Der Bereich der dezentralen Finanzen, kurz DeFi, hat sich in den letzten Jahren als bedeutender Bestandteil der Kryptobranche etabliert. Dabei spielen verschiedene Anwendungsgebiete eine zentrale Rolle, insbesondere dezentrale Börsen (DEXs) und Lending-Protokolle. Während DEXs lange Zeit als der dominierende DeFi-Sektor galten, zeigt sich aktuell ein klarer Trend: DeFi-Lending-Plattformen überholen die DEXs deutlich im Hinblick auf das Total Value Locked (TVL). Dieser Wandel basiert maßgeblich auf der Suche der Nutzer nach nachhaltigeren Ertragsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Risikominimierung. Das TVL ist eine zentrale Kennzahl in der DeFi-Welt.
Es beschreibt den Gesamtwert der Kryptowährungen, die Nutzer in Smart Contracts gebunden haben. Hohe TVL-Werte signalisieren sowohl Vertrauen als auch Liquidität innerhalb der entsprechenden Protokolle. Im aktuellen Markt konnten Lending-Protokolle mit einem TVL von 53,6 Milliarden US-Dollar aufwarten, was etwa 43 Prozent des gesamten DeFi-Marktes ausmacht. Damit haben sie den Bereich der Liquid-Staking-Angebote und andere konkurrierende Segmente übertroffen. Der Lending-Sektor wird derzeit von Plattformen wie Aave und Compound Finance angeführt.
Insbesondere Aave hält fast die Hälfte des gesamten TVL im Lending-Bereich mit etwa 25 Milliarden US-Dollar. Diese Protokolle ermöglichen es Nutzern, ihre Kryptowährungen zu verleihen oder gegen Sicherheiten Kredite aufzunehmen. Dabei übernehmen Smart Contracts die Verwaltung der Einlagen, die Berechnung der Zinsen und die Abwicklung der Kredite, wodurch eine vertrauenswürdige und transparente Handhabung ohne Zwischeninstanzen gewährleistet wird. Im Gegensatz dazu haben DEXs im selben Zeitraum Rückgänge im TVL verzeichnet. Wo DEXs im November 2021 noch fast 85,3 Milliarden US-Dollar an Wert hielten, liegt ihr TVL heute bei etwa 21,5 Milliarden US-Dollar.
Dies stellt einen erheblichen Rückgang dar und verdeutlicht, dass viele Investoren ihre Gelder von den Handelsplattformen in Lending-Protokolle verlagern. Ein wesentlicher Grund für diesen Trend ist die Nachhaltigkeit der Ertragsmodelle. DEXs basieren größtenteils auf Liquiditätspools, in die Nutzer Kapital einzahlen, um Handelspaare zu unterstützen und im Gegenzug Transaktionsgebühren zu verdienen. Allerdings sind diese Pools oft dem sogenannten impermanenten Verlust ausgesetzt – ein Risiko, das entsteht, wenn sich die Preise der eingesetzten Token stark verändern und die Nutzer dadurch potenziell Verluste realisieren. Mit zunehmender Volatilität und wechselhaftem Marktumfeld haben sich diese Risiken als Hemmnis für stabilere Ertragsstrategien erwiesen.
Der Gründer des Krypto-Fonds Apollo Capital, Henrik Andersson, führt diese Entwicklungen auf die Suche nach nachhaltigeren Renditen zurück. Er betont, dass Lending in DeFi eine der wenigen Möglichkeiten bietet, dauerhaft stabile Erträge zu generieren. Zudem verweist er auf die veränderte Struktur von DEXs, etwa durch das Update auf Uniswap v3, das zwar eine höhere Kapital-Effizienz ermöglicht, aber auch dazu führt, dass weniger Kapital für vergleichbare Erträge benötigt wird. Dies verringert per Definition das TVL in DEXs, ohne zwangsläufig einen Verlust an Nutzeraktivität oder Liquidität zu bedeuten. Weiterhin beeinflussen neuartige Handelsmechanismen den TVL der DEXs.
Die sogenannten intent-basierten Swaps erlauben Crosschain-Transaktionen, bei denen Liquidität häufiger von zentralisierten Börsen bezogen wird. Dadurch verlagert sich ein Teil des Handelsvolumens weg von den dezentralen Plattformen, was die Abnahme des dort gebundenen Kapitals im TVL widerspiegelt. Auf der anderen Seite hat das DeFi-Lending seit dem Zusammenbruch mehrerer zentralisierter Krypto-Kreditgeber an Bedeutung gewonnen. Insolvenzen von Firmen wie Genesis, Celsius Network, BlockFi und Voyager führten zu erheblichen Marktverwerfungen und einem massiven Rückgang des TVL im gesamten Kreditvergabemarkt. Während traditionelle, zentralisierte Anbieter damit in der Krise stark schwächelten, haben DeFi-Lending-Protokolle ihre Marktanteile kontinuierlich ausgebaut - laut einer Untersuchung von Galaxy Digital sind das bereits rund 65 Prozent des Gesamtmarktes Ende 2024.
Die Stärke von DeFi-Lending-Protokollen liegt vor allem in ihrem innovativen Design und Risikomanagement. Durch algorithmisch gesteuerte, überbesicherte Kredite, die auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage basieren, reduzieren sie das Ausfallrisiko erheblich. Das Konzept der Überbesicherung sorgt für eine Absicherung der Kreditnehmer und Kreditanbieter, während automatisierte Anpassungen der Zinssätze für eine effiziente Kapitalallokation sorgen. Interessanterweise sehen Experten den Bereich des DeFi-Lendings nicht nur als kurzfristigen Trend, sondern als langfristig nachhaltige Alternative zu traditionellen Finanzierungsformen. Die Kombination von smart Contracts, programmierbarer Logik und Transparenz bietet institutionellen Investoren und regulatorischen Behörden gleichzeitig attraktive Anreize, sich diesem Markt zu nähern.
Die Prognosen sind dementsprechend optimistisch: Mit zunehmender institutioneller Beteiligung, besserer regulatorischer Klarheit und technischen Innovationen wird erwartet, dass die Adoption von DeFi-Lending weiter anwächst. Die Fähigkeit, stabile Erträge zu erzeugen, während Risiken effektiv gemanagt werden, macht diese Protokolle für eine breite Nutzergruppe attraktiv, von privaten Investoren bis hin zu größeren Finanzakteuren. Die Rolle von Stablecoins in diesem Kontext sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden. Gerade ihre Funktion als volatilitäsarme Anlageinstrumente machen sie im DeFi-Lending besonders beliebt. Aktuelle Zinssätze auf Plattformen wie Aave zeigen, dass Anlagen in Stablecoins jährliche Renditen im Bereich von 3 Prozent und mehr bieten können – eine vergleichsweise attraktive Verzinsung in einem Umfeld, das von niedrigen Zinsen in traditionellen Märkten geprägt ist.
Die anhaltende Konsolidierung dieses Sektors wird auch dazu beitragen, das Vertrauen in DeFi weiter zu stärken und die Eintrittsbarrieren zu senken. Dies ermöglicht nicht zuletzt eine größere Diversifikation für Anleger, die bislang vielleicht nur wenige Möglichkeiten des passiven Einkommens im Kryptobereich hatten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Aufstieg der DeFi-Lending-Protokolle gegenüber den DEXs exemplarisch für eine Reifephase des DeFi-Sektors steht. Nachhaltigkeit, Effizienz und Risikomanagement rücken stärker in den Fokus der Nutzer und Kapitalgeber, während volatile und risikoreiche Ertragsquellen an Attraktivität verlieren. Dies ist nicht nur für Investoren von Bedeutung, sondern signalisiert auch eine zunehmende Professionalisierung und Stabilisierung des gesamten Ökosystems.
In der Zukunft dürfte sich die Schnittstelle zwischen DeFi-Lending und traditionellen Finanzmechanismen weiter verwischen. Hybride Modelle, regulatorische Harmonisierung und technologische Fortschritte werden die Grundlage für ein nachhaltiges Finanzsystem bilden, das sowohl auf Dezentralität als auch auf Stabilität setzt. Die aktuell beobachtete Verschiebung der TVL in Richtung Lending ist dabei ein entscheidender Schritt in diese Richtung und wird die Landschaft der Kryptowährungen und Finanzdienstleistungen langfristig prägen.