Die Erde aus der Perspektive der Nacht zu betrachten, eröffnet faszinierende Einblicke, die weit über das Sichtbare hinausgehen. Die von der NASA entwickelte Black Marble Nightlights Suite ist ein umfassendes Satellitenprodukt, das es ermöglicht, Lichtquellen auf der Erde bei Dunkelheit zu beobachten und deren Veränderungen im Zeitverlauf zu analysieren. Diese nächtlichen Lichtdaten helfen dabei, wirtschaftliche Entwicklungen zu überwachen, Naturkatastrophen zu bewältigen und Konflikte zu verstehen – selbst in Regionen, in denen herkömmliche Datenerhebungen schwierig oder unzuverlässig sind. Die Black Marble Produktlinie basiert auf Daten, die vom Visible Infrared Imaging Radiometer Suite (VIIRS) Day/Night Band Instrument an Bord des Suomi National Polar-orbiting Partnership (NPP) Satelliten erfasst werden. Seit Januar 2012 liegen die erfassten Daten mit einer räumlichen Auflösung von rund 500 Metern vor und ermöglichen tägliche Beobachtungen der nächtlichen Erdoberfläche.
Hierdurch lässt sich nicht nur die räumliche Verteilung von Lichtquellen bestimmen, sondern auch deren zeitliche Dynamik nachvollziehen. Der Kern der Black Marble Suite wird durch zwei maßgebliche Produkte geprägt: VNP46A1 und VNP46A2. Während VNP46A1 die Rohdaten der nächtlichen Strahlung am oberen Rand der Atmosphäre liefert, kommen bei VNP46A2 ausgefeilte Korrekturen zum Einsatz. Dazu gehören die Entfernung von Wolken, atmosphärische Anpassungen, Korrekturen für Mondlichtreflexionen sowie die geringe Beeinflussung durch Schnee und Vegetation. Durch diesen Prozess entstehen hochqualitative Daten, die zuverlässigere Aussagen über die nächtlichen Lichtverhältnisse erlauben.
Darüber hinaus ermöglichen die Produkte VNP46A3 und VNP46A4 die Erstellung von stabilen Monats- beziehungsweise Jahreskompositen. Diese basieren auf einer sorgfältigen Auswahl von wolkenfreien Beobachtungen und einer statistischen Filterung potenzieller Ausreißer, wie z. B. temporärer Feuer oder Blitzentladungen. Die damit erzeugten Karten zeigen ein konsistentes Bild der permanenten Beleuchtung und eignen sich hervorragend für langfristige Analysen.
Die Anwendungen dieser Daten sind äußerst vielfältig. Einer der bekanntesten Einsatzbereiche ist die Abschätzung wirtschaftlicher Entwicklungen, vor allem in Regionen ohne zuverlässige oder aktuelle Statistiken. Lichtemissionen spiegeln hier die Aktivität von Städten, Industrie und Infrastruktur wider und dienen als Proxy-Indikator für den Wohlstand oder das Wachstum eines Gebietes. Ein eindrucksvolles Beispiel liefert die Betrachtung der koreanischen Halbinsel. Nachtaufnahmen zeigen einen klaren Kontrast zwischen dem hell erleuchteten Südkorea und dem nahezu dunklen Nordkorea.
Diese Differenz illustriert nicht nur den wirtschaftlichen Gegensatz der beiden Länder, sondern verdeutlicht auch die Ungleichheit der Infrastruktur und Zugang zu Energie. Solche visuellen Darstellungen extrahieren komplexe politische und soziale Realitäten mit hoher Präzision. Auch die urbane Ausdehnung und der Übergang von ländlichen zu städtischen Gebieten lassen sich mit den Nightlights-Daten hervorragend beobachten. Ein Beispiel aus Indien zeigt die zunehmende Vernetzung und Ausbreitung von Städten westlich von Delhi im Bundesstaat Haryana. Zwischen 2012 und 2023 entwickelten sich isolierte Siedlungen zu einem durchgehenden urbanen Korridor, sichtbar durch die kontinuierlich wachsenden und verbindenden Lichtbänder.
Diese Veränderungen geben wertvolle Hinweise auf wachstumsbedingte Herausforderungen und Chancen für Infrastrukturplanung. Neben langfristigen Entwicklungsprozessen sind die Black Marble Daten auch ein wertvolles Instrument im Krisenmanagement. Naturkatastrophen, die oft mit massiven Stromausfällen einhergehen, können in Echtzeit und retrospektiv anhand der Lichtintensität erkannt und verfolgt werden. So illustriert die Analyse der nächtlichen Beleuchtung von Puerto Rico vor und nach dem verheerenden Hurrikan María im Jahr 2017 die immensen Auswirkungen des Sturms. Vor dem Ereignis zeigt die Insel weitgehend durchgängige Beleuchtung.
Mit dem Eintreffen des Hurrikans fällt die Lichtintensität massiv ab und bleibt für mehrere Monate deutlich reduziert. Die langsame Rückkehr der Beleuchtung spiegelt den Wiederaufbau der Infrastruktur wider und bietet Einsatzkräften wertvolle Orientierungshilfen. Ebenso ermöglichen die Daten Einblicke in die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf zivile Infrastruktur. Der attestierte Rückgang der nächtlichen Beleuchtung in Städten wie Kiew oder Khartum während Eskalationen aktueller Kriege verdeutlicht den unmittelbaren Einfluss von Angriffen auf Energieversorgung und Urbanität. Im Fall Kiews zeigt sich ab Februar 2022 ein abrupter Abfall der Lichtintensity, der zeitlich mit den russischen Angriffen korreliert.
In Al Khartum spiegelt ein ähnliches Muster die eskalierende Konfliktsituation und die damit verbundene Flucht und Unterbrechung von Stromversorgung wider. Die Erkenntnisse aus solchen Daten sind in mehrfacher Hinsicht wegweisend. Zum einen bieten sie Entscheidungsträgern und Hilfsorganisationen unmittelbare Informationen, um Reaktionsstrategien zu optimieren und Einsatzmittel zielgerichteter einzusetzen. Zum anderen liefern sie Forschern und Analysten valide Datengrundlagen, um Krisenverläufe, Wiederaufbauprozesse oder ökonomische Veränderungen nachvollziehbar zu dokumentieren und zu bewerten. Ein großes Plus der Nightlights-Daten ist ihre globale Verfügbarkeit und Kontinuität.
Anders als zahlreiche andere Geodaten sind sie unabhängig von politischen Grenzen oder lokalen Dateninfrastrukturen und liefern zuverlässig und objektiv Informationen von entlegenen oder unsicheren Regionen. Die daraus resultierende Transparenz kann die globale Zusammenarbeit fördern und einen Beitrag zu besserer Planung und Konfliktlösung leisten. Um die Arbeit mit den umfangreichen Satellitendaten zu erleichtern, hat Jerónimo Luza eine spezialisierte Python-Toolkit namens „nightlights“ entwickelt. Dieses Tool ermöglicht das Herunterladen, Verarbeiten und Visualisieren der Black Marble-Daten auf einfache Weise. Nutzer können damit Veränderungen in der nächtlichen Beleuchtung nachvollziehen, Karten erstellen, Zeitreihenanalysen durchführen oder animierte GIFs anfertigen, die die Dynamik über Jahre hinweg zeigen.
So wird die Anwendung der Daten auch für nicht spezialisierte Nutzer zugänglich und unterstützt vielfältige Projekte aus Wissenschaft, Journalismus und Notfallmanagement. Die Kombination aus hochauflösenden Satellitendaten, innovativen Verarbeitungstechniken und nutzerfreundlichen Werkzeugen eröffnet eine neue Ära der Erdbeobachtung bei Nacht. Sie erweitert unser Verständnis von urbaner Entwicklung, wirtschaftlichem Wandel und sozialen Herausforderungen weltweit. Mit den Black Marble Nightlights können wir nicht nur sehen, wo es hell ist, sondern auch erkennen, wann und warum sich das Licht ändert – ein Schlüssel, um nachhaltige Lösungen zu finden und Krisen besser zu bewältigen. In Zukunft könnten weitere Verbesserungen in der Datenqualität und Verarbeitung zusätzliche Anwendungsfelder erschließen.