Das Open-Source-Projekt curl, das seit über 25 Jahren Internetanwendungen und -infrastrukturen mit seinem vielseitigen Command-Line-Tool und der Bibliothek unterstützt, gerät zunehmend ins Visier einer Problematik, die vielen der offenen Softwareprojekte Sorge bereitet. Die Entwickler rund um den curl-Gründer Daniel Stenberg stehen vor einer Flut von Sicherheitsmeldungen, die offenbar von künstlichen Intelligenzsystemen generiert werden und sich als fehlerhafte, unbrauchbare oder schlichtweg irreführende Berichte entpuppen. Diese sogenannten „AI slop“ oder KI-Müllmeldungen setzen die Ressourcen der Projektbetreuer massiv unter Druck und hinterlassen einen bitteren Beigeschmack im Umgang mit modernen Technologien. Die Problematik offenbart nicht nur die Risiken einer unkontrollierten Nutzung von KI-Tools bei sicherheitsrelevanten Anwendungen, sondern stellt auch die gesamte Bug-Bounty- und Sicherheitsforschungsgemeinschaft vor neue Herausforderungen. Curl ist weit mehr als ein einfaches Werkzeug: Es ist ein unverzichtbarer Bestandteil vieler Programme und Systeme im Internet, der die Kommunikation per HTTP, FTP, SMTP und zahlreichen weiteren Protokollen ermöglicht.
Die Integrität und Sicherheit dieser Software ist daher von enormer Bedeutung. Dennoch häufen sich seit einiger Zeit Berichte über vermeintliche Schwachstellen, die bei genauerer Prüfung nicht existieren oder zumindest keinerlei Relevanz für curl selbst haben. Die eigentliche Ursache dahinter ist ein Trend, der sich zurzeit in vielen Open-Source-Projekten abzeichnet: Automatisierte, von KI generierte Einreichungen, die entweder aus Unwissenheit, Suche nach Aufmerksamkeit oder einfach aus Missbrauch entstehen. Daniel Stenberg drückte in einem viel beachteten LinkedIn-Beitrag seine zunehmende Frustration aus. Er beschreibt diese Flut als eine Art „DDoS auf ihre Zeit und Aufmerksamkeit“ und betont, dass sie bereit wären, Gebühren für diese unnötige Belastung zu erheben, würde es rechtlich möglich sein.
Für Stenberg ist klar, dass die Bedrohung nicht von echten Sicherheitsforschern ausgeht, die sich tiefgehend mit der Software auseinandersetzen, sondern vielmehr die Folge eines Missverständnisses oder Missbrauchs moderner KI-Engines, die auf Basis von Prompts „schöne“ und scheinbar kompetente Meldungen generieren - ohne aber einen realen Hintergrund oder valide technische Erkenntnisse zu liefern. Auffällig bei den KI-generierten Meldungen ist laut Stenberg die häufig perfekte Sprache, die formale Höflichkeit und der makellose Aufbau. Dies ist für erfahrene Entwickler geradezu unnatürlich, da echte Einzelfälle oft rohe, fragmentarische Beschreibungen enthalten, die mit der Zeit verfeinert werden. Besonders brisant wurde das Thema durch eine Meldung, die am 4. Mai 2025 einging und angeblich eine bisher unbekannte Schwachstelle in der neuen HTTP/3-Implementierung von curl identifizierte.
Die Meldung behauptete, Zyklen in Stream-Abhängigkeiten könnten zu Exploits bis hin zur Remote-Code-Ausführung führen. Bei der prüfenden Analyse stellte sich jedoch heraus, dass der bereitgestellte Patch nicht zum letzten Stand der interagierenden Bibliotheken passte und zahlreiche technische Fehler enthielt. Die Kommunikation des Meldenden offenbarte eine ungewöhnliche, fast automatisierte Reaktion, mit zum Teil grundlegend falschen Angaben und sehr generischen Erklärungen zu Konzepten, die bei echten Sicherheitsforschern vorausgesetzt werden. So entstand ein öffentliches Beispiel für eine irreführende KI-generierte Sicherheitsmeldung, die als Warnung an die Community dient, künftig vorsichtiger zu sein. HackerOne, der Service, über den viele Sicherheitsforscher ihre Meldungen einreichen, zeigt sich ebenfalls sensibilisiert gegenüber dem Problem.
In einer Stellungnahme unterstrich Alex Rice, CTO und CISO des Unternehmens, dass Meldungen mit „halluzinierten“ Lücken, ungenauer technischer Darstellung oder schlicht minderwertigem Inhalt als Spam eingestuft und sanktioniert werden. Zugleich betont HackerOne die Potenziale künstlicher Intelligenz bei der professionellen Sicherheitsforschung, vor allem wenn sie zur Qualitätssteigerung und besseren Verständlichkeit beiträgt, gerade für Nutzer, für die Englisch nicht die Muttersprache ist. Allerdings ist die Herausforderung, KI dazu zu bringen, wirklich relevante und präzise Schwachstellen zu identifizieren, noch nicht gemeistert. So entsteht eine Balance zwischen dem Nutzen der unterstützenden Technologien und dem Schutz vor zusätzlichem Rauschen und Verschwendung wertvoller Ressourcen. Daniel Stenberg sieht in diesem Trend eine besorgniserregende Entwicklung, die längst nicht nur curl betrifft.
Auch andere Open-Source-Projekte erleben eine Zunahme solcher automatisierten Meldungen, was die Effektivität echter Sicherheitsarbeit gefährdet und die Community erschöpft. Es werden zunehmend Forderungen nach einem besseren Screening dieser Meldungen laut, etwa durch Prüfmechanismen innerhalb der Bug-Bounty-Systeme oder andere Filterstrategien. In Diskussionen mit anderen Sicherheitsexperten und Betreibern von Programmen mit finanziellen Anreizen für Bug-Reports wird über mögliche Maßnahmen debattiert. Unter anderem wird eine Verpflichtung erwogen, Meldungen mit einer Art „Kautionszahlung“ zu versehen, die im Erfolgsfall erstattet werden könnte. Dies soll schwarze Schafe abschrecken, die lediglich auf schnelles Geld aus sind, und die Seriosität erhöhen.
Doch es bestehen auch Bedenken, dass solche Verfahren die Beteiligung ehrlicher und vor allem individueller Forscher aus Schwellenländern beeinträchtigen könnten. Seth Larson vom Python Software Foundation Security-Team warnt ebenfalls vor der dramatischen Zunahme von KI-Fehlmeldungen in der gesamten Open-Source-Szene. Er sieht hierin eine ernsthafte Gefahr, da viele Projekte nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügen, um den Strom an Meldungen sinnvoll zu bewältigen. Die hohe Fehlerquote und die Zeit, die für das Prüfen von falschen Informationen aufgewendet werden muss, gefährden mittel- und langfristig das Sicherheitsniveau der gesamten Softwarelandschaft. Die Debatte um KI und Sicherheitsforschung bringt auch eine ethische Komponente mit sich.
Während viele Entwickler und Forscher auf die Vorteile der KI schwören, etwa zur Code-Analyse, Mustererkennung oder Dokumentation, ist der unreflektierte Einsatz als Allheilmittel problematisch. Fehlgeleitete Automatisierung kann wertvolle Arbeitszeit verschwenden und im Zweifel sogar neue Risiken mit sich bringen, wenn falsche Annahmen in der Software-Sicherheit auf dieser Basis verbreitet werden. Curl hat sich an dieser Stelle klar positioniert: Bis heute gibt es keine von KI vollständig generierte und von der Entwickler-Community als valide anerkannte Sicherheitsmeldung. Die Hoffnung liegt darin, dass künftige KI-Entwicklungen besser darauf ausgerichtet sind, relevante Ergebnisse zu liefern und nicht nur plausibel klingende, aber inhaltsleere Berichte zu erstellen. Für Open-Source-Communities bedeutet die Lage jedoch, dass sie eingefahrene Prozesse überprüfen und durch neue Werkzeuge ergänzen müssen, um der Flut sogenannter „AI slop“ Herr zu werden.
Automatisierte Filter, bessere Kommunikation mit Plattformen wie HackerOne sowie eine verstärkte Sensibilisierung der Community sind Schritte in diese Richtung. Es bleibt eine Gratwanderung zwischen Offenheit für innovative Technologien und der Sicherstellung, dass echte menschliche Expertise und kritische Analyse nicht in den Hintergrund rücken. Letztlich steht die Integrität von Millionen Zeilen Code und das Vertrauen in Softwareinfrastrukturen auf dem Spiel. Das Beispiel curl zeigt exemplarisch, wie moderne Herausforderungen im Spannungsfeld von Open-Source-Entwicklung, IT-Sicherheit und Künstlicher Intelligenz ineinandergreifen. Die Entscheidungen und Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, werden langfristige Auswirkungen auf die gesamte Branche haben und sollten mit Blick auf Nachhaltigkeit und Qualität getroffen werden.
Entwickler, Forscher und Betreiber von Sicherheitsprogrammen sind aufgerufen, gemeinsam Lösungen zu finden und die Potentiale der KI verantwortungsvoll zu nutzen, ohne daraus eine unnötige Belastung oder gar Fehllehren zu generieren. Curl macht mit seiner klaren Haltung deutlich, dass die Kombination aus menschlichem Sachverstand und geeigneten technischen Hilfsmitteln der Schlüssel ist, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können. Nur so kann sichergestellt werden, dass Sicherheitslücken authentisch erkannt und rechtzeitig behoben werden, um das Internet auch in Zeiten rasanter technologischer Veränderungen sicher und verlässlich zu halten.