In der heutigen digitalen Welt nimmt die Bedeutung sozialer Medien als Nachrichtenträger und Diskussionsplattform stetig zu. Nutzende informieren sich nicht nur über aktuelle Ereignisse, sondern beteiligen sich aktiv an der öffentlichen Meinungsbildung. Gleichzeitig wächst die Problematik der Verbreitung von Fehlinformationen mit rasender Geschwindigkeit. Diese falschen oder irreführenden Inhalte wirken sich negativ auf gesellschaftliche Diskurse, politische Prozesse und das Vertrauen in die Informationslandschaft aus. Um dem entgegenzuwirken, setzen immer mehr Plattformen auf Fact-Checking-Mechanismen, bei denen die Community selbst zur Überprüfung der Beitragsinhalte beiträgt.
Doch diese scheinbar gute Lösung bringt auch unerwartete Auswirkungen mit sich, vor allem im Bereich der emotionalen Reaktionen der Nutzer auf entsprechende Korrekturen. Community Fact-Checking – eine neue Form der Qualitätssicherung Traditionelles Fact-Checking ist meist Expertenwissen vorbehalten und aufwendig, weshalb nur ein Bruchteil irreführender Beiträge zeitnah überprüft werden kann. Im Gegensatz dazu zeichnet sich das sogenannte Community Fact-Checking durch die Einbindung vieler Nutzer aus, die Beiträge bewerten und Kontext liefern, um Fehlinformationen leichter zu entlarven. Plattformen wie X (früher Twitter) haben mit Programmen wie „Community Notes“ den Anspruch, auf großskaligem Niveau eine zuverlässige Überprüfung sicherzustellen. Diese Maßnahmen sollen die Verbreitung von falschen Informationen eindämmen, die Glaubwürdigkeit von Nachrichten erhöhen und Nutzer dazu bringen, kritischer mit Inhalten umzugehen.
Emotionale Folgen des Fact-Checkings Während bereits untersucht wurde, dass Community Fact-Checks die Intention der Nutzer reduzieren, irreführende Beiträge zu teilen, war lange unklar, wie diese Interventionen emotional wirken. Nun zeigen neuere Studien, dass die Anzeige von Community-Fact-Checks durchaus Gefühle in den Nutzerantworten hervorrufen kann – und zwar verstärkt negativ wie Ärger, Ekel und moralische Empörung. Dieses Phänomen ist gründlich analysiert worden, indem über zwei Millionen Antworten unter mehr als 1800 faktengeprüften Beiträgen ausgewertet wurden. Die Ursachen für die hervorgerufene moralische Empörung liegen in der Wahrnehmung einer Verletzung gesellschaftlicher Normen, die durch das Verbreiten von Fehlinformationen stattfindet. Nutzer reagieren darauf mit einer Mischung aus Ärger und Ekel, die zusammen eine starke emotionale Kraft entfalten: die sogenannte moralische Empörung.
Dieses Gefühl motiviert sie nicht nur, den Urheber der irreführenden Information zu kritisieren, sondern signalisiert auch der gesamten Community, dass solche Verstöße nicht toleriert werden. Auch wenn moralische Empörung dazu beitragen kann, falsche Aussagen zurückzudrängen und zur Korrektur beizutragen, birgt sie Risiken. Die emotionale Eskalation kann zu harschen Konflikten, gegenseitigen Schuldzuweisungen und verstärkter Polarisierung führen, die eine offene und respektvolle Debattenkultur gefährden. Gerade politische Themen zeigen diese Tendenz besonders stark: Die Bedürfnisse nach Meinungsfreiheit und fairer Diskussion geraten hier ebenso in Konflikt mit dem Ziel, Schaden durch falsche Informationen zu minimieren. Die Rolle politischer Verschwörungstheorien Besondere Aufmerksamkeit verdienen politische Fehlinformationen, da sie demokratische Prozesse direkt beeinträchtigen können.
Es wurde nachgewiesen, dass nach der Feststellung von Desinformation gerade in politischen Kontexten die moralische Empörung in Nutzerreaktionen noch verstärkt wird. Die erhöhte Gefühlsempfindlichkeit resultiert darin, dass Falschbehauptungen zu Wahlmanipulationen, Korruption oder Betrug besonders emotional aufgenommen und schärfer kritisiert werden. Die Daten belegen, dass bei Beiträgen mit politischem Inhalt sowohl ein Rückgang positiver als auch ein Anstieg negativer und empörungsgetriebener Antworten zu beobachten ist. Diese verstärkte Reaktion ruft die Frage auf, wie sich die Funktion von Community Fact-Checks positiv nutzen und zugleich negative Effekte auf die Diskussionskultur minimieren lassen. Zeitliche Stabilität und Übertragung von Emotionen Interessanterweise zeigt sich, dass die emotionalen Reaktionen vor der Faktenergänzung durch Community Notes weitgehend stabil und weniger ausgeprägt sind.
Erst die Sichtbarmachung der irreführenden Inhalte verursacht einen sprunghaften Anstieg von moralischer Empörung. Darüber hinaus werden die Gefühle, die in den Originalbeiträgen mitschwingen, teilweise intensiv in den Antworten gespiegelt. Dies deutet darauf hin, dass sich Emotionen innerhalb sozialer Netzwerke verbreiten und gegenseitig verstärken können – ein Effekt, der als emotionale Ansteckung oder Homophilie bezeichnet wird. Technische Herangehensweise und Forschungsdesign Die Einschätzung von Emotionen wurde mithilfe moderner Sprachverarbeitungsalgorithmen (Natural Language Processing, NLP) durchgeführt, die die Wahrscheinlichkeit von Grundemotionen wie Ärger, Ekel oder Freude in den Antworten analysieren. Die Kausalität zwischen dem Anzeigen von Community-Fact-Checks und den Veränderungen der Emotionen wurde durch sogenannte Regression Discontinuity Designs (RDD) untersucht, eine statistische Methode, die Effekte um einen klaren Zeitpunkt der Intervention isoliert erfasst.
Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die Introduktion von Community Notes einen signifikanten Zuwachs bei negativen Gefühlen zur Folge hat: Die negativen Stimmungen in den Antworten stiegen um mehr als sieben Prozent und die moralische Empörung – also die kraftvolle Mischung aus Ärger und Ekel – sogar um rund 16 Prozent an. Dieser Effekt ist damit deutlich größer als die einzelne Steigerung von Ärger (13,2 %) oder Ekel (4,7 %). Auswirkungen für die Gestaltung von Fact-Checking-Systemen Die Erkenntnis, dass Community Fact-Checking moralische Empörung auslöst, bringt konkrete Implikationen für die Weiterentwicklung dieser Systeme mit sich. Einerseits stärkt moralische Empörung die Wirksamkeit der Intervention, weil Inhalte von Nutzerinnen und Nutzern kritischer betrachtet und falsche Behauptungen schneller korrigiert werden. Andererseits können die emotionalen Reaktionen zu verschärften Diskussionen, Polarisierung und Abwehrhaltungen gegenüber Faktenchecks führen.
Um dieses Spannungsfeld zu adressieren, werden verschiedene Vorschläge diskutiert, wie zum Beispiel zeitlich begrenzte Eingriffe. Eine Möglichkeit bestehe darin, Beiträge mit Community-Fact-Checks für eine gewisse Dauer unsichtbar zu machen, damit Autorinnen und Autoren die Gelegenheit erhalten, Inhalte selbst zu korrigieren oder zu entfernen. Ebenso könnten Kommentarfunktionen vorübergehend eingeschränkt werden, um hitzige Diskussionen abzufedern. Ein gezieltes Hervorheben von Community-Richtlinien bei emotional belasteten Beiträgen kann ebenfalls zur Wahrung eines respektvollen Diskussionsklimas beitragen. Offline-Dimensionen und Zukunftsaussichten Trotz der Relevanz der Online-Interaktion bedarf es weiterer Untersuchungen, um zu verstehen, wie moralische Empörung in sozialen Netzwerken die Offline-Wirklichkeit beeinflusst.
Beispielsweise könnten sich sich radikalisierende Haltungen oder Polarisierungen auch auf reale gesellschaftliche Konflikte auswirken. Ferner ist anzumerken, dass bisherige Studien vor allem englischsprachige und regional konzentrierte Beiträge analysieren. Über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg erfordern die Auswirkungen von Community Fact-Checking auf moralische Empörung weitere Forschung. Ebenso können Themengebiete jenseits von Politik, wie Gesundheit oder Wirtschaft, andere emotionale Dynamiken aufweisen. Fazit Das Community Fact-Checking ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Verbreitung von Fehlinformationen auf sozialen Plattformen.