Der Indus-Fluss ist eine essentielle Lebensader für Pakistan und zugleich ein wichtiger Wasserressourcenkomplex, der Indien und Pakistan seit der Teilung Britisch-Indiens 1947 miteinander verbindet und trennt. Angesichts der jüngsten Spannungen, insbesondere nach einem Anschlag in der Region Kashmir, bei dem Indien Pakistan die Schuld zugeschoben hat, steht die Frage im Raum, ob Indien in der Lage sei, den Wasserfluss des Indus zu stoppen oder zumindest so zu beeinflussen, dass Pakistan signifikanten Schaden erleidet. Diese Debatte geht weit über die rein wassertechnischen Aspekte hinaus und berührt tiefgreifende geopolitische, wirtschaftliche und soziale Faktoren in Südasien. Das 1960 geschlossene Indus-Wasserschutzabkommen (Indus Waters Treaty, IWT) zwischen den beiden Ländern war ein Meilenstein, der Wasserstreitigkeiten weitgehend regulierte und das Thema als eines der wenigen kooperativen Elemente in den oftmals angespannten bilateralen Beziehungen stabilisierte. Doch die jüngste Aussetzung dieses Abkommens durch Indien wirft zahlreiche Fragen auf – von der Machbarkeit eines Wasserstopps bis hin zu den möglichen Auswirkungen für die Region.
Das IWT teilt die sechs Hauptzuflüsse des Indus in zwei Gruppen auf: Die drei westlichen Flüsse – Chenab, Jhelum und der Hauptfluss Indus – werden Pakistan zugewiesen, während Indien die drei östlichen Flüsse Ravi, Beas und Sutlej nutzen darf. Dabei durchqueren alle sechs Flüsse indisches Gebiet, bevor sie nach Pakistan weiterfließen. Diese Aufteilung ist das Ergebnis eines komplexen Verhandlungsergebnisses, das Pakistan garantieren soll, dass der Wasserfluss durch Indien nicht willkürlich beeinträchtigt wird. Indien darf an den den Pakistan zugeteilten Flüssen nur beschränkte Wassernutzungen und Speicherkapazitäten betreiben. Dies sollte sicherstellen, dass Pakistan seinen Wasserbedarf trotz der geografisch ungünstigen Lage abgedeckt bekommt.
Die geografische und hydrologische Abhängigkeit von Pakistan ist enorm: Etwa drei Viertel der erneuerbaren Wasserressourcen des Landes entspringen oder durchfließen es nicht allein, sondern kommen vom Indus über Indien. Die Mehrheit der Bevölkerung und fast die gesamte Agrarwirtschaft Pakistans ist von dieser Wasserversorgung abhängig. Ohne den Indus wären Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Trinkwasserversorgung und Stromerzeugung in Pakistan massiv bedroht. Allerdings verfügt Pakistan über vergleichsweise geringe Speicherkapazitäten, um den Wasserfluss bei Unterbrechungen oder schwankender Verfügbarkeit auszugleichen. Das bedeutet, dass der Wasserfluss relativ ungeschützt und anfällig ist, sollte eine Unterbrechung tatsächlich eintreten.
Trotz der Bedeutung des Flusses hat Indien heute aufgrund der wasserrechtlichen Abkommen und begrenzter Infrastruktur kaum die Möglichkeit, den Fluss in der unmittelbar bevorstehenden Zukunft vollständig zu blockieren. Das IWT erlaubt Indien nur ein Speichervolumen von ungefähr 3,6 Millionen Acre-Füßen oder etwa 4,4 Kubikkilometern an Staukapazitäten auf den westlichen Flüssen, die Pakistan vorbehalten sind. Die aktuellen Bauprojekte entsprechen vom Konzept her sogenannten "Laufwasserkraftwerken", die ohne große Rückhaltebecken auskommen und daher nur kurzfristige Flussregulierungen ermöglichen. Für den dauerhaften Wasserstopp oder signifikante Volumenreduzierungen wären große Talsperren, Stauseen und Umleitungssysteme erforderlich, deren Planung und Umsetzung viele Jahre in Anspruch nehmen würde. Außerdem müssten solche Projekte wohlwilligen rechtlichen und politischen Bedingungen entsprechen, die derzeit nicht gegeben sind.
Selbst wenn Indien solche Konstruktionen errichten wollte, würde das eine erhebliche finanzielle Investition und eine Atmosphäre der weitgehenden politischen Indifferenz voraussetzen, was angesichts der Spannungen kaum realistisch erscheint. Darüber hinaus betreiben Wasserkraftwerke ein Wassermanagement, das das Flusswasser durch Turbinen leitet und damit keine dauerhafte Zurückhaltung ermöglicht. Eine bewusste Manipulation der Wasserschleusen mit dem Ziel, Pakistan zu schaden, wäre technisch schwierig, wirtschaftlich ineffizient und politisch riskant. Ein solches Vorgehen könnte den eigenen Stromerzeugungsbedarf Indiens negativ beeinflussen und das Vertrauen in die Infrastruktur mindern. Alternativ könnten Methoden wie eine gezielte Sedimentausschüttung oder kurzzeitiges Leeren von Speichern eine temporäre Reduktion der Wasserzufuhr bewirken.
Allerdings sind solche Maßnahmen auch mit erheblichen negativen Begleiterscheinungen verbunden, sowohl für pakistanische als auch für indische Nutzer strom- und landwirtschaftlicher Ressourcen. Sie würden zudem kaum als langfristige Lösung fungieren. Neben der Infrastrukturkontrolle besitzt Indien durch die Aussetzung des Indus-Wasserschutzabkommens eine politische Möglichkeit, den Informationsfluss über Hydrologiedaten an Pakistan zu unterbrechen. Das Abkommen sieht vor, dass beide Seiten Informationen über Wasserstände, Staus und Flussveränderungen austauschen, was Pakistan erlaubte, sich beispielsweise auf Überschwemmungen oder Trockenperioden vorzubereiten. Das Fehlen dieser Daten könnte Pakistan ferner belasten und die Risiken für die Bevölkerung erhöhen.
Die Wasserpolitik hat auch tiefgreifende sicherheitspolitische Dimensionen, insbesondere da viele der westlichen Zuflüsse des Indus durch umstrittene Gebiete in Jammu und Kashmir fließen. Der langjährige Konflikt zwischen Indien und Pakistan, insbesondere im Kaschmir-Gebiet, nutzt das Wasser immer wieder als Hebel in der Auseinandersetzung. Terroristische Gruppen haben Wasserinfrastruktur in Indien schon früher ins Visier genommen, was die Verwundbarkeit der Region unterstreicht. Die Entscheidung Indiens, das Abkommen auf Eis zu legen und damit einseitig Wasserfragen zum geopolitischen Druckmittel zu machen, könnte die Regionalspannung weiter verschärfen und zukünftige Konflikte befeuern. Langfristig könnten negative Auswirkungen auch auf Indiens Partnerländer wie Bangladesch und Nepal abfärben, die sich ebenfalls im Spannungsfeld größerer Nachbarn bewegen und eigene Wasserinteressen verfolgen.
Eine solche Entwicklung kann regional destabilisieren und internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Schließlich ist Indien selbst nicht frei von externem Wasserstress. Indiens Position liegt stromabwärts von China, das auf Tibets Hochebene mehrere wichtige transnationale Flüsse wie Indus, Sutlej und Brahmaputra kontrolliert. Da China keine vergleichbaren Abkommen wie das IWT unterhält, besitzt es enorme Wasserhoheit, die Indien einer gewissen Abhängigkeit aussetzt. Sollten Wasser-Konflikte zwischen Indien und Pakistan eskalieren, könnte dies auch chinesische Strategien inspirieren, die ihrerseits den Wasserfluss nach Indien beeinflussen.
Somit ist das Vorgehen Indiens ein einseitig wirkendes, aber doppelschneidiges Schwert, das die eigene Sicherheit ebenso gefährden könnte wie jene des Nachbarn. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Indien technisch und infrastrukturell derzeit kaum in der Lage ist, Pakistans Wasserzufuhr über den Indus signifikant und dauerhaft zu stoppen. Die Wassermanagementkompetenzen und Baukapazitäten sind durch internationale Verträge streng beschränkt, und neue Großprojekte würden Jahre benötigen, um realisiert zu werden. Politisch hingegen hat Indien mit der Aussetzung des Indus-Wasserschutzabkommens das größte Zugeständnis in Bezug auf den Informationsaustausch zurückgezogen, was indirekt die Wasserverwaltung Pakistans erschweren kann. Die strategische Nutzung des Indus als Druckmittel ist eine riskante Eskalation, die langfristig die regionale Sicherheit und Stabilität bedroht.
Das Indus-Wasserschutzabkommen bleibt trotz aller Spannungen eine der wichtigsten friedensstiftenden Vereinbarungen zwischen Indien und Pakistan. Eine dauerhafte Lösung der Wasserfrage erfordert daher nicht etwa Wasserkriege, sondern diplomatisches Geschick, gegenseitiges Vertrauen und eine nachhaltige Kooperation, um die lebenswichtige Ressource Wasser für beide Nationen zu sichern und Frieden in der Region zu fördern.