Spanien durchlebt einen tiefgreifenden demografischen Wandel, der die Zusammensetzung seiner Bevölkerung grundlegend verändert. Von einem Land mit nur einem kleinen Anteil an ausländischen Bewohnern Anfang der 2000er Jahre hat sich Spanien in wenigen Jahrzehnten zu einer Einwanderungsgesellschaft gewandelt. Prognosen bis 2039 zeigen, wie stark auch die zweite Generation von Einwanderern – also in Spanien geborene Kinder ausländischer Eltern – zur zukünftigen Bevölkerungsstruktur beitragen wird. Dieses Phänomen wird nicht nur die soziale Landschaft des Landes verändern, sondern auch erhebliche wirtschaftliche und kulturelle Auswirkungen mit sich bringen. Die Verlagerung hin zu einer vielfältigeren Bevölkerung stellt sowohl Herausforderungen als auch Chancen dar und wirft die Frage auf, wie das Land seine Politik und Gesellschaft anpassen wird, um diesen Wandel bestmöglich zu gestalten.
Im Jahr 1998 lag der Anteil ausländischer Einwohner in Spanien bei nur 2,9 Prozent. Diese Zahl ist bis 2024 auf über 18 Prozent angestiegen. Die Entwicklung ist besonders in den bevölkerungsreichen Provinzen mit großen urbanen und wirtschaftlichen Zentren wie Madrid und Barcelona sichtbar, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung aus dem Ausland stammt. Bei der betrachteten Altersgruppe von 25 bis 54 Jahren, die den Arbeitsmarkt prägt, macht die ausländische Bevölkerung in nationalen Durchschnitt bereits gut ein Viertel aus. Diese rasante Zunahme zeigt, dass Spanien inzwischen eine dynamische Migrationsgesellschaft geworden ist, deren Auswirkungen sich nun auch in der zweitgeborenen Generation niederschlagen.
Die sogenannten „zweite Generation“ oder genauer gesagt die einheimische Bevölkerung mit ausländischen Müttern bleibt jedoch bislang in der offiziellen Statistik oft unsichtbar. Die fehlende Langzeitdatengrundlage erschwert es, genaue Aussagen über Größe und Entwicklung dieser Gruppe zu machen. Moderne demografische Modellierungen ermöglichen jedoch erstmals präzise Projektionen der Anteile von Personen mit Migrationshintergrund unter den in Spanien Geborenen – eine wichtige Erkenntnis für politische und gesellschaftliche Planungen. Die methodische Grundlage für diese Projektionen umfasst eine Kombination von offiziellen Bevölkerungsprognosen des Instituto Nacional de Estadística (INE), Geburtsstatistiken, sowie Umfragedaten zur Bevölkerungsstruktur. Über ein einfaches mathematisches Modell, das Geburten, Sterbefälle und Wanderungsbewegungen berücksichtigt, lassen sich so detaillierte Vorhersagen bis zum Jahr 2039 erstellen.
Entscheidend dabei ist die Abschätzung des Anteils der Geburten von ausländischen Müttern, der auf der Entwicklung der ausländischen weiblichen Bevölkerung basiert, und somit Rückschlüsse auf die kontinuierliche Vergrößerung der zweiten Generation erlaubt. Das Grundmodell basiert auf einer demografischen Gleichung, bei der sich die Gesamtpopulation aus den Veränderungen durch Geburten, Todesfälle und Wanderungen zusammensetzt. Dabei wird auf eine Altersstruktur differenziert geachtet, da Überlebenswahrscheinlichkeiten altersabhängig sind und Zu- oder Abwanderungen ebenfalls differenziert analysiert werden müssen. Für die Gruppe der einheimischen Bevölkerung mit ausländischen Müttern wird jeweils ein eigener Bestand prognostiziert, der sich aus Geburten zu ausländischen Müttern sowie Alterung und Migration der bestehenden Bevölkerung zusammensetzt. Migration wird in der Modellierung in vereinfachter Form berücksichtigt.
Es wird angenommen, dass Zugezogene beziehungsweise Wegziehende innerhalb der einheimischen Bevölkerung proportional zu den anteiligen Bevölkerungsgruppen verteilt werden. Dies bedeutet konkret, dass der Anteil der zweiten Generation in Bezug auf die Gesamtbevölkerung der Einheimischen auch nach Migrationsbewegungen stabil bleibt beziehungsweise proportional angepasst wird. Dadurch kann der Einwanderungseffekt in der zweiten Generation sauber abgeschätzt werden. Zum Ausgangspunkt der Modellierung dienen Datensätze aus der Volkszählung und Haushaltsbefragungen. Die Daten werden so aufbereitet, dass Personen mit unbekannter mutmaßlicher Herkunft nicht überschätzt werden.
Damit entstehen konservative Schätzungen, die einen unteren Rahmen für die Größe der zweiten Generation bilden und somit überoptimistische Annahmen vermeiden. Gleichzeitig werden eventuelle Diskrepanzen mit den offiziellen Gesamtzahlen durch einen Skalierungsfaktor ausgeglichen, der sicherstellt, dass die Summe der Untergruppen mit den offiziellen Bevölkerungszahlen übereinstimmt. Die Ergebnisse der Prognose sind bemerkenswert. Während der Anteil der einheimischen Bevölkerung mit einheimischen Eltern bis 2039 von etwa 77 auf knapp 62 Prozent sinkt, steigt die erste Generation von Einwanderern von rund 18 auf fast 29 Prozent an. Noch beeindruckender fällt die Steigerung bei der zweiten Generation aus: Von weniger als fünf Prozent wächst sie auf über neun Prozent der Gesamtbevölkerung.
Zusammengerechnet bedeutet dies, dass im Jahr 2039 fast 40 Prozent aller Einwohner Spaniens entweder selbst ausländischer Herkunft sind oder Elternteile mit Migrationshintergrund haben. Dieses demografische Wachstum verläuft regional sehr unterschiedlich. In südlichen Provinzen mit traditionell landwirtschaftlicher Wirtschaftsstruktur wie Córdoba oder Jaén bleibt die demografische Zusammensetzung relativ stabil, während entlang der Mittelmeerküste und in wirtschaftlichen Zentren wie Madrid oder Barcelona die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der ersten und zweiten Generation deutlich über die Hälfte der Gesamtbevölkerung steigen wird. Dort steht ein folgenreicher Wandel bevor: Städte und Regionen, die heute noch überwiegend von Einheimischen geprägt sind, werden zu multikulturellen Ballungsräumen mit einem hohen Anteil an Menschen mit internationalen Wurzeln – eine Entwicklung vergleichbar mit Metropolen wie London oder New York. Ein wichtiger Aspekt dieser Transformation betrifft die Altersstruktur der Bevölkerung.
Schon heute ist die Bevölkerung mit Migrationshintergrund überproportional stark in den erwerbsfähigen Altersgruppen vertreten. Während sie im Gesamtbevölkerungsanteil etwa 18 Prozent ausmacht, sind es bei den 15- bis 64-Jährigen mehr als 23 Prozent. Die Prognosen gehen davon aus, dass dieser Trend bis 2039 anhält und die Migranten und deren Nachkommen den Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung maßgeblich prägen werden. Eine erste grobe Kalkulation zeigt, dass bis dahin mehr als 40 Prozent der spanischen Arbeitnehmer entweder selbst oder als Kinder von Einwanderern gelten werden. Dieses starke Wachstum der Einwanderer und ihrer Nachkommen bringt weitreichende gesellschaftliche Fragen mit sich.
Die Integration der zweiten Generation, ihr Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und sozialer Teilhabe sowie die Bewahrung regionaler kultureller Identitäten sind zentral für die Zukunft Spaniens. Traditionelle Regionalsprachen wie Katalanisch oder Baskisch könnten sich durch die geänderten demografischen Voraussetzungen und neue kulturelle Strömungen verändern. Gleichzeitig bieten diese Entwicklungen Chancen für wirtschaftliches Wachstum durch eine verjüngte und vielfältigere Bevölkerung, da die geburtenstarken Generationen mit Migrationshintergrund wichtige Beiträge zur Demografie und Arbeitswelt leisten. Während vergleichbare Studien auf europäischer Ebene bisher wenige verlässliche Daten zur zweiten Generation liefern konnten, stimmen die hier aufgezeigten Prognosen zum Startzeitpunkt 2024 gut mit verfügbaren Eurostat-Daten überein. Die geringe Differenz von nur wenigen Zehntelpunkten bei den Anteilen der zweiten Generation bestätigt die Validität der angewandten Methoden.
Damit präsentiert sich Spanien als ein Vorreiter europäischer Migrationsgesellschaften, dessen Entwicklung mit viel Aufmerksamkeit verfolgt werden sollte. Abschließend lässt sich festhalten, dass die demografischen Veränderungen Spaniens das Land innerhalb weniger Jahrzehnte von einer homogenen Bevölkerung zu einer vielfältigen Gesellschaft transformieren werden. Fast vier von zehn Menschen in Spanien werden bis 2039 eine direkte Einwanderungsgeschichte haben – sei es in der ersten oder in der zweiten Generation. Diese Entwicklung wird weitreichende soziale, kulturelle und ökonomische Auswirkungen haben und verlangt nach einer vorausschauenden politischen Gestaltung. Wie Spaniens Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mit dieser demografischen Revolution umgehen werden, ist offen.
Sicher ist nur, dass Spanien als Beispiel für die Dynamik von Migration und Integration in Europa zu einem wichtigen Studienobjekt wird. Die Herausforderungen sind groß, doch bieten sie auch die Möglichkeit, das Land zukunftsfest und inklusive zu gestalten. Demografische Vielfalt kann zu einem Motor des Fortschritts werden, wenn die richtigen Weichen gestellt und Angebote für Bildung, Beschäftigung und soziale Teilhabe für alle Bevölkerungsteile geschaffen werden. Der Blick auf die kommenden Jahrzehnte zeigt eine Gesellschaft im Wandel – spannend, herausfordernd und voller Chancen.