Yggdrasil Linux/GNU/X, oft auch als LGX bezeichnet und ausgesprochen als igg-drah-sill, zählt zu den ersten Linux-Distributionen, die den Grundstein für moderne Linux-Systeme legten. Die Distribution wurde Ende 1992 von Yggdrasil Computing, Incorporated ins Leben gerufen, einer Firma, die von Adam J. Richter in Berkeley, Kalifornien, gegründet wurde. Der Name Yggdrasil stammt aus der nordischen Mythologie und bedeutet Weltenbaum – eine Metapher, die sehr gut auf das Projekt passte, da es disparate Softwarekomponenten vereinte und daraus ein vollständiges Betriebssystem schuf. Das erklärte Motto des Unternehmens lautete „Free Software For The Rest of Us“, was die Vision ausdrückte, freie Software für alle Anwender zugänglich zu machen, nicht nur für Experten und Entwickler.
Yggdrasil war damals ein revolutionäres Projekt, weil es als erstes Unternehmen eine Linux-Distribution auf einer bootfähigen Live-CD anbot. Dies ermöglichte Anwendern, Linux direkt vom CD-ROM-Laufwerk zu starten, ohne eine Installation vornehmen zu müssen – ein Konzept, das heute bei vielen Linux-Distributionen Standard ist. Diese Pionierleistung bedeutete eine enorme Vereinfachung im Umgang mit Linux, da die Installation auf Festplatten und komplizierte Konfigurationsprozesse entfielen. Die Distribution verstand sich als „Plug-and-Play“-Betriebssystem, das sich automatisch an die vorhandene Hardware anpasste, was insbesondere auf damaligen PCs mit unterschiedlichen Konfigurationen ein großer Vorteil war. Die erste Alpha-Version von Yggdrasil Linux/GNU/X wurde am 8.
Dezember 1992 veröffentlicht. Die Software basierte auf dem Linux-Kernel 0.98.1 und nutzte die Version 11r5 des X Window Systems, das eine grafische Benutzeroberfläche mit bis zu 1024x768 Pixeln und 256 Farben unterstützte. Das Benutzerinterface wurde mit dem Fenstermanager FVWM realisiert, der ebenfalls heute noch bekannt ist.
Die Distribution enthielt wichtige GNU-Tools wie Compiler für C und C++, Debugger, sowie Programmgeneratoren wie bison und flex. Auch Editoren wie elvis und Emacs, das Textsatzsystem TeX, das Textformatierungstool groff und das Grafikprogramm Ghostscript gehörten zum Lieferumfang. Dabei war die Hardware-Anforderung für diese Alpha-Version ein Intel 386 Prozessor mit mindestens 8 Megabyte RAM und einer 100 Megabyte großen Festplatte – damals durchaus anspruchsvoll. Die Entwicklung wurde zügig vorangetrieben. Bereits im Februar 1993 erschien eine Beta-Version, die für 60 US-Dollar erhältlich war und auf dem Linux-Kernel 0.
99.5 basierte. Diese Version enthielt zahlreiche gesellschaftlich und technisch wichtige Entwicklungen im Linux-Bereich sowie weiterhin die Integration der GNU- und X-Window-Komponenten. Bis August 1993 wurden über 3100 Einheiten der Beta-Version verkauft, was den Bedarf und das Interesse an einer nutzerfreundlichen Linux-Distribution belegte. Die finale Produktionsversion wurde für 99 US-Dollar angeboten, allerdings erhielten Entwickler, deren Software in die Distribution aufgenommen wurde, Yggdrasil kostenfrei.
Dies förderte die Zusammenarbeit in der Open-Source-Community und trug zur Verbreitung der Software bei. Adam J. Richter, Gründer und Leiter des Projekts, legte großen Wert auf die Einhaltung von Standards wie dem Unix Filesystem Hierarchy Standard, was die Kompatibilität und Wartbarkeit des Systems förderte. Ein bemerkenswerter Aspekt war auch die Veröffentlichung einiger Branchenbücher und Handbücher, etwa „The Linux Bible: The GNU Testament“, die das Verständnis und die Nutzung von Linux erleichterten. Yggdrasil entwickelte sich zu einem ernstzunehmenden Unternehmen in der frühen Linux-Szene.
Neben den technischen Innovationen brachte Yggdrasil auch wirtschaftliche Aktivitäten ins Spiel. So bot das Unternehmen beispielsweise Volumenrabatte an und unterbreitete zeitweise Spendenangebote an wichtige Organisationen wie die Computer Systems Research Group. Im Lauf der Zeit verlagerte sich der Standort von Berkeley nach San Jose, Kalifornien. Bis zum Jahr 2000 war die Firma aktiv, danach ließen die Veröffentlichungen des Unternehmens nach. Die letzten offiziellen Aktivitäten sind aus dem Jahr 2004 dokumentiert, als Yggdrasil als Unternehmen suspendiert wurde.
In der Rückschau zeigt sich, wie vielschichtig der Einfluss von Yggdrasil auf die Linux-Welt war. Zwar ist die Distribution heute veraltet und gilt als obsolet, doch ihre technischen Errungenschaften und ihr Geschäftsmodell bilden die Grundlage vieler moderner Distributionen. Insbesondere das Konzept der Live-CD und die automatische Hardwarenerkennung wurden von späteren Projekten aufgegriffen und weiterentwickelt. Während heute übliche Distributionen hauptsächlich Downloads von Internetservern nutzen, waren CD-ROMs zu jener Zeit das wichtigste Medium für die Verbreitung von Betriebssystemen, und Yggdrasil zeigte, wie man dieses Medium optimal einsetzen konnte. Darüber hinaus trug Yggdrasil auch zur Weiterentwicklung wichtiger Linux-Komponenten bei.
Die Arbeit an Dateien-, Netzwerksystemen und der grafischen Oberfläche hat die Stabilität und Funktionalität von Linux frühzeitig verbessert. Die Integration umfassender Software aus dem GNU-Projekt trug ebenfalls dazu bei, Linux für ein breiteres Publikum interessant zu machen. Yggdrasil ist ein Beispiel für die Kraft der Open-Source-Gemeinschaft, die auf Zusammenarbeit, gemeinsame Ideale und innovativen Geist beruht. Es illustriert, wie aus der Kombination von frei verfügbarer Software und engagierten Entwicklern innerhalb kurzer Zeit Produkte entstehen können, die Technologie und Benutzerfreundlichkeit neu definieren. Für heutige Nutzer und Entwickler bleibt Yggdrasil ein wichtiger Meilenstein, der die Geschichte von Linux dokumentiert und dessen Entwicklung maßgeblich geprägt hat.
Zusammenfassend steht Yggdrasil Linux/GNU/X für die Frühzeit der Linux-Distributionen und zeigt, wie technische Innovation mit einer klaren Vision kombiniert werden kann. Es war ein Pionierprojekt, das die Grundlage legte für viele der Distributionen, die heute den Markt dominieren. Das Projekt beweist, dass der Wunsch nach barrierefreier und funktionaler freier Software bereits damals stark ausgeprägt war und weiterhin die Richtung für die Open-Source-Welt vorgibt.