Seit Jahrhunderten gilt das Lösen von Polynomgleichungen höherer Ordnung als eine der größten Herausforderungen in der Mathematik. Während für quadratische, kubische und quartische Gleichungen seit langem Lösungsformeln existieren, die auf Radikalen basieren, war es bislang unmöglich, für Polynomgleichungen fünften Grades oder höher eine universelle, geschlossene Lösung zu finden. Dieses Problem hat Generationen von Mathematikern beschäftigt und blieb trotz unzähliger Versuche ungelöst. Nun hat ein Mathematiker der University of New South Wales, Prof. Norman Wildberger, zusammen mit dem Informatiker Dr.
Dean Rubine eine revolutionäre Annäherung vorgestellt, die dieses jahrhundertealte Problem mit Hilfe neuartiger Zahlenfolgen und einer radikalfreien Herangehensweise zu knacken scheint. Polynomgleichungen bilden die Grundlage zahlreicher mathematischer und wissenschaftlicher Anwendungen. Sie beschreiben etwa die Bewegungen von Planeten, bestimmen mechanische Systeme oder finden Anwendung in der Computerprogrammierung. Die Lösungen für Polynomgleichungen zweiten Grades, sogenannte quadratische Gleichungen, sind schon seit der babylonischen Zeit bekannt. Das Verfahren des Quadratformels beruht damals wie heute auf der Theorie der Radikale – also Wurzeln aus Zahlen – und ermöglicht exakte Lösungen.
Bereits im 16. Jahrhundert wurden diese Methoden auf Gleichungen dritten und vierten Grades erweitert. Der Durchbruch kam jedoch 1832 mit Évariste Galois, der in seiner Galoistheorie nachwies, dass für Gleichungen fünften Grades und höher keine allgemeine Lösung durch Radikale zu finden ist. Diese Erkenntnis markierte einen Meilenstein in der Algebra und wird bis heute als fundamentale Grenze in der Theorie betrachtet. Galois’ Arbeiten zeigen, dass die symmetrischen Eigenschaften der Lösungen bei höheren Graden zu komplex sind, als dass sie mit klassischen Wurzelausdrücken dargestellt werden könnten.
In der Folge entstanden zahlreiche numerische Verfahren, die approximate Lösungen liefern. Doch diese Annäherungen gehören nicht zur reinen Algebra, sondern sind vielmehr Werkzeuge der numerischen Analysis und angewandten Mathematik. Prof. Wildberger stellt die damalige Annahme, dass Radikale und irrationalen Zahlen eine vollständige mathematische Existenz zugesprochen werden kann, grundlegend infrage. Seine Kritik richtet sich gegen die unendlichen, nicht-periodischen Dezimaldarstellungen irrationaler Wurzeln, die in bisherigen Lösungsverfahren verwendet werden.
In seinen Augen sind diese Zahlen konzeptionell problematisch, weil sie auf einer unpräzisen Form von Unendlichkeit beruhen und eine vollständige Berechenbarkeit unmöglich machen. Daher folgt er einer radikalfreien Grundphilosophie, die schon sein bekanntes Werk zu rationaler Trigonometrie und universeller hyperbolischer Geometrie prägt. Er verzichtet bewusst auf Wurzeln, irrationale Zahlen und traditionelle trigonometrische Funktionen und stützt sich stattdessen auf rein rationale Operationen wie Quadratbildung, Addition und Multiplikation. Dieses Prinzip findet sich nun in seiner neu entwickelten Methode zur Lösung von Polynomgleichungen wieder. Der Kern seiner Innovation liegt in der Verwendung spezieller Zahlenfolgen innerhalb der Kombinatorik, einer Bereich der Mathematik, der sich mit der Struktur und Anordnung von Zahlen und Objekten beschäftigt.
Die berühmteste Zahlenfolge in diesem Zusammenhang sind die Catalan-Zahlen, die beispielsweise die Anzahl der möglichen Triangulierungen eines Polygons beschreiben. Diese Zahlenverteilungen besitzen vielfältige Anwendungsbereiche, etwa in der Informatik bei Algorithmen und Datenstrukturen, sowie in der Biologie zum Beispiel bei der Modellierung von RNA-Faltungsmustern. Die Catalan-Zahlen können durch gewöhnliche quadratische Gleichungen modelliert werden. Wildbergers Durchbruch besteht darin, diesen Zusammenhang auf höhere Dimensionen auszuweiten und sogenannte höherdimensionale Analogien der Catalan-Zahlen zu definieren. Ausgehend von einfachen Polygonzerlegungen erzeugt er mehrdimensionale Zahlenarrays, die komplexe geometrische Beziehungen abbilden.
Diese sogenannten „Geode“-Zahlenfolgen bilden eine neue mathematische Struktur, welche die klassischen Catalan-Zahlen erweitert und grundlegend für sein Lösungsverfahren sind. Die Geode-Strukturen offenbaren eine neue Welt der Kombinatorik, die offenbar bisher unbekannte Eigenschaften und Verbindungen zu Polynomgleichungen höherer Ordnung aufzeigen. Durch geschicktes Kombinieren und Abschneiden von Potenzreihen – Reihen mit unendlich vielen Termen, in denen die Variable x aufsteigend potenziert wird – gelingt es Wildberger und Rubine, exakte und dennoch radikalfreie Annäherungen für die Lösungen auch von Gleichungen fünften Grades und darüber hinaus zu erhalten. Die Potenzreihen können, durch sinnvolles Trunkieren, praktisch berechnet werden und bieten so neben theoretischer Bedeutung auch vielversprechende praktische Anwendungen. Einer der angewandten Tests betraf eine berühmte kubische Gleichung, die William Wallis im 17.
Jahrhundert im Zusammenhang mit Newtons Näherungsverfahren präsentierte. Das Wildberger-Verfahren lieferte exakte und nachvollziehbare Resultate, was die Stärke der neuen Methode untermauert. Die theoretische Basis dieser radikalfreien Lösungsmethode liegt in der strengen mathematischen Logik und der erzeugten Struktur der Geode-Zahlenfolgen. Wildberger beschreibt seine Arbeit als eine dramatische Revision eines fundamentalen Kapitels der Algebra, weil sie das seit Galois etablierte Verständnis von Lösbarkeit und Mathematik grundlegend erweitert und teilweise neu definiert. Neben akademischem Interesse eröffnen sich auch große Möglichkeiten für die Praxis.
Computergestützte Lösungsverfahren, die auf klassischen Wurzeln und irrationalen Zahlen basieren, stoßen gerade bei sehr komplexen Gleichungen an Grenzen der Rechenleistung und Genauigkeit. Die neue Methode bietet eine Alternative, die auf rationalen Operationen beruhend effizienter und zuverlässiger sein könnte. Dies birgt Chancen für Anwendungen in verschiedensten Bereichen der Wissenschaft und Technik, von physikalischen Simulationen über Ingenieurmathematik bis hin zur Kryptographie. Die Entdeckung des Geode-Zahlenarrays ist zugleich ein Beginn vieler neuer Forschungsfragen in der Kombinatorik. Wildberger und Rubine laden die mathematische Gemeinschaft dazu ein, diese neue Struktur eingehend zu untersuchen und die vielfältigen Möglichkeiten auszuloten, die sich daraus ergeben.
Insgesamt zeigt dieser Durchbruch eindrucksvoll, wie durch innovative Denkansätze alte Grenzen überwunden werden können. Der Verzicht auf seit Jahrhunderten etablierte Konzepte wie Radikale und irrationale Zahlen – zugunsten einer radikalfreien, rein rationalen Struktur – öffnet einerseits Türen zu neuen mathematischen Welten und stellt andererseits praktische Werkzeuge für komplexe Probleme bereit. Die Weiterentwicklung dieser Ideen wird zweifellos das Gebiet der Algebra und darüber hinaus nachhaltig prägen und das Verständnis von Polynomgleichungen revolutionieren.