In der Welt der Softwareentwicklung war Microsoft jahrzehntelang eine dominierende Kraft. Insbesondere die Windows API, das grundlegende Schnittstellen-Set, das Entwicklern den Zugang zum Betriebssystem ermöglichte, galt als das Kronjuwel des Unternehmens. Die API war nicht nur technische Grundlage für zahllose Anwendungen, sondern auch ein entscheidender Faktor, der Microsofts Marktstellung sicherte und den Erfolg von Windows und Office untermauerte. Doch um das Jahr 2004 begann sich das Blatt zu wenden – Microsoft verlor mehr und mehr an Einfluss im Entwickler-Ökosystem, weil sich der Fokus der Branche und der Entwicklergemeinschaft weg von der Windows API hin zu neuen Technologien verschob. Dieses Ereignis wird oft als „Verlust des API-Krieges“ bezeichnet, ein Wendepunkt, der Microsofts Position grundlegend erschütterte und wichtige Lektionen bereithält.
Die Ursachen, Folgen und Hintergründe dieser Entwicklung sind komplex und vielschichtig und verdienen eine eingehende Betrachtung. Für Entwickler ist ein Betriebssystem vor allem ein Mittel zum Zweck – es stellt Ressourcen bereit und bietet Schnittstellen, über die Applikationen ihre Funktionalität realisieren können. Die eigentliche Anziehungskraft eines Betriebssystems liegt daher in der Verfügbarkeit hochwertiger Anwendungen. Softwareentwickler sind das Rückgrat dieses Ökosystems und ihre Präferenzen bestimmen maßgeblich den Erfolg oder Misserfolg einer Plattform. Microsoft verstand dies früh und verfolgte lange die Strategie, Entwicklern die Arbeit durch leistungsfähige, gut dokumentierte und abwärtskompatible APIs zu erleichtern.
In den 1990er-Jahren war dies ein wesentlicher Grund für die massenhafte Verbreitung von Windows-basierten Anwendungen und somit für Microsofts Dominanz auf dem Desktop. Der Schlüssel zu Microsofts Erfolg lag in der enormen Rückwärtskompatibilität der Windows API. Microsoft investierte erhebliche Ressourcen, um sicherzustellen, dass selbst Anwendungen, die Fehler oder nicht dokumentierte Funktionsaufrufe enthielten, auf neueren Windows-Versionen noch liefen. Dieses langfristige Engagement für Stabilität und Kompatibilität bewahrte die Investitionen der Entwickler und Anwender – eine Eigenschaft, die von anderen Herstellern wie Apple weniger konsequent verfolgt wurde. So blieben viele alte Mac-Anwendungen schnell unbrauchbar, da Apple im Gegensatz zu Microsoft keine Rücksicht darauf nahm, ob ungeplante Nutzungsszenarien weiterhin unterstützt wurden.
Doch im Laufe der Zeit entstand innerhalb von Microsoft ein innerer Konflikt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an die Softwareentwicklung. Auf der einen Seite stand die „Raymond Chen“-Fraktion, die den Wert der Stabilität und Kompatibilität pflegte und funktionierende Konzepte konsolidieren wollte, anstatt ständig neue, komplexe Technologien zu schaffen. Auf der anderen Seite entstand die „MSDN Magazine“-Fraktion, die den Fokus auf neue, mächtige, aber oft komplizierte Technologien legte. Diese unterstützten vielfältige neue APIs, die häufig schwer verständlich und in der praktischen Nutzung problematisch waren. Ein solcher Bruch manifestierte sich beispielsweise in der Entscheidung, Visual Basic.
NET nicht abwärtskompatibel zu Visual Basic 6.0 zu gestalten. Dies war ein radikaler Einschnitt, da zum ersten Mal bei einem Microsoft-Upgrade der Quellcode früherer Versionen nicht ohne weiteres wiederverwendet werden konnte. Während „Alt-Anwender“ und Entwickler zunächst protestierten, unterschätzte Microsoft die Tragweite dieses Schritts und den Vertrauensverlust, der damit einherging. Parallel dazu entwickelten sich mit .
NET und neuen Frameworks rund um Managed Code und moderne Programmiersprachen wie C# fortschrittliche Entwicklungsplattformen, die technisch klar überlegen waren. Sie beseitigten viele Schwächen klassischer Windows API-Programmierung, beispielsweise indem sie automatische Speicherverwaltung einführten, die Programmierern viel Arbeit abnahm und die Produktivität steigerte. Gleichzeitig sorgten Sie aber für eine Fragmentierung innerhalb der Entwicklergemeinschaft. Es entstand kein einheitlicher Standard, sondern ein „Mehrfrontenkrieg“ aus verschiedenen konkurrierenden API-Welten und Programmiersprachen, die Entwickler verwirrten und teilweise abschreckten. Vor allem stießen diese neuen Technologien bei etablierten Entwicklern auf Widerstand, die zum Teil nicht bereit waren, den mit Migrationen verbundenen Aufwand zu tragen, zumal der Markt für Windows-Anwendungen insgesamt stagnierte.
Immer mehr Entwickler wandten sich stattdessen dem Web als Plattform zu, denn webbasierte Anwendungen waren plattformunabhängig, leichter bereitzustellen und wartungsfreundlicher. Die nahtlose Verfügbarkeit der Anwendungen über den Browser machte Windows als Zielplattform für viele Entwickler zunehmend überflüssig. Das Web wurde zum „neuen API“, mit HTML, CSS, JavaScript und serverseitigen Scripts als technologische Basis und einer globalen relevanten Entwicklergemeinde. Microsoft versuchte zwar, gegen diese Entwicklung mit Projekten wie Avalon und Longhorn gegenzuhalten und setzte weiterhin auf den Rich Client, doch der technologische und wirtschaftliche Wandel war nicht mehr aufzuhalten. Das Problem war, dass viele geplante Neuerungen zwar faszinierend, aber nur bedingt abwärtskompatibel oder vollständig kompatibel mit bestehenden Anwendungen waren.
Updates brachen häufig mit etablierten Standards. Entwickler hatten außerdem nicht die Zeit, ihre Software ständig neu zu schreiben oder sich komplett auf neue APIs einzulassen, die zudem oft nur auf neuesten Betriebssystemversionen liefen. Dadurch verspäteten sich die Durchbrüche neuer Microsoft-Technologien, während sich gleichzeitig Webtechnologien in rasantem Tempo weiterentwickelten. Die Tragweite dieses Wandels lässt sich auch am Arbeitsmarkt beobachten: Entwickler mit fundierter Windows API oder COM-Erfahrung wurden immer seltener, der Markt verlangte neue Skills im Webbereich, und die Gehälter spiegelten diese Nachfrage wider. Für viele war die Webentwicklung nicht nur leichter zugänglich, sondern auch die nachhaltigere Zukunftsperspektive.
Das traditionelle Microsoft-Ökosystem verlor dadurch massiv an Anziehungskraft auf Entwickler und Innovationskraft. Das Ergebnis dieses verlorenen API-Krieges war mehr als nur ein technischer Wandel. Es bedeutete, dass Microsofts Fokus auf eine einzelne dominierende Betriebssystemplattform mit einer proprietären API zugunsten einer offenen, plattformübergreifenden Webtechnologie hin verschoben wurde. Dies kann man als fundamentale Marktverschiebung interpretieren, die die gesamte Softwarebranche verändert hat. Microsoft blieb zwar finanziell über lange Zeit stark und profitabel, allerdings musste das Unternehmen umdenken und seine Rolle in einer neuen Entwicklungswelt neu definieren.