Insektenprotein wird vielfach als innovative und nachhaltige Alternative zu traditionellen Tierfuttermitteln wie Soja und Fischmehl beworben. Die Idee, dass Insekten weniger Wasser, Energie und Landflächen benötigen als pflanzliche oder marine Rohstoffe, hat in den letzten Jahren großes Interesse bei Forschung, Industrie und Politik geweckt. Doch eine neue wissenschaftliche Lebenszyklusanalyse, beauftragt von der britischen Regierung, wirft nun ein differenzierteres Licht auf die Umweltauswirkungen der Insektenproduktion. Demnach könnte die Klimawirkung von Insektenprotein in bestimmten Fällen bis zu 13,5 Mal höher sein als die von Sojaprotein. Diese Erkenntnis stellt vor allem Umweltmarketing und politische Fördermaßnahmen vor große Herausforderungen und regt zu einer kritischen Neubewertung der Ökobilanz von Insektenmehl an.
Die Produktion von Fleisch ist weltweit für bis zu einem Fünftel der Treibhausgasemissionen verantwortlich, wobei knapp 60 Prozent dieser Emissionen auf die Herstellung von Tierfutter entfallen, insbesondere für Schweine- und Geflügelfleisch. Angesichts dieses enormen Potenzials zur Emissionsreduktion rücken alternative Proteinquellen zunehmend in den Fokus. Insektenproteine gelten dabei als vielversprechend, da sie theoretisch mit geringerem Ressourcenaufwand und niedrigerem ökologischen Fußabdruck produzieren lassen. Doch die komplexe Wirklichkeit der Insektenzucht offenbart weitere Umweltbelastungen, die bislang nur unzureichend erfasst wurden. Eine der führenden Insektenarten in der Futtermittelproduktion ist die Schwarze Soldatenfliege (Black Soldier Fly, BSF).
Deren Larven werden aufgrund ihrer hohen Effizienz bei der Umwandlung organischer Reststoffe in Protein geschätzt. Die aktuelle Untersuchung hat den gesamten Lebenszyklus von BSF-Proteinen von der Rohstoffbeschaffung und Larvenaufzucht über die Verarbeitung bis hin zur Distribution analysiert und dabei eine Reihe von Umweltwirkungen über 16 Kategorien hinweg erfasst, darunter Klimawandel, Versauerung und Wasser- sowie Flächenverbrauch. Dabei wurden sowohl Larven, die mit konventionellem, auf Getreide basierendem Futter aufgezogen werden, als auch solche, die mit Lebensmittelabfällen oder Geflügelmist gefüttert werden, untersucht. Im Vergleich zu Sojamehl aus Brasilien, das nach Großbritannien importiert wird, und zu Fischmehl aus lokal gefangenem Blauwhiting, zeigte das Insektenprotein eine deutlich schlechtere Umweltbilanz in den meisten Kategorien. Die Klimawirkungen, gemessen in Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Kilogramm Protein, lagen beim Insektenmehl zwischen etwa 12,9 und 30,1 kg CO2 äq.
, je nach Futterquelle der Larven. Zum Vergleich: Sojamehl liegt deutlich darunter, weshalb die Studie die Emissionen von Insektenprotein als 5,7 bis sogar 13,5 Mal höher als die von Sojaprotein bewertet. Selbst Fischmehl schneidet mit einem Faktor von bis zu 4,2 besser ab. Interessanterweise zeigt die Untersuchung, dass die Variante mit Lebensmittelabfällen als Futter zwar relativ schonender abschneidet, dennoch immer noch signifikant belastender ist als konventionelle Proteine. Diese Ergebnisse stellen weitverbreitete Annahmen über die Umweltfreundlichkeit von Insektenproteinen infrage.
So wurde bisher häufig vermutet, dass insbesondere die Nutzung von organischen Reststoffen als Aufwuchsbasis die ökologische Bilanz deutlich verbessert. Die Untersuchung macht jedoch deutlich: Die Insektenproduktion erfordert einen hohen Energieeinsatz, insbesondere in der Klimatisierung und Verarbeitung, was sich stark auf die Treibhausgasemissionen auswirkt. Eine weitere Herausforderung ist der hohe Wasserbedarf sowie der Landverbrauch, der vielfach unterschätzt wird. Die Qualität und Herkunft des eingesetzten Futters hat außerdem entscheidenden Einfluss auf die Umweltwirkung, was eine pauschale Aussage zur Nachhaltigkeit erschwert. Die differenzierte Analyse macht klar, dass Insektenprotein nicht als durchgängig nachhaltige Lösung gelten kann, sondern stark vom Produktionsprozess und eingesetzten Ressourcen abhängt.
Neben der reinen Klimabilanz wurden auch weitere Umweltwirkungen betrachtet, beispielsweise Versauerungspotenziale oder ökologische Toxizität. Auch hierbei präsentierte sich Insektenprotein häufig ungünstiger als die etablierten Alternativen. Gerade im Vergleich zu Soja, das vielfach als umweltbelastend wahrgenommen wird, zeigen sich demnach unerwartete negative Einflüsse bei Insektenmehl. Ein wichtiger Faktor, der weitere Forschung erfordert, ist die Verwertung von Nebenprodukten der Insektenzucht wie dem sogenannten „Frass“ – einem Gemisch aus Kot, Häutungsresten und Larvenexkrementen. Erste Studien verweisen auf das Potenzial, Frass als biologischen Dünger einzusetzen, was die Nachhaltigkeitsbilanz positiv beeinflussen könnte.
Allerdings mangelt es bisher an genormten Angaben zur Nährstoffzusammensetzung und an Langzeitbeobachtungen hinsichtlich Umwelteinflüssen im landwirtschaftlichen Maßstab. Die derzeitigen regulatorischen Rahmenbedingungen und Förderungen für die Insektenindustrie basieren teilweise noch auf veralteten oder ungerechtfertigten Annahmen über die Umweltvorteile. Die Studie der britischen Regierung ermutigt daher zu einer kritischen Überprüfung politischer Maßnahmen und einer verstärkten wissenschaftlichen Begleitung des Sektors. Dies gilt vor allem mit Blick auf die angestrebte Skalierung der Insektenproduktion im europäischen Raum, die erhebliche Auswirkungen auf eingesetzte Ressourcen und Emissionen haben könnte. Trotz der weniger günstigen Umweltbilanz bietet die Insektenproteinproduktion durchaus Chancen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in der Tierernährung.
Insbesondere innovative Ansätze zur Energieeffizienz, Nutzung heimischer und schadstoffarmer Futtermittel sowie Technologien zur Emissionsminimierung können die ökologische Bilanz deutlich verbessern. Die Integration erneuerbarer Energien in den Produktionsprozess wird als Schlüsselstrategie angesehen. Es zeigt sich, dass die Umweltauswirkungen von Insektenmehl stark kontextabhängig sind, weshalb eine pauschale Bewertung nicht zielführend ist. Vielmehr bedarf es maßgeschneiderter, regional angepasster Konzepte, die ökologische und ökonomische Faktoren sorgfältig abwägen. Die Landwirtschaft steht somit vor der zentralen Aufgabe, nachhaltige Proteinquellen nicht nur nach Flächen- und Wasserverbrauch zu bewerten, sondern ganzheitlich anhand von umfassenden Lebenszyklusanalysen und Umweltkriterien zu entscheiden.
Abschließend ist festzuhalten, dass die Insektenproteinbranche vor entscheidenden Herausforderungen steht, um ihr Potenzial als klimafreundliche Alternative unter Beweis zu stellen. Die jüngsten Forschungsergebnisse zeigen, dass das Bild komplexer ist als bislang angenommen und eine faktenbasierte Debatte unabdingbar bleibt. Nur durch transparente, evidenzbasierte Forschung, technologische Innovationen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kann die Insektenzucht tatsächlich Teil eines nachhaltigeren Tierfuttersystems werden. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Innovations- und Förderstrategien neu auszurichten und realistische Umweltziele zu definieren. Die Zukunft der Tierernährung wird voraussichtlich von einer diversifizierten Nutzung verschiedener Proteinquellen geprägt sein, bei der Insektenprotein eine Rolle spielt – allerdings erst dann, wenn ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeitskriterien umfassend erfüllt sind.
Die anhaltende Forschung und Entwicklung wird wegweisend sein, um die Balance zwischen Nahrungsmittelproduktion, Ressourcenschutz und Klimaschutz zu gewährleisten.