Im Juni 2025 wurde eine außerordentliche wissenschaftliche Entdeckung bekannt gegeben, die das Verständnis des Lebens in den Ozeanen grundlegend verändern könnte. Wissenschaftler der Rosenstiel School of Marine, Atmospheric, and Earth Science der University of Miami enthüllten die Existenz von 230 zuvor unbekannten Riesenviren. Diese großen DNA-Viren, die vor allem einzellige marine Organismen infizieren, spielen eine wesentliche Rolle bei der Regulation von Ozeanlebensgemeinschaften und beeinflussen gleichzeitig die Gesundheit mariner Ökosysteme und damit auch des Menschen. Riesenviren wurden bislang relativ wenig beachtet, denn ihre Größe und Komplexität machen sie ungewöhnlich in der Welt der Viren. Im Gegensatz zu kleineren Viren besitzen diese Riesenviren diskrete Genome, die teilweise erstaunlich viele Gene enthalten – Gene, die oft in zellulären Organismen zu finden sind, wie zum Beispiel solche, die den Stoffwechsel betreffen.
Die neuentdeckten Viren wurden mithilfe innovativer bioinformatischer Methoden und hochleistungsfähiger Rechenressourcen identifiziert, wobei die Forscher auf öffentlich verfügbare DNA-Datenbanken aus globalen Ozeanproben zurückgriffen. Das Forschungsprojekt war besonders innovativ, da es ein eigens entwickeltes Werkzeug namens BEREN (Bioinformatic tool for Eukaryotic virus Recovery from Environmental metageNomes) einsetzte, das speziell dafür konzipiert wurde, die komplexen Genome dieser Riesenviren in umfangreichen Datensätzen herauszufiltern. Dieses Tool ermöglicht eine präzise und umfassende Erfassung von bislang unentdeckten Virusarten und trägt damit maßgeblich dazu bei, die Diversität der marinen Virenwelt besser zu erfassen. Die Bedeutung dieser Viren für das Ökosystem Meer ist enorm. Sie infizieren protistische Einzeller wie Algen und Amöben, die die Grundlage der marinen Nahrungskette bilden.
Indem diese riesigen Viren ihre Wirte infizieren und teilweise zerstören, beeinflussen sie nicht nur die Population dieser Organismen, sondern auch die gesamte Dynamik mariner Ökosysteme, die für das Gleichgewicht von Sauerstoffproduktion, Nährstoffkreisläufen und Kohlenstoffbindung verantwortlich sind. Besonders hervorzuheben ist die Rolle der Riesenviren bei der Entstehung und Regulation schädlicher Algenblüten. Diese Blüten, oft verursacht durch explosionsartige Vermehrung bestimmter Algenarten, führen häufig zu Umweltkatastrophen, da sie toxische Substanzen freisetzen, die das marine Leben gefährden und auch die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen können. Die neu identifizierten Riesenviren tragen dazu bei, die Zahl dieser toxischen Algen zu kontrollieren. Ein besseres Verständnis dieser Viren verstärkt somit die Chancen, solche schädlichen Ereignisse vorherzusehen und gezielt zu bekämpfen.
Darüber hinaus offenbart die Untersuchung der Virusgenome spannende Einblicke in deren Funktionsspektrum. Die Forscher konnten 530 neue funktionelle Proteine beschreiben, darunter einige, die an der Photosynthese beteiligt sind. Diese Erkenntnis legt nahe, dass die Viren in der Lage sind, die Photosynthese ihrer Wirtsalgen zu beeinflussen oder sogar zu manipulieren – ein bislang kaum erforschter Mechanismus, der die biochemische Aktivität im Meer deutlich verändern kann. Ebenso wurden Gene identifiziert, die auf eine Mitwirkung an Kohlenstoffstoffwechsel und anderen zellulären Vorgängen hindeuten. Die Forschung erfolgte mit Unterstützung der leistungsstarken Pegasus-Supercomputer der University of Miami, die enorme Datenmengen verarbeiteten und die Genomassemblierung der Viren möglich machten.
Die dabei entdeckten Genomvarianten erweitern nicht nur das bekannte Spektrum bisher charakterisierter Riesenviren, sondern eröffnen auch neue Forschungsfelder mit potenziellen biotechnologischen Anwendungen. Einige der gefundenen Proteinfunktionen könnten in Zukunft zur Entwicklung neuartiger Enzyme oder biomedizinischer Werkzeuge dienen. Der leitende Autor der Studie, Benjamin Minch, betont die Bedeutung dieser Entdeckung für das Verständnis des Meeresbiogeochemie und der Wechselwirkungen auf molekularer Ebene zwischen Viren und ihren Wirtsorganismen. Die Funktionsvielfalt, die bei Riesenviren festgestellt wurde, unterstreicht deren Rolle als aktive Gestalter des Meereslebens und nicht nur als passive Parasiten. Zusammen mit Co-Autor Mohammad Moniruzzaman sieht Minch hier ein großes Potenzial, über die Grundlagenforschung hinaus praktische Lösungen für Umweltprobleme wie die Überwachung von Wasserverschmutzung und Pathogenen in Binnengewässern und Küstenregionen zu entwickeln.
Die vorliegende Studie wurde am 21. April 2025 im renommierten Fachjournal Nature npj Viruses veröffentlicht und stellt einen bedeutenden Meilenstein in der Meeresvirologie dar. Indem die Forschung die verborgene Vielfalt viraler Organismen enthüllt, unterstreicht sie zugleich, wie vielschichtig und komplex die marine Mikrobiologie tatsächlich ist. Das innovative BEREN-Tool ist öffentlich verfügbar und dürfte zukünftig Wissenschaftlern weltweit ermöglichen, die Erforschung von Viren in verschiedensten Umweltproben voranzutreiben. Dies hat weitreichende Implikationen nicht nur für die Marinewissenschaften, sondern auch für die Gesundheitsforschung und das Umweltmonitoring.