiten aus dem Homeoffice oder von beliebigen anderen Orten außerhalb des traditionellen Büros, ist längst zur Normalität geworden. Doch der Einfluss dieses Arbeitstrends geht über reine Flexibilität und Effizienz hinaus. Wissenschaftliche Studien und aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass Angestellte, die überwiegend oder teilweise remote arbeiten, tendenziell eher ein eigenes Unternehmen gründen als ihre Kollegen im Büro. Diese Erkenntnisse geben den Warnungen vieler Arbeitgeber einen neuen Blickwinkel und unterstreichen die Gründe, warum manche Chefs bei der Ausweitung von Homeoffice-Möglichkeiten vorsichtig sind.
Eine der wegweisenden Untersuchungen zu diesem Thema stammt von einem internationalen Forscherteam aus Hongkong, den USA und Kanada. In ihrer Studie "Entrepreneurial Spawning From Remote Work" analysierten die Wissenschaftler anhand von IP-Daten und LinkedIn-Profilen den Zusammenhang zwischen Homeoffice und dem Start von Neugründungen. Dabei zeigte sich klar, dass Mitarbeiter in Firmen mit hohem Remote-Anteil während und nach der Pandemie häufiger den Schritt zur Unternehmensgründung wagten. Mindestens 11,6 Prozent des Anstiegs an neuen Gründungen lässt sich demnach direkt auf die Ausweitung der Remote-Arbeit zurückführen. Die Analysemethoden basierten auf der Verknüpfung verschiedenster Datenquellen: IP-Adressen, die auf den Ort der Arbeit schließen lassen, soziales Netzwerkprofilen auf LinkedIn, sowie ergänzenden Daten vom US-Census und spezialisierten Unternehmensdatenbanken.
So konnte nachvollzogen werden, wann und wie Angestellte ihren Status von Beschäftigten zu Gründerinnen und Gründern wechselten. Besonders bemerkenswert war dabei, dass es sich meist um freiwillige Entscheidungen handelte. Die neue Selbstständigkeit entstand nicht primär aus Zwang wie Entlassungen, sondern als bewusste Wahl für eine neue berufliche Richtung. Für Unternehmen birgt dieses Verhalten sowohl Chancen als auch Risiken. Einerseits fördert die flexible Arbeitsgestaltung die Kreativität und Innovationskraft der Belegschaft.
Andererseits entsteht durch das sogenannte „Unternehmer-Spawning“ eine Konkurrenzsituation, wenn ehemalige Mitarbeitende eigene Firmen gründen, die direkt mit dem vorherigen Arbeitgeber konkurrieren. Einige Unternehmen ziehen daraus die Konsequenz, Remote-Optionen zu reduzieren oder ganz abzuschaffen, um Talente stärker an sich zu binden und abwandernde Gründer zu verhindern. Die Motivation der Mitarbeitenden für eine Unternehmensgründung ist vielfach darin begründet, dass die Freiheit und Zeitersparnis durch das Arbeiten von zu Hause den psychologischen und praktischen Spielraum bietet, ein eigenes Projekt neben dem laufenden Job zu verfolgen. Wegfallende Pendelzeiten, flexiblere Arbeitszeiten und ein geringeres Maß an Kontrollmechanismen schaffen ein unterstützendes Umfeld, in dem das Ausprobieren von unternehmerischen Ideen leichter fällt. Zudem genießen Remote-Mitarbeitende oft eine finanzielle Sicherheit durch ihren festen Lohn, die ihnen erlaubt, kalkulierte Risiken bei der Gründung neuer Firmen einzugehen.
Allerdings ist dieser Effekt nicht einheitlich. Andere Studien, beispielsweise von Barrios et al., zeigen, dass flexible Arbeitsmodelle in manchen Fällen das Bedürfnis nach einer eigenen Firma vermindern können – wenn die Flexibilität des Homeoffice die Gründe für eine Selbstständigkeit wie mehr Freiheit und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erstattet. Die verschiedenen Studien ergänzen sich, indem sie unterschiedliche Arten von Unternehmensgründungen betrachten: Während manche „Lifestyle“-Gründungen weniger präsent sind, erscheinen vor allem wachstumsorientierte Startups in der Analyse von LinkedIn-Daten. Dieser Trend hat weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitsplatzgestaltung.
Große Technologieunternehmen wie Amazon, Google, Dell oder IBM haben bereits Rückschritte beim Remote-Arbeiten gemacht, oft mit der Begründung, dass physische Büros Innovation und Zusammenarbeit fördern. Kritiker vermuten jedoch, dass auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, etwa die Aufrechterhaltung von Steueranreizen oder die Verhinderung ungewollter Kündigungen durch erhöhte Büropräsenz. Für die Politik bedeutet die Zunahme von Unternehmensgründungen durch Remote-Arbeitnehmer hingegen eine positive Entwicklung. Neue Firmen bringen Innovation, schaffen Arbeitsplätze und sorgen für eine bessere Verteilung von Ressourcen in der Wirtschaft. Aus Sicht der Gesellschaft fördert das Angebot flexibler Arbeitsformen die Mobilität und den Unternehmergeist, der für wirtschaftliches Wachstum entscheidend ist.
Darüber hinaus zeigen Daten des US Bureau of Labor Statistics, dass die Produktivität mit höherem Anteil von Remote-Arbeit in vielen Branchen zugenommen hat. Die erhöhte Produktivität steht im Einklang mit dem Anstieg neuer Geschäftsideen und der Gründung von Unternehmen. Somit bestätigt sich, dass Remote-Arbeit nicht nur den einzelnen Beschäftigten, sondern auch dem gesamten Wirtschaftsgefüge neue Impulse geben kann. Die Anzahl der Remote-Arbeitstage bleibt hoch: Laut einer aktuellen Studie von Stanford University und ITAM arbeiten etwa ein Viertel der amerikanischen Erwerbstätigen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren mindestens teilweise von zu Hause, ein Trend, der sich auch in anderen Industrieländern abzeichnet. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der Ermöglichung von Flexibilität und der Verhinderung des Verlusts wichtiger Talente an die Konkurrenz durch Ausgründungen.
Die Debatte um Homeoffice und Unternehmensgründungen verdeutlicht die komplexe Dynamik moderner Arbeitswelten. Arbeitgeber müssen ihre Strategien anpassen, indem sie neben reinen Präsenz- oder Remote-Zwängen auch hybride Modelle und Anreizsysteme berücksichtigen, die Bindung und Innovation fördern. Gleichzeitig sollten politische Entscheidungsträger die Chancen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch das unternehmerische Potenzial von Remote-Arbeitnehmern aktiv unterstützen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Befürchtungen vieler Chefs keineswegs unbegründet sind. Remote-Arbeit schafft nicht nur eine andere Arbeitsumgebung, sondern auch eine neue Dynamik in der Personalentwicklung und Unternehmenslandschaft.
Wer diese Entwicklungen versteht und strategisch darauf eingeht, kann von den Vorteilen profitieren und zugleich die Risiken minimieren. Die Zukunft der Arbeit wird zunehmend durch Flexibilität und Unternehmergeist geprägt sein – und die Grenzen zwischen Angestelltendasein und Gründungstätigkeit werden fließender denn je.