Wer heute mittelalterliche Gemälde betrachtet, bemerkt sofort, wie seltsam die Katzen aussehen. Anders als die anmutige und elegante Erscheinung, die wir von Katzen gewohnt sind, wirken diese Tiere oft grotesk, fast wie Karikaturen. Diese Verzerrungen sind jedoch keine künstlerischen Fehler oder Darstellungsprobleme, sondern haben einen tieferen symbolischen Ursprung. Im Mittelalter wurden Katzen nicht einfach als Haustiere wahrgenommen, sondern als widersprüchliche Wesen, die mit dunklen Mächten und Aberglauben in Verbindung standen. Dadurch prägte sich ihr unheimliches Aussehen in den Kunstwerken jener Zeit fest.
Im Mittelalter waren Katzen oft Symbole gesellschaftlicher und moralischer Werte. Im Gegensatz zu Hunden, die Loyalität und Unterordnung repräsentierten, galten Katzen als unabhängig und eigensinnig. Sie kamen und gingen, wie es ihnen passte, was den gesellschaftlichen Vorstellungen von Gehorsam und Treue widersprach. Diese Unabhängigkeit erschien vielen Menschen verdächtig und wurde negativ bewertet. Daher spiegelten die verzerrten, teils sogar grimmigen Darstellungen von Katzen in der Kunst nicht ihren wahren Charakter wider, sondern sollten eine moralische Botschaft vermitteln.
Katzen standen für ungezähmtes und unkontrolliertes Verhalten, das man in der Gesellschaft ablehnte. Ein zentraler Grund für die ablehnende Haltung gegenüber Katzen lag im mittelalterlichen Menschenbild und dessen Verbindung zu Aberglauben und religiösen Vorstellungen. Katzen wurden eng mit Dunkelheit und finsteren Mächten assoziiert. Ihre Fähigkeit, auch bei Nacht gut zu sehen, führte zu der Vorstellung, dass sie im Gegensatz zum Licht Christi standen. Diese „Nachtsicht“ wurde als Verweigerung göttlicher Offenbarung interpretiert, wodurch Katzen zu einem Symbol des Bösen und des Teufels wurden.
Im 12. Jahrhundert entwickelten sich daraus die ersten schwarzen Katzen-Superstitioen, die bis heute in der westlichen Kultur verwurzelt sind. Die Gemüter empfanden Katzen daher als gefährlich und teuflisch. Deshalb kamen sie nicht nur in der Volksmythologie, sondern auch in der Kunst als Synonym für das Abweichende und Böse vor. Diese Sichtweise beeinflusste ihre stilisierte Darstellung.
Katzen wurden häufig mit übergroßen, bösen Augen, verschobenen Proportionen und deformierten Gesichtern abgebildet, um ihre doppelbödige und gefährliche Natur zu verdeutlichen. Künstler nutzten diese Verzerrungen gezielt, um den moralischen Verfall oder dämonische Einflüsse zu illustrieren, anstatt eine realistische Darstellung anzustreben. Darüber hinaus war die mittelalterliche Kunst stark von religiöser Symbolik und Moral geprägt. Der Mensch sollte in diesen Kunstwerken als tugendhaft und gottgefällig erscheinen, was sich in der kühlen Mimik und dem kontrollierten Ausdruck zeigte. Tiere, die als Symbol für das Unreine, das Wilde oder das Teuflische galten, erhielten hingegen ausdrucksstarke, oft gruselige Züge, um den Kontrast zwischen Tugend und Laster zu verdeutlichen.
Katzen, die oft als Symptome von Unglauben und Hexerei galten, wurden so zur Allegorie des moralischen Verfalls. Ein anschauliches Beispiel ist das Scheibler Armorial aus dem 15. Jahrhundert, in dem eine Katze eine Krone trägt und dabei einen schelmischen, fast boshaften Blick zeigt. Diese Darstellung spielt auf eine ironische Herrschaft der Hinterlist und des Chaos an, die einer Katze zugeschrieben wurde. Trotz ihres „herrschenden“ Status bleibt das Tier grotesk und abstoßend.
Solche Werke zeigen, wie die künstlerische Inszenierung von Katzen als Diener dunkler Mächte gesellschaftliche Ängste und Vorurteile visualisierte. Auch kulturelle Berichte aus dem Mittelalter geben Einblick in die ambivalente Haltung gegenüber Katzen. So schrieb ein Mönch 1420 mit Empörung über eine Katze, die nachts auf seinen Manuskripten uriniert hatte. Solche Berichte belegen, dass Katzen nicht nur als künstlerisches Motiv, sondern im alltäglichen Leben als Plage empfunden wurden, die Respektlosigkeit und Unordnung symbolisierten. Die Verzerrungen in der Darstellung von Katzen sind somit eng verbunden mit der medialen und gesellschaftlichen Moralität des Mittelalters.
Künstler wollten nicht die Naturgetreue abbilden, sondern ein Bild vermitteln, das den Glaubensvorstellungen entsprach. Dies erklärt auch, warum selbst heilige Figuren oft mit ungewöhnlichen Merkmalen dargestellt wurden, um ihre göttliche Natur hervorzuheben. Beispielsweise wurden Babys wie Jesus im Mittelalter mit Erwachsenenzügen versehen, um Stärke und Weisheit zu symbolisieren. Diese Verschiebung des Realismus zugunsten symbolischer Darstellung war charakteristisch für mittelalterliche Kunst. Künstler dienten als Vermittler moralischer Lehren und nutzten eine Ästhetik, die sich nach religiösen Idealen richtete.
Katzen, die als Zeichen des Teufels galten, mussten deshalb hässlich und freakhaft wirken, um eine bildliche Warnung auszusprechen und die Zuschauer vor Abkehr von christlichen Tugenden zu warnen. Heutzutage erscheinen uns diese Darstellungen kurios und unförmig, doch sie sind ein faszinierendes Zeugnis der mittelalterlichen Gesellschaft und ihrer Ängste. Sie zeigen, wie tief Aberglaube, Moral und Kunst miteinander verflochten waren und wie ein einfaches Haustier zu einem Symbol des Bösen stilisiert wurde. Diese Erkenntnisse laden dazu ein, mittelalterliche Kunst und Kultur nicht nur oberflächlich zu betrachten, sondern die komplexen Bedeutungen hinter scheinbar seltsamen Motiven zu entdecken. Das Verständnis der Gründe für die verzerrte Darstellung von Katzen bereichert nicht nur die Kunstgeschichte, sondern gibt auch Einblicke in die sozialen und religiösen Einstellungen einer vergangenen Epoche.
Es erinnert uns daran, wie sehr Wahrnehmung und Interpretation von Tieren und Symbolen in unterschiedlichen historischen Kontexten variieren und wie Kunst als Spiegel menschlicher Weltsicht fungiert. Insgesamt zeigen die „hässlichen“ Katzenbilder des Mittelalters den Versuch, gesellschaftliche Vorstellungen von Gut und Böse künstlerisch umzusetzen. Sie fungieren als lebendige Zeugen eines Zeitalters, in dem Aberglaube und religiöse Moral tief in der Kultur verankert waren und selbst die Darstellung von scheinbar banalen Tieren davon geprägt war. Somit sind die mittelalterlichen Katzen nicht nur Kuriositäten, sondern bedeutende kulturelle Symbole, die die Dunkelheit und den Glauben einer ganzen Epoche verkörpern.