Der Begriff Peer Review, also die Begutachtung wissenschaftlicher Arbeiten durch Fachkollegen, ist seit Langem ein zentraler Pfeiler des modernen Forschungsprozesses. Er gilt als Qualitätssicherung, die es ermöglicht, Forschungsergebnisse vor ihrer Veröffentlichung kritisch zu prüfen und dadurch die wissenschaftliche Integrität sicherzustellen. Nature, eine der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt, hat nun einen weitreichenden Schritt unternommen: Ab dem 16. Juni 2025 werden alle neu eingereichten Forschungsartikel, die veröffentlicht werden, mit den zugehörigen Begutachtungsberichten und den Antworten der Autorinnen und Autoren veröffentlicht. Dieses Verfahren wird als transparente Peer Review bezeichnet und soll nun zur neuen Norm bei Nature werden.
Bisher konnten Autorinnen und Autoren von Nature selbst entscheiden, ob sie ihre Peer-Review-Dateien – also Berichte der Gutachter und ihre eigenen Reaktionen darauf – im Anschluss an die Veröffentlichung ihres Artikels zugänglich machen wollen. Diese freiwillige Offenlegung wurde seit 2020 angeboten und hatte sich bereits in Schwesterzeitschriften wie Nature Communications seit 2016 etabliert. Die Ausweitung auf alle Publikationen bedeutet nun, dass der Peer-Review-Prozess bei Nature kein geheimes Verfahren mehr bleibt, sondern für alle Lesenden nachvollziehbar wird, die an einem tieferen Verständnis des wissenschaftlichen Arbeitsablaufs interessiert sind.Eine der grundsätzlichen Überlegungen hinter dieser Entwicklung ist die Forderung nach mehr Transparenz in der Wissenschaft. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden häufig als das Ergebnis eines festen und unveränderlichen Wissens verstanden.
Tatsächlich aber ist Forschung ein dynamischer und diskursiver Prozess: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren kontinuierlich Ergebnisse, interpretieren Erfahrungen neu und passen ihre Schlussfolgerungen an, wenn neue Belege auftauchen. Der Peer-Review-Prozess bildet ein zentrales Moment dieser Diskussion ab. Der Dialog zwischen Autorinnen, Autoren und Gutachterinnen respektive Gutachtern erfolgt in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Damit bleibt jedoch die wichtige Rolle, die Begutachtungen für die Verbesserung und Validierung wissenschaftlicher Arbeiten spielen, weitgehend unsichtbar.Nature reagiert mit der transparenten Veröffentlichung der Begutachtungsunterlagen darauf, diesen oftmals als „Black Box“ empfundenen Prozess zu öffnen.
Zwar bleiben die Gutachterinnen und Gutachter anonym, sofern sie es nicht ausdrücklich anders wünschen. Die inhaltlichen Gespräche, die zu einer wissenschaftlichen Veröffentlichung führen, werden aber öffentlich und können von Forschenden, Studierenden oder der interessierten Öffentlichkeit nachvollzogen werden. Dies führt zu mehreren positiven Effekten: Erstens fördert es das Vertrauen in den wissenschaftlichen Prozess, indem die Entstehung von Erkenntnissen offengelegt wird. Zweitens bietet es Nachwuchswissenschaftlern einen wertvollen Einblick in eine wichtige, aber oft verborgene Facette ihrer zukünftigen Karriere. Und drittens bereichert es die Wissenschaftskommunikation, indem es die Geschichten hinter den Forschungsarbeiten sichtbar macht.
Die aktuelle Entscheidung von Nature spiegelt auch eine breitere Bewegung in der Wissenschaftswelt wider, die eine Veränderung der Art und Weise fordert, wie Forschung bewertet wird. Lange Zeit stand der reine Forschungsartikel im Fokus als einziger Nachweis von wissenschaftlicher Leistung. Dessen ungeachtet beinhaltet die Forschungspraxis viele Prozesse, die zum Erfolg eines Artikels beitragen: Peer Review ist einer der wichtigsten. Von der Begutachtung profitieren nicht nur die Autorinnen und Autoren, sondern die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft, da Schwächen erkannt, methodische Verbesserungen vorgeschlagen und die Ergebnisse robuster gemacht werden. Die Anerkennung der Leistung von Gutachtern ist bislang jedoch unzureichend – das soll sich durch transparente Peer Reviews ändern.
Die Möglichkeit für die Gutachterinnen und Gutachter, namentlich genannt zu werden, bietet darüber hinaus eine wertvolle Form der Wertschätzung.Die Ausweitung der transparenten Begutachtung steht auch im Zusammenhang mit den Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie. Während dieser Zeit wurde die Welt Zeuge, wie Wissenschaft im Schnellverfahren funktioniert: Neue Erkenntnisse über das Virus, seine Ausbreitung und Behandlungsmöglichkeiten wurden ununterbrochen diskutiert und auf breiter Basis kommuniziert. Der öffentliche Diskurs machte wissenschaftliche Prozesse sichtbar und verständlich. Doch seitdem ist die Offenheit vielerorts wieder zurückgegangen.
Nature sieht in der transparenten Veröffentlichung von Peer-Review-Dateien eine Möglichkeit, diese Transparenz und Offenheit wieder zu fördern und langfristig zu verankern.Die Rolle von Nature bei der Weiterentwicklung von Peer Review ist traditionell bedeutsam. Erst 1973 führte Nature die verpflichtende Begutachtung aller Forschungsartikel ein – ein Meilenstein für die Qualitätssicherung wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass die Inhalte der Begutachtungsprozesse in vielen Disziplinen weiterhin geheim bleiben. Nature bricht mit dieser Konvention und fordert damit einen Wandel, der hoffentlich auch andere Zeitschriften und Forschungsorganisationen inspiriert.
Die Veröffentlichung der Gutachten, die unter anderem Schwachstellen und Verbesserungsvorschläge enthalten, macht den wissenschaftlichen Diskussionsprozess nachvollziehbarer. Leserinnen und Leser können so verstehen, wie die Argumente geformt und verfeinert wurden, bevor ein Artikel den Status „veröffentlicht“ erhielt. Dies trägt nicht nur zur wissenschaftlichen Bildung bei, sondern motiviert auch zur kritischen Reflexion und Diskussion der Forschungsergebnisse.Neben den erkennbaren Vorteilen gibt es auch Herausforderungen. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sorgen sich, dass durch Transparenz Diskussionen weniger offen oder kritischer ausfallen könnten.
Die Tatsache, dass die Anonymität der Gutachter gewahrt bleibt, soll hier entgegenwirken, damit freie und ehrliche Begutachtungen gewährleistet bleiben. Darüber hinaus könnte der Aufwand für die Redaktion steigen, da die Begutachtungsdateien aufbereitet und geprüft veröffentlicht werden müssen. Die langfristigen Effekte dieser Neuerung werden daher aufmerksam beobachtet werden.Insgesamt stellt die Entscheidung von Nature, die transparente Peer Review zur Standardpraxis zu machen, einen wichtigen Schritt in Richtung Offenheit und Nachvollziehbarkeit in der Wissenschaft dar. Indem Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und die Öffentlichkeit einen Blick hinter die Kulissen des Forschungsprozesses erhalten, wird das Verständnis für wissenschaftliche Arbeit vertieft und die Glaubwürdigkeit der Forschung gestärkt.