Die Einzelhandelsbranche im Vereinigten Königreich befindet sich an einem kritischen Wendepunkt. In einem Umfeld, das zunehmend von Cyberbedrohungen geprägt ist, offenbaren aktuelle Studien eine erschreckend geringe Bereitschaft vieler Unternehmen, sich gegen diese Risiken zu wappnen. Experten warnen, dass mangelnde Cybersecurity nicht nur die IT-Abteilung betrifft, sondern die gesamte Wertschöpfungskette und das Vertrauen der Kunden tiefgreifend erschüttern kann. Eine umfassende Untersuchung unter 117 Führungskräften aus der britischen Einzelhandelsbranche zeigt, dass 11 Prozent offen zugeben, nicht ausreichend auf Cyberangriffe vorbereitet zu sein. Diese Zahl ist besorgniserregend, denn sie steht im Widerspruch zur Tatsache, dass 58 Prozent der befragten Führungskräfte Cybersecurity als eine der drei größten Gefahren für ihre Branche im kommenden Jahr ansehen.
Die Bedrohungen aus dem digitalen Raum manifestieren sich nicht nur in Form von Ransomware-Attacken oder Datenlecks, sondern auch durch Systemausfälle, die den Betrieb teilweise zum Erliegen bringen können. Vor diesem Hintergrund investieren viele Einzelhändler zunehmend in ihre Sicherheitsinfrastrukturen. Rund 64 Prozent geben an, ihre Bemühungen im letzten Jahr verstärkt zu haben, um den wachsenden Risiken zu begegnen. Dazu gehören Modernisierungen der IT-Systeme, die Überprüfung von Notfallreaktionsplänen und die Integration von Sicherheitsprotokollen entlang der gesamten Lieferkette. Diese Schritte zeigen, wie stark die Komplexität der Risiken gestiegen ist: Innerhalb des vergangenen Jahres haben die 30 größten börsennotierten britischen Einzelhändler insgesamt 278 Hauptbedrohungen offengelegt, von denen 40 neu oder eskalierend sind.
Ein Viertel dieser neuen Risiken hat seinen Ursprung im Cyberbereich. Die Auswirkungen von Cyberangriffen auf das Geschäft sind hierbei bereits greifbar. So musste das Traditionsunternehmen Marks & Spencer im April dieses Jahres seine Online- und App-Bestellungen vorübergehend aussetzen, nachdem es von einem bedeutenden Cyberangriff betroffen war. Die finanziellen Folgen können erheblich sein: Für das Geschäftsjahr 2025/26 erwartet das Unternehmen einen operativen Gewinnrückgang von etwa 300 Millionen Pfund schon vor der Umsetzung jeglicher Abhilfemaßnahmen. Noch weniger optimistisch ist die Bilanz vieler mittelständischer Unternehmen, die bisher weniger Ressourcen in die Cybersecurity investieren konnten.
Selbst vergleichsweise kleinere Angriffe, wie etwa ein sogenannter Credential-Stuffing-Versuch bei The North Face, können zu Kundenbenachrichtigungen und erhöhtem Vertrauensverlust führen. Die Unsicherheit gegenüber digitaler Sicherheit wirkt sich somit unmittelbar auf die Markenreputation aus und gefährdet die bindenden Kundenbeziehungen vieler Einzelhändler. Neben den technischen Aspekten stehen Einzelhändler auch unter finanziellem Druck. Für das Jahr 2025 prognostizieren Experten einen Anstieg der Betriebskosten um rund 6,5 Milliarden Pfund. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von gestiegenen Mindestlöhnen und Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung bis hin zu höheren Betriebskosten für Immobilien und Energie.
Diese finanzielle Belastung wirkt sich unmittelbar auf die Margen aus. Die durchschnittliche Vorsteuer-Gewinnquote im Sektor ist in den vergangenen zehn Jahren von 10,4 Prozent im Jahr 2014 auf lediglich 5,7 Prozent im Jahr 2024 gefallen. Das entspricht einem kumulierten Verlust von mehr als 7,3 Milliarden Pfund an Vorsteuergewinnen unter den britischen Einzelhändlern. Richard Lim, Geschäftsführer von Retail Economics, betont die wachsende Bedeutung von Cyberrisiken für den Einzelhandel. Er weist darauf hin, dass Cyberbedrohungen weit über die Grenzen der IT hinausgehen und direkt das Vertrauen der Kunden, das Image der Marke und die Kontinuität der Betriebsabläufe betreffen.
Viele Einzelhändler hätten jedoch noch nicht genügend Selbstvertrauen oder Kapazitäten, um adäquat auf Angriffe zu reagieren. Für eine nachhaltige Widerstandsfähigkeit sei es entscheidend, nicht nur Schutzmaßnahmen zu implementieren, sondern auch schnelle Reaktionsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit zu gewährleisten. Diejenigen Einzelhändler, die der digitalen Transformationsherausforderung proaktiv begegnen, nutzen Cyberrisiken als Anstoß für umfassendere Veränderungen. Investitionen in digitale Infrastruktur werden dabei ebenso beschleunigt wie die Stärkung der unternehmensinternen Agilität. Resilienz wird systematisch als integraler Bestandteil aller Geschäftsprozesse verankert.
Solche mutigen und strategischen Entscheidungen könnten letztlich den Unterschied zwischen nachhaltigem Erfolg oder langfristiger Instabilität im komplexen Handelsumfeld ausmachen. Für die britische Einzelhandelsbranche gilt daher, die Cybersecurity nicht als isoliertes IT-Problem, sondern als strategisches, bereichsübergreifendes Thema zu begreifen. Der digitale Wandel erfordert ein Umdenken in Bezug auf Risiken und Investitionen, gepaart mit einem höheren Bewusstsein für die Verwundbarkeiten, die mit der Nutzung vernetzter Technologien einhergehen. Nur so können Handelsunternehmen dem zunehmenden Cyberdruck standhalten, ihre Marktposition verteidigen und das Vertrauen der Verbraucher langfristig sichern. Abschließend wird deutlich, dass die Sicherung der digitalen Infrastruktur und die Vorbereitung auf Cybervorfälle essenzielle Bausteine für die Zukunftsfähigkeit des britischen Einzelhandels sind.
Während die Herausforderungen unübersehbar sind, bieten sie auch Chancen für Innovation und Wachstum, sofern die Branche bereit ist, die aktuell klärungsbedürftigen Schwächen in Sachen Cybersecurity zu überwinden und sich auf eine dynamischere, sicherere und widerstandsfähigere Zukunft auszurichten.