In den letzten Jahren hat sich das Bild der Arbeitswelt dramatisch verändert. Viele Menschen äußern das Gefühl, dass es kaum noch jemanden gibt, der wirklich arbeiten möchte. Dieses Gefühl ist keine bloße Behauptung, denn es spiegelt einen realen Trend wider, der durch die sogenannte "Große Resignation" während und nach der Pandemie verstärkt wurde. Finanzexperte Vincent Chan hat sich intensiv mit den Gründen auseinandergesetzt, die hinter diesem gesellschaftlichen Phänomen stecken, und zeigt dabei eine ernüchternde Realität auf, die viele Menschen nachvollziehen können. Seine Analyse basiert auf historischen Daten und persönlichen Beobachtungen aus der Arbeitswelt, die eine klare Tendenz offenlegen: Die Motivation zu arbeiten nimmt dramatisch ab, und viele Arbeitnehmer empfinden ihre Tätigkeit lediglich als eine Art „Schlag ins Gesicht“.
Ein zentraler Punkt in Chans Betrachtung ist die Diskrepanz zwischen dem Glauben an harte Arbeit und der tatsächlichen Anerkennung oder Belohnung, die darauf folgt. Schon lange gilt der Mythos, dass sich Fleiß auszahlt; wer sich anstrengt, wird belohnt – eine Regel, die viele Generationen geleitet hat. Doch diese Überzeugung wird zunehmend erschüttert. Chan illustriert dies mit einem Beispiel aus seiner eigenen Erfahrung: Ein älterer Kollege bekam eine Beförderung, obwohl seine Leistung weit hinter der anderer Mitarbeiter zurückblieb. Interessanterweise war dieser Kollege ein langjähriger Freund des Chefs.
Dieses Phänomen ist leitend für ein Problem, das viele als demotivierend empfinden – die Tatsache, dass nicht mehr Fähigkeiten und Arbeitseinsatz, sondern Beziehungen und interner Einfluss primär über beruflichen Erfolg entscheiden. Ein Blick auf die Entwicklung von Produktivität und Lohnentwicklung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt die Deutlichkeit dieses Problems. Bis etwa 1979 hielten sich beide Faktoren die Waage – Produktivität und Lohn stiegen in etwa parallel. Seitdem jedoch hat sich ein wachsender Graben aufgetan: Während die Produktivität der Arbeitnehmer weiter zunimmt, bleiben die Lohnauszahlungen weitgehend stagnierend.
Arbeitnehmer arbeiten heute also mehr als früher, profitieren jedoch nicht mehr anteilig von ihrem Einsatz. Diese Entwicklung hat bei vielen das Gefühl hinterlassen, dass harte Arbeit keine Aussicht mehr auf wirtschaftliche Verbesserung bringt, was maßgeblich zu einer sinkenden Arbeitsmotivation beiträgt. Vincent Chan bezeichnet den Zeitraum, in dem die Babyboomer-Generation arbeitete, als das „goldene Zeitalter der Arbeitnehmer“. Damals galt noch die Faustregel, dass der Einsatz entsprechend entlohnt wurde, die gesellschaftlichen Umstände stimmten, und es gab eine direkte Verbindung zwischen Leistung und Belohnung. Dieses Klima führte zu einer starken Arbeitsethik, die heute häufig vermisst wird.
Die modernen Arbeitswelten hingegen sind zunehmend geprägt von Bürokratie, politischen Machtspielen und Intransparenz, die ebenfalls dazu führen, dass sich viele Angestellte nicht mehr wertgeschätzt fühlen. Ein weiterer entscheidender Faktor, der laut Chan in der zeitgenössischen Arbeitswelt eine große Rolle spielt, sind toxische Arbeitsumgebungen. Nicht selten sind es nicht die reinen Aufgaben oder die Arbeitszeiten, die Arbeitnehmer entmutigen, sondern das Klima innerhalb der Firmenkultur. Schikane, Mobbing, überzogene Erwartungen und permanenter Druck sind keine Seltenheit mehr und führen zu mentaler Erschöpfung und Burnout. Diese Umstände lassen viele Beschäftigte überdenken, ob ihr Arbeitsplatz es wert ist, die eigene Gesundheit dafür zu riskieren.
Diese Problematik wird besonders deutlich, wenn man Aussagen wie die des Chief Marketing Officers von Squarespace betrachtet, der jüngeren Berufseinsteigern, besonders der Generation Z, nahelegt, bereit zu sein, kostenlos und in extrem langen Stunden ohne direkte Vergütung zu arbeiten. Solche Ansichten unterstreichen ein toxisches Bild der Arbeitswelt, in der Überarbeitung als Norm gehandelt wird und der finanzielle Ausgleich fast in Vergessenheit gerät. Für die heutige Generation kann dies den Eindruck vermitteln, dass Leistung und Einsatz völlig entwertet sind und die Karriereleitern nur durch besondere Härte zu erklimmen sind – eine Motivationsbremse für viele. Neben diesen innerbetrieblichen Problemen spielen auch gesellschaftliche und technische Veränderungen eine Rolle. Die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung verändern die Anforderungen an Arbeit fundamental.
Wo früher körperlicher Einsatz und einfache Routineaufgaben den Arbeitsalltag bestimmten, wird heute mehr Flexibilität, Fachwissen und Anpassungsfähigkeit verlangt. Dennoch gehen diese Anforderungen nicht einher mit besseren Arbeitsbedingungen oder höherer Wertschätzung. Stattdessen nutzen viele Unternehmen technische Fortschritte, um Arbeitsprozesse zu verschärfen, Überwachung zu intensivieren und Löhne zu drücken – Faktoren, die zusätzlich zur Arbeitsunlust beitragen. Hinzu kommt, dass viele Menschen heute generell andere Prioritäten setzen. Junge Generationen suchen vermehrt nach einem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben, legen Wert auf Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung.
Wenn die Arbeitsbedingungen diesen Bedürfnissen nicht gerecht werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Beschäftigte kündigen oder sich gar nicht erst auf Jobs bewerben, die sie als ausbeuterisch oder sinnentleert empfinden. Die Pandemie hat diesen Wandel noch verstärkt, weil sie vielen die Gelegenheit gab, über ihre Lebensqualität nachzudenken und neue Berufsperspektiven zu erkunden. Insgesamt zeichnet Vincent Chan ein Bild der modernen Arbeitswelt, das von Frustration geprägt ist. Es wird zunehmend offensichtlich, dass die bisherigen Modelle von Arbeitsmotivation, Bezahlung und Karriereplanung überdacht werden müssen, wenn Arbeitgeber das Engagement ihrer Mitarbeiter zurückgewinnen wollen. Die einfache Formel „Harte Arbeit führt zu Erfolg“ funktioniert nicht mehr zuverlässig, und ein festgefahrener Arbeitsmarkt führt dazu, dass viele Arbeitnehmer ihr Engagement minimieren, so gut es geht.
Die Lösung liegt laut Chan nicht nur im Anpassen von Löhnen, sondern in einer umfassenden Neugestaltung der Arbeitsplatzkultur. Es geht darum, Anerkennung wieder in den Fokus zu rücken, echte Chancengleichheit bei Beförderungen zu gewährleisten und toxische Strukturen abzubauen. Gleichzeitig wäre es wichtig, Arbeitszeiten und -belastungen so zu gestalten, dass sie mit den Bedürfnissen der Menschen im Einklang stehen. Nur so kann man langfristig ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Menschen nicht nur arbeiten wollen, sondern auch Freude an ihrer Tätigkeit finden. Angesichts dieser Erkenntnisse wird klar, dass der Arbeitsmarkt vor einem Wendepunkt steht.