Die Entwicklung von Software im Automobilsektor hat sich zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor entwickelt. Volkswagen, als einer der größten Automobilhersteller weltweit, hat dies erkannt und mit der Gründung der Software-Einheit Cariad im Jahr 2020 den Anspruch verfolgt, sich zu einem führenden Player in der automobilen Softwareentwicklung zu etablieren. Das Ziel war ambitioniert: Cariad sollte als das „zweite SAP“ gelten, ein weltweiter Softwaregigant mit hoher Innovationskraft und Effizienz. Doch der Weg war nicht einfach. Nach mehreren Jahren voller Herausforderungen, Verzögerungen und zu hoher Kosten stand Cariad mehrfach in der Kritik.
Doch laut CEO Peter Bosch, der seit Sommer 2023 an der Spitze der Einheit steht, hat das Unternehmen nun eine entscheidende Wende vollzogen und ist auf dem besten Weg, eine neue Ära einzuläuten. Peter Bosch, der zuvor als Produktionschef bei Bentley tätig war und zudem Erfahrung als Berater bei Oliver Wyman mitbrachte, übernahm die Leitung von Cariad in einer kritischen Phase. Die Softwaretochter sah sich zahlreichen Schwierigkeiten gegenüber, darunter massive Verzögerungen bei wichtigen Softwareprojekten, Budgetüberschreitungen und eine komplexe organisatorische Struktur, die eine effiziente Zusammenarbeit vielfach erschwerte. Insbesondere das Versäumnis, rechtzeitig funktionale Softwarelösungen für Modelle wie den Porsche Macan und den Audi Q6 E-tron bereitzustellen, führte zu spürbaren Rückschlägen für Volkswagen. Eine weitere ambitionierte Entwicklung, eine Softwareplattform für autonomes Fahren Level 4, wurde aufgrund der Probleme auf das Ende dieses Jahrzehnts verschoben.
Unter der Führung von Bosch wurde Cariad umfassend reorganisiert und neu aufgestellt. Er hat Entwicklungsteams neu strukturiert, sodass sie sich stärker an der Markenstruktur des Konzerns orientieren. Die Anzahl der Managementebenen wurde reduziert, um Entscheidungen zu beschleunigen und Kommunikation zu verbessern. Darüber hinaus hat Bosch eine klare Abkehr vom bisherigen Outsourcing-Modell eingeleitet, das sich als ineffektiv herausgestellt hatte. Stattdessen investiert Cariad verstärkt in eigene Kompetenzzentren, in denen eigene Softwareexperten direkt am Code arbeiten.
Dieser Paradigmenwechsel führt nicht nur zu besseren Produkten, sondern sorgt auch für eine erhebliche Kostenersparnis. In der Automobilindustrie, die mit schnellen Innovationszyklen konfrontiert ist, sind flexible und direkte Eingriffe in die Software essenziell. Mit der Fokussierung auf interne Entwicklung und der Nutzung moderner agiler Methoden konnte Cariad zuletzt entscheidende Fortschritte bei der Softwarequalität und der Time-to-Market erzielen. Peter Bosch betont, dass modernste Technologien, wie Künstliche Intelligenz, inzwischen einen festen Platz im Entwicklungsprozess haben. KI-Tools helfen dabei, Entwicklungszyklen zu verkürzen, Fehler frühzeitig zu entdecken und Software sicherer und zuverlässiger zu machen.
Damit positioniert sich VW eindeutig als Vorreiter in der digitalisierten Fahrzeugentwicklung. Besonders wichtig ist auch die Fähigkeit von Cariad, Software per Over-the-Air-Update an Fahrzeuge auszuliefern. Diese Funktion erlaubt es, Fahrzeuge während ihrer gesamten Lebensdauer mit neuen Funktionen und Sicherheitsupdates auszustatten, ohne dass Werkstattbesuche notwendig sind. Dies spart Kosten und bietet Kunden gleichzeitig eine zeitgemäße, flexible Nutzererfahrung. Das Resultat der erfolgreichen Umstrukturierung und Innovationsbemühungen ist sichtbar: 2024 setzte VW bereits in 14 Modellen auf Cariad-Software.
Außerdem ist nach Angaben von Bosch mittlerweile die Mehrheit der meistverkauften Elektroautos in Deutschland mit Cariad-Technologie ausgestattet. Dies belegt nicht nur die Marktakzeptanz, sondern auch die gewachsene Wettbewerbsfähigkeit und Relevanz der Softwarelösung. Damit positioniert sich das Unternehmen für die kommenden Herausforderungen der Automobilbranche, darunter die verstärkte Elektrifizierung und das autonome Fahren. Ein weiteres Ziel der VW-Gruppe ist die Entwicklung eines vollständig softwaredefinierten Fahrzeugs mit zentralisierter Rechnerarchitektur und proprietärer Software. Das bedeutet, Fahrzeuge sollen in Zukunft stark durch Software bestimmt werden – ein Paradigmenwechsel gegenüber bisherigen mechanisch-elektronischen Lösungen.
Die Transformation hin zu einem softwareintensiven Produkt stellt höchste Anforderungen an Qualität und Sicherheit. Mit einem wachsenden internen Team und dem Einsatz agiler Einheiten, die eigenverantwortlich komplexe Softwarekomponenten entwickeln, schafft Cariad die Grundlage für nachhaltigen Erfolg. Gleichzeitig werden Kosten deutlich reduziert, was die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Für die VW-Gruppe bedeutet das, sich von einem klassischen Automobilhersteller hin zu einem integrierten Mobilitäts- und Technologieanbieter zu entwickeln. Der Erfolg von Cariad spiegelt den enormen Wandel im Auto- und Technologiegeschäft wider, der eine Kombination aus traditioneller Fahrzeugkompetenz und digitalen Innovationen erfordert.
Die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich diese Strategie weiterhin zahlt, doch der klare Kurswechsel und die ersten greifbaren Ergebnisse geben Grund zur Zuversicht. Die Geschichte von Cariad ist ein Beispiel dafür, wie Unternehmen durch entschiedene Führung, innovative Technologien und organisatorischen Wandel aus einer Krise gestärkt hervorgehen können. Volkswagen legt damit den Grundstein für die Mobilität der Zukunft und sichert sich wichtige Wettbewerbsvorteile in einem zunehmend digitalen und vernetzten Automobilmarkt.