Die Erforschung neuer Quantenmaterialien hält in den letzten Jahren zunehmend Einzug in die Welt der Physik – insbesondere topologische Halbleiter und ihre außergewöhnlichen elektronischen Eigenschaften üben große Anziehungskraft auf Wissenschaftler weltweit aus. Eine der faszinierendsten Entwicklungen ist die Entdeckung von Supraleitung, die ausschließlich an der Oberfläche eines topologischen Halbleiters auftritt, und zwar hervorgerufen durch die sogenannte Van-Hove-Singularität. Am Beispiel des Dirac-Nodal-Line-Metalls ZrAs2, einem Material mit ungewöhnlichen elektrischen Eigenschaften, wurden bisher ungekannte Phänomene beobachtet, die unser Verständnis von Supraleitung und Topologie im Festkörper erweitern. Im klassischen Sinne ist Supraleitung ein Zustand eines Materials, in dem der elektrische Widerstand bei äußerst niedrigen Temperaturen plötzlich auf null fällt und zudem magnetische Felder aus dem Inneren verdrängt werden. In konventionellen Supraleitern ist dieses Phänomen ein Ergebnis von Cooper-Paaren, also gebundenen Elektronenpaaren, die sich verlustfrei durch das Kristallgitter bewegen.
Allerdings hat die Entdeckung von topologischen Materialien, also Festkörpern mit besonderen elektronischen Bandstrukturen, eine neue Dimension eröffnet: Elektronische Zustände, die auf der Oberfläche existieren, können völlig andere und exotischere Eigenschaften zeigen als das Bulk-Material. ZrAs2 ist ein solches Beispiel. Es handelt sich um ein Dirac-Nodal-Line-Halbleiter, dessen Energiebandstruktur charakteristische Linienknoten aufweist – das bedeutet, dass sich im Impulsraum die Energiebandanschnitte ähneln den Linien oder Schleifen, anstatt isolierte Punkte zu bilden. Diese Linienknoten führen zu faszinierenden oberflächengebundenen Zuständen, welche die klassische Physik teilweise herausfordern. Besonders hervorzuheben ist dabei die Existenz einer zweidimensionalen Van-Hove-Singularität auf der Oberfläche des Kristalls.
Eine Van-Hove-Singularität kennzeichnet eine Energie im elektronischen Zustandsdichte-Spektrum, an der die Zustandsdichte sprunghaft ansteigt. Dies geschieht oft an Sattelpunkten in der Bandstruktur, an denen elektronische Zustände besonders stark konzentriert sind. Eine erhöhte Zustandsdichte am Fermi-Niveau – also in unmittelbarer Nähe zum Energieniveau, bei dem Elektronen angesiedelt sind – begünstigt elektronische Korrelationen und damit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von elektronischen Ordnungen wie Supraleitung. Die entscheidende Beobachtung bei ZrAs2 ist, dass diese Van-Hove-Singularität fest an die Oberfläche gebunden ist. Das bedeutet, dass die elektronischen Zustände, die dieses Phänomen hervorrufen, nicht im Volumen des Materials, sondern tatsächlich auf den zwei oberen und unteren Oberflächen des Kristalls lokalisiert sind.
Die daraus resultierende Supraleitung ist dementsprechend zweidimensional und unterscheidet sich substantiell von gewöhnlichen dreidimensionalen Supraleitern. Neben theoretischen Berechnungen mittels Kyoto-Density-Functional-Theory (DFT) wurde die Existenz dieser oberflächengebundenen Van-Hove-Singularität durch hochauflösende Experimente wie der Winkelaufgelösten Photoemissionsspektroskopie (ARPES) belegt. Diese Messmethode ermöglicht die direkte Visualisierung der Oberflächenbandstruktur und bestätigt die theoretischen Vorhersagen eindrucksvoll. Darüber hinaus zeigen elektrischer Widerstandsmessungen und Magnetotransportdaten, dass die Supraleitung in ZrAs2 ausschließlich in der abz-Ebene auftritt. Interessanterweise wurde die charakteristische Berezinskii-Kosterlitz-Thouless-Übergangstemperatur (BKT-Übergang) erstmals eindeutig für oberflächengebundene Supraleitung in einem Material nachgewiesen.
Der BKT-Übergang ist ein typisches Phänomen zweidimensionaler Supraleitung und beschreibt die sogenannte Entkopplung von Vortex-Antivortex-Paaren, welche die Supraleitung in dünnen Filmen oder Schichten bestimmt. In ZrAs2 lässt sich dieser Übergang durch eine charakteristische Strom-Spannungs-Kennlinie und deren temperaturabhängiges Verhalten beobachten, was die zweidimensionale Natur der Supraleitung zusätzlich untermauert. Diese Entdeckung besitzt weitreichende Auswirkung für die fundamentale Wissenschaft und zukünftige Anwendungen. Erstens stellt sie eine neuartige Plattform dar, um die Interaktion zwischen Topologie und elektronischen Korrelationen zu erforschen. Hierbei kann besser verstanden werden, wie sich Quantenphänomene im Grenzbereich zwischen zwei- und dreidimensionaler Elektronik manifestieren.
Zweitens bietet die Kombination von Topologie und Supraleitung neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Quantencomputern und -sensoren, denn solche Materialien können dabei helfen, robustere „Majorana-Fermionen“ zu erzeugen – Quasiteilchen, die als Bausteine für fehlerresistente Quantenbits gelten. Ein weiterer wesentlicher Vorteil bei ZrAs2 ist, dass die Supraleitung ohne das sonst oft nötige „Proximity-Effekt“ entsteht, bei dem ein konventioneller Supraleiter auf ein anderes Material aufgebracht wird, um dort Supraleitung zu induzieren. Stattdessen besitzt ZrAs2 eine intrinsische, rein oberflächengebundene Supraleitung, die sich quasi als natürliche Schnittstelle darstellt. Dies kann die Herstellung von supraleitenden nanostrukturierten Bauteilen deutlich vereinfachen. Gleichzeitig liefert die Forschung an ZrAs2 wichtige Erkenntnisse im Vergleich zu verwandten Materialien, bei denen bisher widersprüchliche oder unvollständige Beobachtungen gemacht wurden.
So wurden in anderen topologischen Halbleitern wie PtBi2 oder CaAgP zwar ebenfalls Oberflächensupraleitung postuliert, doch fehlten eindeutige Belege für den BKT-Übergang oder konsistente magnetische Eigenschaften. In ZrAs2 schließen Messungen von Magnetisierung sowie Muon-Spin-Rotationsmethoden (μSR) allerdings eine Supraleitung im Volumen aus, was die ausschließliche Oberflächenauthentizität der Supraleitung erneut bestätigt. Diese Entwicklung führt zu spannenden Fragen und Perspektiven für zukünftige Forschung: Wie genau beeinflusst die Van-Hove-Singularität die Kopplungsmechanismen der Vertreter elektronischer Ordnungen? Gibt es eine Möglichkeit, die elektronischen Zustände mittels externen Parametern wie Druck, elektrischen Feldern oder Dotierung gezielt zu steuern und so die Supraleitung zu modulieren? Welche Rolle spielen mögliche Spin-Strukturen und Topologie-geschützte Oberflächenzustände bei der Ausbildung des Cooper-Paars? Solche Untersuchungen könnten ZrAs2 und verwandte Materialien zu einem Schlüsselbaustein für neuartige Quantentechnologien machen. Darüber hinaus zeigt die Beobachtung, dass in einem makroskopischen Kristall ein zweidimensionaler Supraleitungszustand entsteht, wie präzise Oberflächenphänomene die gesamten Materialeigenschaften dominieren können. Diese Fähigkeit, durch präzise Materialgestaltung zweidimensionale Quantenphänomene in einem ansonsten dreidimensionalen System zu erzeugen, könnte zukünftig weitere innovative Materialien und supraleitende Baugruppen hervorbringen.
Im Kern zeigt die Entdeckung der Van-Hove-Singularität am Oberflächenzustand von ZrAs2, dass Topologie und elektronische Korrelationen auf neuartige Weise zusammenwirken können, um außergewöhnliche Zustände kooperativer Phänomene hervorzubringen. Die reine Oberflächensupraleitung mit BKT-Charakter die auf diese Singularität zurückgeht, erweitert unser Verständnis von Quantenmaterie in tiefgreifender Weise und eröffnet neue Forschungsfelder in der Physik der topologischen Supraleitung. Die kontinuierliche Erforschung solcher Materialien verspricht, sowohl fundamentale Fragestellungen zu beantworten als auch die Tür zu praktischen Anwendungen der Quantenphysik im technischen Bereich aufzustoßen.