Argentinien befindet sich an einem wichtigen Wendepunkt, wenn es darum geht, sich als internationaler Knotenpunkt für Künstliche Intelligenz und fortschrittliche Technologie zu positionieren. Im Zentrum dieser Vision steht der Einsatz von nuklearer Energie, insbesondere durch die Entwicklung sogenannter kleiner modularer Reaktoren (SMRs). Diese Technologie soll nicht nur den steigenden Energiebedarf von KI-getriebenen Rechenzentren decken, sondern auch als Schlüssel für eine nachhaltige und stabile Energieversorgung dienen. Präsident Javier Milei und sein Team verfolgen das ehrgeizige Ziel, Argentinien zu einem attraktiven Standort für globale Technologiekonzerne zu machen, die auf die immer energiehungrigeren Rechenzentren angewiesen sind. Die Grundlage dieses Plans bildet die Idee, dass nur Kernenergie die drei entscheidenden Kriterien erfüllen kann: sauber, skalierbar und zuverlässig.
Die wachsende Nachfrage nach Rechenleistung durch KI-Anwendungen macht nachhaltige Energiesysteme dringend erforderlich, doch viele Länder kämpfen noch mit der Umsetzung solcher Lösungen. Argentinien könnte durch seinen Vorstoß im Bereich der SMR-Technologie eine Vorreiterrolle einnehmen und sich als weltweit erstes Land mit einer kommerziellen SMR-Produktion etablieren – eine Position, die bislang nur China und Russland innehaben. Die geplanten Mini-Reaktoren, die vor Ort montiert und flexibel eingesetzt werden können, bieten dabei Vorteile gegenüber herkömmlichen Großreaktoren: Sie sind transportabel, modular erweiterbar und sollen vergleichsweise kostengünstig in der Umsetzung sein. Dabei ist die ACR-300, ein vom argentinischen Staatsunternehmen Invap entwickelter SMR, das zentrale Projekt. In den USA wurde dieses Modell bereits patentrechtlich gesichert und zieht internationales Interesse auf sich.
Getragen wird das Vorhaben von einem noch nicht namentlich genannten amerikanischen Investor, der zusammen mit der argentinischen Regierung als Stakeholder auftritt. Das Ziel ist es, erste Reaktoren bis 2030 betriebsbereit zu haben und so den Grundstein für eine neuartige Energieinfrastruktur zu legen. Neben der technischen Entwicklung sieht der Plan auch eine zweite Phase vor, in der Argentinien sich zu einem wichtigen Produzenten und Exporteur von Uran entwickelt. Dieses Vorgehen soll die komplette Wertschöpfungskette für die nationale und internationale Kernenergie sichern und somit die wirtschaftliche Basis für die gewünschte Transformation schaffen. Im letzten Schritt ist sogar der Bau einer sogenannten „Nuclear City“ in der malerischen, aber abgelegenen Region Patagonien geplant.
Dieser Ort soll als vollkommen fossilfreie Datenzentrumshub fungieren, der globalen Technologiekonzernen als Standort dienen kann und Argentinien neben Silicon Valley oder Shenzhen positioniert. Trotz der verlockenden Zukunftsvisionen und der von Seiten der Regierung verkündeten Fortschritte gibt es jedoch auch berechtigte Skepsis. Fachleute und ehemalige führende Persönlichkeiten der argentinischen Kernenergiebranche äußern Zweifel an der Machbarkeit und dem ambitionierten Zeitplan für den Bau des ACR-300. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Entwicklung und Inbetriebnahme selbst kleinerer Reaktoren oftmals Jahrzehnte beansprucht. Zudem fehlen bislang detaillierte technische Entwürfe, was Zweifel an der konkreten Umsetzung schürt.
Die derzeitigen Verzögerungen im Projekt CAREM, einem bereits seit Jahren entwickelten Kleinreaktor, sowie die finanziellen Einschnitte und Entlassungen im Staatssektor, verschärfen die problematische Ausgangslage. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Fachkräftemangel durch Abwanderung von Ingenieuren und Technikern sind weitere Hürden. Auch ist das Vertrauen großer internationaler Technologiekonzerne bislang kaum gewonnen worden. Obwohl Präsident Milei im Mai 2024 im Silicon Valley mehrere Gespräche mit Persönlichkeiten wie Elon Musk und den Führungspersonen von Facebook und OpenAI führte, konnten bisher keine konkrete Investitionen verkündet werden. Globale Player wie Amazon, Google oder Microsoft halten sich in Bezug auf ihr Engagement in Argentinien zurück oder beziehen aktuell ihren Kernenergienachschub vorwiegend aus den USA.
Dabei ist die Abhängigkeit Argentiniens von fossilen Brennstoffen weiterhin groß: Im Jahr 2023 stammten etwa 84 Prozent des Energieverbrauchs aus fossilen Quellen, nur zwei Prozent aus Kernenergie. Die Einführung von SMRs soll genau hier ansetzen und den Weg für nachhaltige, emissionsfreie Energie ebnen. Die Pläne stoßen auch sozial auf Widerstand, worauf jüngste Streiks im Nuklearbereich hinweisen. Die Belegschaft an den staatlichen Forschungs- und Energieeinrichtungen kritisiert niedrige Gehälter, den Stopp des CAREM-Projekts und die Ungewissheit um die Umsetzung der neuen Programme. Innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft Argentiniens ist die Meinung geteilt: Einige sehen großes Potenzial in der SMR-Technologie und halten insbesondere die Nutzung standardisierter Bauteile für einen innovativen und kosteneffizienten Ansatz, der der argentinischen Industrie einen Wettbewerbsvorteil sichern könnte.
Andere warnen vor Überambitioniertheit und fehlenden realistischen Planungen. Die Kombination aus gesellschaftlichen Herausforderungen, wirtschaftlichen Unsicherheiten und politischem Willen wird darüber entscheiden, ob Argentinien dem Aufbruch in eine neue Energie- und Technologieära gelingt. Internationale Beobachter betonen, dass das Szenario weltweit einzigartig ist, da selbst große Technologiestandorte wie die USA oder China, SMRs erst langsam in ihre Energieinfrastruktur integrieren. Der argentinische Vorstoß könnte als Modell für andere Länder dienen, die den steigenden Energiebedarf durch künstliche Intelligenz und Digitalisierung nachhaltig decken wollen. Zugleich symbolisiert er das Ringen um technologische Souveränität und wirtschaftliche Diversifizierung in einer zunehmend vernetzten und energiehungrigen Welt.
Wenn es Argentinien gelingt, seinen Plan umzusetzen, könnten die zukünftigen Datenzentren dort nicht nur durch ihre hohe Leistungsfähigkeit beeindrucken, sondern auch durch ihre Umweltfreundlichkeit überzeugen. Das Timing ist dabei entscheidend. Der globale Wettbewerb um den Standortvorteil für IT-Infrastruktur, insbesondere im Bereich künstliche Intelligenz, wird härter. Länder und Unternehmen suchen händeringend nach Lösungen, die den steigenden Stromverbrauch nachhaltig ausgleichen können, ohne das Klima zusätzlich zu belasten. Magnetisch angezogen werden solche Unternehmen von stabilen, zuverlässigen und vor allem sauberen Energiequellen.
In diesem Kontext eröffnet Argentiniens strategische Entscheidung im Bereich der Kernenergie neue Möglichkeiten und Herausforderungen zugleich. Für die globale Tech-Industrie, die bisher hauptsächlich in Nordamerika, Europa und Asien verortet ist, könnte sich hier ein neues Zentrum etablieren. Sollten Investitionen fließen und die technischen Herausforderungen gemeistert werden, könnte Argentiniens Vorhaben ein Vorreiterprojekt für eine neue Ära nachhaltiger Rechenzentren darstellen – mit symbolischer Bedeutung für die Verbindung von Energiepolitik, technologischer Innovation und geopolitischem Wettbewerb. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob Argentiniens kühner Plan Realität wird oder ob die kritischen Stimmen Recht behalten und die Umsetzung zu komplex und ambitioniert ist. Klar ist jedoch, dass die Kombination von moderner Kerntechnologie und KI-getriebener Infrastruktur zu den bedeutendsten Zukunftsthemen gehört, die sowohl Chancen als auch Risiken für das Land und die Welt bergen.
Die Welt wird aufmerksam beobachten, wie sich Argentinien in diesem spannenden Kapitel seiner Entwicklung positioniert.