Die Private Krankenversicherung (PKV) ist für viele Menschen ein Zeichen für den Zugang zu schneller und hochwertiger medizinischer Versorgung. Sie verspricht eine Behandlung als „Patient erster Klasse“ und bietet zahlreiche Vorteile, die in der gesetzlichen Krankenversicherung oft nicht gegeben sind. Doch ist diese vermeintliche Exklusivität tatsächlich ein Segen, oder wird sie im Alter zu einer finanziellen Belastung, die das Leben erheblich einschränkt? In Deutschland gibt es mehr als 8 Millionen Menschen, die privat krankenversichert sind. Zu ihnen gehört auch der 72-jährige Dieter Wassmann, ein ehemaligen selbstständigen Werkstattbetreiber. Wassmann hat sein Leben lang hart gearbeitet und längst seine Eigentumswohnung in Bremen abbezahlt.
Doch jetzt, im Ruhestand, sieht er sich mit einer kaum tragbaren finanziellen Situation konfrontiert. Monatlich verlangt seine private Krankenversicherung 1.050 Euro – ein Betrag, der für Wassmann, der eine Rente von nur 1.200 Euro bezieht, kaum zu bewältigen ist. Nach Abzug der Versicherungskosten bleiben ihm gerade einmal 150 Euro für Lebensmittel, Freizeitaktivitäten und andere Ausgaben.
„Egal wie ich rechnete, ich konnte mir die Krankenversicherung nicht mehr leisten. Mein Erspartes war fast aufgebraucht“, klagt er. Dieter Wassmann ist kein Einzelfall. Zahlreiche Rentner in Deutschland müssen ähnliche Erfahrungen machen, und das System der privaten Krankenversicherung zeigt Risse. Die private Krankenversicherung wurde ursprünglich eingeführt, um Selbstständigen und Beamten eine flexible und individuelle Gesundheitsversorgung zu bieten.
Ein großer Vorteil war, dass die Höhe der Beiträge nicht nach dem Einkommen, sondern nach dem Gesundheitsrisiko und dem Eintrittsalter kalkuliert wurde. Dies führte dazu, dass viele junge Menschen mit einer guten Gesundheit in die PKV eintraten – oft mit dem Traum, sich im Alter eine lebenslange, unkomplizierte medizinische Versorgung sichern zu können. Allerdings kann sich dieser Traum schnell zum Albtraum wandeln, sobald das Eintrittsalter steigt und die gesundheitlichen Beschwerden zunehmen. Die Beitragsentwicklung in der PKV ist oft dramatisch. Während der Beitrag zu Beginn relativ attraktiv erscheinen mag, steigen die Kosten im Alter tendenziell stark an.
Der Grund dafür ist einfach: Ältere Menschen benötigen in der Regel mehr medizinische Leistungen. Dabei sind die Versicherungsunternehmen gesetzlich nicht dazu verpflichtet, ihre Gebühren anzupassen oder zu regulieren, solange sie die vertraglich festgelegten Leistungen erbringen. Die Folgen sind für viele Privatversicherte existenziell. Viele Rentner stehen vor der Wahl, zwischen der nötigen medizinischen Versorgung und der Existenzsicherung zu entscheiden. Wassmann berichtet, dass er immer wieder überlegen muss, ob er sich den nächsten Arztbesuch oder eine notwendige Behandlung leisten kann.
„Es ist ein ständiger Wettlauf gegen die Zeit und die Ausgaben“, erzählt er betrübt. „Ich war immer ein gesunder Mensch, aber jetzt kann ich mir nicht mal mehr einen Arzt leisten.“ Dieter Wassmann ist nicht allein in seiner Not. Laut dem Verband der privaten Krankenversicherungen sind die Anzahl der Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre PKV-Beiträge im Alter zu bezahlen, in den letzten Jahren stetig gestiegen. Eine Umfrage unter Privatversicherten ergab, dass jeder fünfte Befragte angab, im Ruhestand Schwierigkeiten mit den Beiträgen zu haben.
Viele von ihnen haben bereits ihre Police gekündigt, um in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zurückzukehren, wo die Beiträge einkommensabhängig sind und nicht in dem Maße steigen. Der Rückkehr in die GKV ist jedoch nicht für alle Privatversicherten möglich. Personen, die über 55 Jahre alt sind und zuvor privat versichert waren, können in der Regel nicht mehr in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln. Dies führt dazu, dass viele, die sich einmal entschieden haben, in der PKV zu bleiben, in einem finanziellen Teufelskreis gefangen sind. Die Frage drängt sich auf: Wie nachhaltig ist dieses System? Der ursprüngliche Gedanke, dass Privatversicherte die Kosten für ihre Behandlung selbst tragen und so den Druck auf das Gesundheitssystem verringern, gerät ins Wanken.
Stattdessen belasten die hohen Beiträge nicht nur die Versicherten selbst, sondern auch das Gefühl der Ungewissheit und Existenzangst, die viele betreffen. Die Politik hat diese Problematik zwar erkannt, jedoch wurden bisher keine wesentlichen Veränderungen eingeleitet. Immer wieder wird darüber debattiert, eine Reform der Privaten Krankenversicherung zu initiieren, um die Beitragsentwicklung gerechter zu gestalten und mehr Sicherheit für ältere Versicherte zu schaffen. Bisher jedoch bleibt das System unverändert und die Lebensqualität vieler Menschen wie Dieter Wassmann leidet. Es muss ein Umdenken stattfinden – sowohl bei den Versicherungen als auch bei der Politik.
Die private Krankenversicherung sollte nicht nur den Reichen und Gesunden zugutekommen, sondern auch für ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen zugänglich und fair gestaltet werden. Zudem sollte die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung einfacher möglich sein, um älteren Menschen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, einen Ausweg zu bieten. Letztlich stellt sich die Frage, ob es richtig sein kann, dass Menschen aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten über Leben und Tod entscheiden müssen. Das Gesundheitssystem sollte eine Grundversorgung bieten, die für alle Menschen zugänglich ist. Die aktuelle Situation – Patienten erster Klasse, jedoch mit einem Leben, das kaum mehr möglich ist – muss grundlegend hinterfragt werden.
Die Stimme von Dieter Wassmann und vielen seiner Altersgenossen muss gehört werden. Sie verdienen nicht nur eine medizinische Versorgung, die ihrem Status als „Patient erster Klasse“ gerecht wird, sondern auch ein Leben, das lebenswert bleibt.