Japan ist weltweit bekannt für seine häufigen und oft verheerenden Naturkatastrophen. Besonders Erdbeben und die daraus resultierenden Tsunamis stellen immer wieder eine große Gefahr für die Bevölkerung dar. Inmitten dieser Gefahr stehen die sogenannten Tsunami-Steine, jahrhundertealte steinerne Monumente, die entlang der Küstenregionen Japans errichtet wurden. Diese Steine sind weit mehr als einfache Denkmäler; sie sind stille Wächter, die nachfolgende Generationen vor den Gefahren verheerender Tsunamis warnen und an die Lehren aus der Vergangenheit erinnern. Die Ursprünge der Tsunami-Steine reichen bis vor über sechshundert Jahren zurück.
Viele von ihnen wurden im späten 19. Jahrhundert errichtet, nachdem einschneidende Ereignisse, wie die verheerenden Tsunamis im Jahr 1896 an der Sanriku-Küste, Tausende von Menschen das Leben kosteten. Die Tsunami-Steine fungierten als eine frühe Form der öffentlich zugänglichen Katastrophenprävention, indem sie klare Botschaften, wie "Baut keine Häuser unterhalb dieses Punktes" oder "Hebt eure Dörfer an, um die Nachfahren zu schützen", eingravierten. Sie sind mit einer Höhe von bis zu drei Metern beeindruckend und verfügen über eine flache Vorderseite, auf der wichtige Informationen und Warnungen eingemeißelt wurden. Diese Monolithen besitzen neben ihrer Funktion als Warnzeichen auch eine kulturelle und historische Bedeutung.
Sie symbolisieren die Verbindung zwischen Mensch und Natur, die oft von Respekt und Vorsicht geprägt sein muss. Einer der bekanntesten Tsunami-Steine befindet sich im Dorf Aneyoshi in der Präfektur Iwate. Dort warnt die Inschrift: "Hohe Wohnstätten sind der Frieden und die Harmonie unserer Nachkommen. Gedenkt der großen Tsunamis und baut keine Häuser unterhalb dieses Punktes." Solche steinernen Botschaften haben ihren Zweck darin, das kollektive Gedächtnis der Gemeinschaften wachzuhalten und zukünftige Generationen zu sensibilisieren.
Fumihiko Imamura, Professor an der Universität Tohoku und Experte für Tsunami-Forschung, betont, dass es etwa drei Generationen dauert, bis Menschen die Erinnerung an solche Katastrophen verlieren. Das bedeutet, dass die unmittelbaren Augenzeugen eines Unglücks die Gefahr an ihre Kinder und Enkel weitergeben, diese Erinnerung aber im Laufe der Zeit verblasst. Die Tsunami-Steine sind physische Zeugnisse, die helfen, diesem Vergessen entgegenzuwirken. Sie sind damit ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Erbes und tragen zum Aufbau einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Gesellschaft bei. In der heutigen Zeit, trotz moderner Technologien und aufwendiger Schutzmaßnahmen wie Deichanlagen, verursachen Tsunamis nach wie vor Schaden und Leid.
Einige Bürger in Küstenregionen setzen aufgrund der existierenden Deiche und anderer Schutzanlagen weniger auf die Botschaften der Tsunami-Steine und vernachlässigen deren Bedeutung. Dieses Phänomen zeigt, wie wichtig es ist, das Bewusstsein für die Gefahrenfläche wachzuhalten. Technologien können versagen oder unzureichend sein, während die Erfahrungen und Warnungen aus der Vergangenheit oft wertvolle Hinweise für gelebte Vorsorge geben. Japan liegt am sogenannten „Pazifischen Feuerring“ – einer tektonisch äußerst aktiven Zone, in der rund 80 Prozent der weltweiten Erdbeben und Tsunamis entstehen. Allein in Japan werden jährlich etwa 1.
500 spürbare Erdbeben verzeichnet, was die Dringlichkeit eines effektiven Frühwarn- und Schutzsystems verdeutlicht. Die Tsunami-Steine, als Teil dieses Systems in der Vergangenheit, bieten dabei eine bemerkenswerte Verbindung zwischen traditionellen und modernen Ansätzen des Katastrophenschutzes. Die Bedeutung der Tsunami-Steine wurde nach der katastrophalen Tōhoku-Flut im Jahr 2011 erneut ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Diese verheerende Naturkatastrophe zeigte, dass selbst die modernsten Schutzsysteme Grenzen haben und die Erinnerung an vergangene Gefahren essentiell ist. In der Folge wurden die Stimmen lauter, alte Gebäude und Ruinen, die durch Tsunamis zerstört wurden, zu erhalten und als Mahnmale zu bewahren.
Dieser Ansatz ähnelt dem Erhalt des Hiroshima-Friedensdenkmals, das als deutliche Erinnerung an das Leid durch den Atombombenabwurf dient. Die Tsunami-Steine können als kulturhistorische Quellen betrachtet werden, die über Generationen hinweg Informationen zur Risikobewertung und Gefahrenprävention weitergeben. Ihre Existenz ist ein Beleg dafür, wie Gemeinschaften über lange Zeiträume hinweg aus Erfahrungen lernen und diese in sichtbaren Zeichen festhalten. Sie regen dazu an, eine enge Verbindung zur Natur und zu möglichen Gefahren nicht zu verlieren und zeigen, wie wichtig es ist, vergangene Katastrophen in das kollektive Bewusstsein einzubetten. Moderne Wissenschaft und Technik können von der Weisheit vergangener Generationen profitieren, wenn es darum geht, den Umgang mit Naturkatastrophen zu verbessern.