Alan Turing gilt als einer der einflussreichsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Sein mathematisches Genie legte den Grundstein für die theoretische Informatik und die moderne Computertechnologie. Fast 70 Jahre nach seinem Tod ist nun eine Sammlung seiner wichtigsten wissenschaftlichen Papiere wieder ans Licht gekommen. Diese Traktate standen kurz davor, vernichtet zu werden, was einen einzigartigen Verlust für die Wissenschaftswelt bedeutet hätte.
Stattdessen wurden sie gerettet und werden bei einer Auktion zum Verkauf angeboten, bei der Schätzungen zufolge Preise von bis zu 150.000 Pfund erzielt werden können. Die Entdeckungsgeschichte der Papiere ist ebenso bemerkenswert wie ihr Inhalt. Nach Turings Tod übergab seine Mutter Ethel Turing einen Teil seiner wissenschaftlichen Arbeiten seinem Freund Norman Routledge, einem ebenfalls renommierten Mathematiker. Routledge lagerte die Dokumente in seinem Haus in Bermondsey, Süd-London, auf, wo sie über Jahrzehnte vergessen blieben.
Nach dem Tod Routledges im Jahr 2013 verschwanden die Papiere erneut in einer Haushaltsauflösung im Dachboden der Familie. In einem Moment, der beinahe zum tragischen Verlust führte, wurden die Schriften zum Vernichtungsschredder gelegt, doch glücklicherweise erkannten Familienmitglieder deren Wert rechtzeitig und brachten sie zu einem Experten. Der daraufhin hinzugezogene Jim Spencer, Leiter eines Auktionshauses für seltene Bücher und Manuskripte in Staffordshire, war zutiefst beeindruckt, als er die Sammlung in einem einfachen Einkaufbeutel entgegennahm. Er beschrieb das Erlebnis, die Dokumente zu sichten, als das Studium einer Sprache eines anderen Planeten. Die Papiere bieten einen Einblick in Turings bahnbrechende theoretische Arbeiten, die als Fundament der Computerprogrammierung und der Maschinenintelligenz gelten.
Unter den wertvollen Schriften befindet sich Turings persönlich signiertes Exemplar seiner 1938 abgeschlossenen Dissertation "Systems of Logic Based on Ordinals". Dieses Dokument, das die Grundlage vieler moderner Logiksysteme bildet, wird auf einen Wert zwischen 40.000 und 60.000 Pfund geschätzt. Ebenso bemerkenswert ist das 1936 verfasste Werk "On Computable Numbers", in dem Turing das Konzept der universellen Turing-Maschine vorstellte – ein grundlegendes Modell, das die theoretische Basis jedes programmierbaren Computers darstellt.
Diese Schriften sind als sogenannte Offprints hergestellt und in sehr limitierten Auflagen nur unter Fachkollegen verteilt worden. Ihre Seltenheit macht sie heute zu unvergleichlich wertvollen Artefakten der Wissenschaftsgeschichte. Die akribische Aufarbeitung und Katalogisierung dieser Arbeiten durch Experten hat nicht nur deren historischen Wert erst richtig erkannt, sondern verdeutlicht auch Turings außergewöhnliche Intelligenz und Weitsicht. Neben den berühmten Arbeiten zur Informatik enthält die Sammlung auch Papiere zu weniger bekannten, aber ebenso bedeutenden Forschungsgebieten. Dazu gehört "The Chemical Basis of Morphogenesis" aus dem Jahr 1952, Turings letzte größere Veröffentlichung.
In diesem Werk entwickelte er theoretische Modelle, die biologische Musterbildung mathematisch erklärbar machen und die heute als Grundlage der theoretischen Biologie gelten. Turings Lebensweg war geprägt von wissenschaftlichem Erfolg, aber auch persönlichem Leid und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Nach seinem Weltruhm als Codeknacker der deutschen Enigma-Maschine während des Zweiten Weltkriegs und seiner bahnbrechenden theoretischen Arbeiten wurde Turing aufgrund seiner Homosexualität strafrechtlich verfolgt. Seine Verurteilung führte zu einer medikamentösen Kastration, einem zutiefst unmenschlichen Eingriff, der zu seinem frühen Tod durch Suizid im Jahr 1954 führte. Die Entdeckung seiner Papiere viele Jahrzehnte später und das erneute Bewusstsein für seinen Beitrag zur Wissenschaft wirken deshalb besonders tragisch und inspirierend zugleich.
Das Interesse an Turings Erbe ist heute weltweit ungebrochen, vor allem im Zuge des rasanten Fortschritts bei künstlicher Intelligenz und Informatik. Silicon Valley und führende Tech-Regionen sehen ihn als Wegbereiter moderner Technologien und nutzen seine Erkenntnisse zur Weiterentwicklung von Algorithmen und Maschinenlernen. Diese neue Wertschätzung spiegelt sich auch in der bevorstehenden Auktion wider, die am 17. Juni stattfinden wird. Experten gehen davon aus, dass die Dokumente nicht nur für Sammler und Wissenschaftshistoriker von großem Interesse sind, sondern auch für Firmen und Institutionen, die den lebendigen Geist Turing’s als wertvolles Erbe bewahren möchten.
Die Geschichte hinter der Rettung der Papiere zeigt eindrücklich, wie fragil das kulturelle und wissenschaftliche Erbe sein kann. Zufällige Umstände und das Bewusstsein einzelner Personen retteten einen Schatz vor Vernichtung, der noch Jahrzehnte später den Fortschritt der Menschheit bereichert. Turings Arbeiten sind keine vergangenen Dokumente, sondern lebendige Zeugnisse, deren Einfluss sich täglich im digitalen Zeitalter zeigt. Die Sammlungen und Dokumente, die demnächst versteigert werden, bieten nicht nur einen Einblick in die Arbeitsweise eines Genies, sondern bergen auch das Potenzial, kommende Generationen von Forschern zu inspirieren. Sie erinnern daran, dass hinter technologischen Meilensteinen immer Menschen stehen – mit Visionen, Fehlern und Hoffnungen.
Zusammenfassend ist die Rettung der Alan-Turing-Papiere ein Meilenstein, der die Bedeutung der Bewahrung wissenschaftlicher Dokumente und die kontinuierliche Anerkennung von Pionieren unserer Zeit unterstreicht. Die kommenden Auktionen sind nicht nur finanzielle Transaktionen, sondern symbolische Ereignisse, die das Vermächtnis eines Mannes feiern, der die Welt so grundlegend veränderte und dessen Ideen noch lange nachwirken werden.