Die digitale Revolution, insbesondere der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI), verändert nicht nur die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, sondern stellt auch immense Anforderungen an die Energieinfrastruktur moderner Gesellschaften. Großbritannien, als eines der führenden Länder im digitalen Wandel, erlebt aktuell ein starkes Wachstum im Bereich KI, das mit einem Boom von Rechenzentren, sogenannten Datencentern, einhergeht. Diese Rechenzentren sind das Rückgrat der KI-Technologien, denn sie speichern und verarbeiten die riesigen Datenmengen, die für maschinelles Lernen und andere KI-Anwendungen notwendig sind. Doch mit diesem Wachstum geht auch ein dramatisch steigender Energiebedarf einher, der das ohnehin belastete Stromnetz zunehmend unter Druck setzt. Amazon Web Services (AWS), einer der weltweit größten Anbieter von Cloud-Computing-Diensten, hat in seiner jüngsten Einschätzung eine klare Botschaft herausgegeben: Großbritannien braucht dringend mehr Kernenergie.
Der CEO von AWS, Matt Garman, hebt hervor, dass ohne einen Ausbau der kohlenstoffarmen Energiequellen wie der Kernkraft die Energienachfrage für den Betrieb zukünftiger KI-Datencenter nicht zu bewältigen ist. Gerade angesichts der geplanten Investitionen von AWS in Milliardenhöhe, um die digitale Infrastruktur im Vereinigten Königreich auszubauen, wird deutlich, wie essenziell der Zugang zu stabiler, umweltfreundlicher und reichlich verfügbarer Energie ist. Die Rechenzentren, oft als „Bit Barns“ bezeichnet, verbrauchen bereits heute enorme Mengen an Strom, und Prognosen zeigen, dass sich der Energiebedarf bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln wird. Eine Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) unterstreicht diesen Trend global, während die britische National Grid schätzt, dass sich der Stromverbrauch speziell für Datencenter in Großbritannien innerhalb der nächsten zehn Jahre vervielfachen wird. Diese Entwicklung stellt Fragen an die Zukunft der nationalen Energieversorgung und fordert neue, nachhaltige Strategien.
Der Ausbau der Kernenergie in Großbritannien wird nicht nur als klimafreundliche Lösung gesehen, sondern erfüllt auch wichtige Kriterien, die für den Betrieb von Datencentern entscheidend sind: Kernkraftwerke liefern kontinuierlich Strom unabhängig von Wetterbedingungen oder Tageszeit, was eine verlässliche Energiequelle garantiert. Diese Grundlastfähigkeit ist ein unschätzbarer Vorteil gegenüber anderen erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solarenergie, die naturgemäß Schwankungen unterliegen. Allerdings ist der Ausbau neuer Atomkraftwerke mit Herausforderungen verbunden. Die Bauzeiten für konventionelle Kernkraftwerke sind lang und kostenintensiv. Das prominenteste Beispiel hierfür ist das britische Kernkraftwerk Hinkley Point C, das seit 2017 in Bau ist, aber erst voraussichtlich 2030 in Betrieb gehen wird.
In einer Zeit, in der die Nachfrage nach Energie durch KI-Datencenter schon jetzt stark ansteigt, wird deutlich, dass konventionelle Kernenergie allein die kurzfristigen Engpässe nicht abfangen kann. Vor diesem Hintergrund richten Technologieunternehmen und Energieexperten ihren Blick zunehmend auf innovative Technologien wie sogenannte kleine modulare Reaktoren (Small Modular Reactors, SMRs). Diese neuen Reaktorentypen versprechen eine schnellere, kostengünstigere und flexiblere Ergänzung zu bestehenden Energiequellen. Obwohl SMRs noch in der Entwicklungsphase sind und voraussichtlich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts marktreif sein werden, gelten sie als vielversprechender Baustein für eine nachhaltige Energieversorgung großer Industrieanlagen, einschließlich Datencentern. Die britische Regierung hat mit ihrem AI Opportunities Action Plan bereits Schritte unternommen, um den Ausbau von Datencentern zu beschleunigen und gleichzeitig die Energienetzkapazitäten anzupassen.
Dazu gehören vereinfachte Planungsprozesse und Reformen im Bereich der Netzanschlüsse, die den zeitgerechten Ausbau der Infrastruktur sicherstellen sollen. Dennoch liegt der Schwerpunkt bisher vor allem auf der Netzinfrastruktur und nicht im Ausbau der Erzeugungskapazitäten. Experten warnen, dass diese Fokussierung nicht ausreichen wird, um den zukünftigen Energiehunger der KI-Branche zu stillen. Neben AWS investieren auch andere Technologiegiganten wie Google und Microsoft massiv in neue Datencenter in Großbritannien. Google errichtet beispielsweise einen Campus in Waltham Cross bei London, Microsoft baut am Standort Park Royal in West-London und plant weitere Einrichtungen auf dem Gelände eines ehemaligen Kraftwerks in Leeds.
Diese Entwicklungen spiegeln die internationale Konkurrenz wider, in der sich das Vereinigte Königreich als führender Standort für KI-Innovation positionieren möchte. Der Ausbau der Dateninfrastruktur bringt jedoch nicht nur ökologische und politische Herausforderungen mit sich, sondern auch soziale und wirtschaftliche Dimensionen. So ist der Aufbau einer „grünen“ und gleichzeitig zuverlässigen Energieversorgung auch eine Frage des öffentlichen Vertrauens und der Akzeptanz. Die Pläne für neue Kernkraftwerke stoßen in Teilen der Bevölkerung nach wie vor auf Skepsis, vor allem durch Bedenken hinsichtlich Sicherheit und Entsorgung von radioaktivem Material. Die Zukunft der Energieversorgung für KI-Datencenter wird daher nur durch einen ausgewogenen Mix verschiedener Technologien gelingen.
Neben Kernenergie spielen erneuerbare Energien, Energieeffizienzmaßnahmen und die fortschreitende Digitalisierung und Optimierung der Netzsteuerung eine zentrale Rolle. Intelligente Netze, die Nachfrage und Angebot flexibel ausbalancieren, können dazu beitragen, Lastspitzen abzufangen und die Auslastung der Infrastruktur zu maximieren. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit zwischen Technologieunternehmen, Energieversorgern und der Regierung entscheidend, um nachhaltige Lösungen zu realisieren. Initiativen wie der neu gegründete AI Energy Council in Großbritannien sollen diese Koordination fördern und sicherstellen, dass die Entwicklung der KI-Branche nicht durch Energieengpässe gebremst wird. Die Vision von AWS und anderen Unternehmen ist klar: KI-Datencenter sind ein entscheidender Motor der digitalen Zukunft, aber ihr Erfolg hängt maßgeblich von einer verlässlichen Energiebasis ab.