Die ‚Letters of Last Resort‘ sind ein faszinierendes und zugleich düsteres Element der britischen Nuklearstrategie. Diese handschriftlichen Briefe, die jede neue Premierministerin oder jeder neue Premierminister Großbritanniens unmittelbar nach Amtsantritt verfasst, enthalten geheime Anweisungen für die Kommandanten der vier Vanguard-Klassen-Atom-U-Boote, die das Rückgrat der britischen nuklearen Abschreckung bilden. Die Briefe sollen nur im äußersten Notfall geöffnet werden – nämlich dann, wenn die britische Regierung komplett ausgelöscht oder handlungsunfähig gemacht wurde, etwa durch einen verheerenden atomaren Angriff, der sowohl den Premierminister als auch seine Stellvertreter das Leben gekostet hat.In einem solchen Szenario, das theoretisch den endgültigen Zusammenbruch der zivilen Ordnung Großbritanniens markieren würde, überträgt der Premierminister durch die ‚Letters of Last Resort‘ den U-Boot-Kommandanten die Entscheidung über das weitere Vorgehen mit den inzwischen einsatzbereiten Trident-Raketen des Landes. Es handelt sich dabei um eine der letzten Instanzen der Entscheidungsmacht, eine Verantwortung von immenser Tragweite, die das Schicksal von Millionen Menschen mitbestimmen könnte.
Dennoch sind die genauen Inhalte dieser Briefe geheim und werden erst nach einem nuklearen Desaster bekannt, sollten sie überhaupt jemals geöffnet werden.Der Ablauf der Unterzeichnung und Verteilung der Briefe folgt einem streng geheimen Protokoll. Sobald eine neue britische Regierung gebildet wird und der oder die Premierministerin im Amt ist, erhält er oder sie eine detaillierte Einweisung durch den Generalstabschef über die möglichen Auswirkungen eines atomaren Angriffs mit Trident-Raketen. Unmittelbar danach werden die ‚Letters of Last Resort‘ verfasst. Diese Dokumente werden dann versiegelt und an die Kommandanten der vier nuklear bewaffneten U-Boote übergeben.
Wichtig dabei ist, dass die Briefe sämtlich identisch sind und die Briefe des vorherigen Premierministers ohne Öffnung vernichtet werden, damit der Inhalt stets exklusiv dem aktuellen Regierungschef bekannt ist.Die Rolle der ‚Letters of Last Resort‘ verweist auf die komplexen und oft paradoxen Überlegungen innerhalb der nuklearen Abschreckungspolitik. Ziel ist es, potenzielle Aggressoren abzuschrecken, indem eine glaubwürdige Antwort auf einen vernichtenden Angriff sichergestellt wird – selbst wenn das zentrale Regierungssystem ausgelöscht wurde. Dabei bilden diese Briefe den ultimativen Mechanismus hinter der nuklearen Entscheidungsfindung, denn sie garantieren, dass die Kontrolle über den nuklearen Wiederschlag niemals komplett verloren geht.Die Kommandanten der U-Boote verfügen über mehrere Sicherheitschecks, um festzustellen, ob die Regierung des Vereinigten Königreichs noch funktionsfähig ist.
Dazu gehört das Monitoring von Kommunikationsmitteln wie BBC Radio 4. Sollte der Rundfunk ausfallen oder andere eindeutige Indikatoren auf eine Katastrophe hinweisen, sind sie autorisiert, die Briefe zu öffnen. Diese Art von Kommunikationsprüfung dient als praktischer Indikator für die Überlebensfähigkeit staatlicher Strukturen.Die Entscheidung, die im Brief steht, kann unterschiedliche Formen annehmen. Laut Berichten und Dokumentationen geben die Premierminister traditionell vier mögliche Handlungsanweisungen vor: Vergeltung mit den Atomwaffen; keinen Gegenschlag durchführen; dem Ermessen der Kommandanten freie Hand lassen; oder das U-Boot unter das Kommando eines Alliierten stellen, meistens der Vereinigten Staaten oder Australiens, falls diese Länder noch handlungsfähig sind.
Der tatsächliche Inhalt bleibt ein streng gehütetes Staatsgeheimnis und ist psychiatrisch hoch brisant, denn letztlich entscheidet der Verfasser die Zukunft der ganzen Nation und darüber hinaus.Die Existenz der ‚Letters of Last Resort‘ war über Jahrzehnte unbekannt und wurde erst sehr langsam von Vertretern der Regierung und Militärs eingeräumt. Dass die britische Nuklearstrategie auf eine solche letzte Entscheidungsinstanz setzt, zeigt die Realitätsnähe und eingeschworene Zurückhaltung, aber auch die zynische Akzeptanz, dass im schlimmsten Fall der Staat zerfallen kann und trotzdem eine Reaktion vorbereitet sein muss. Diese Briefe verkörpern eine der letzten Verbindungen zu einer staatsführenden Autorität – selbst wenn diese faktisch nicht mehr existiert.Neben ihrem realen militärstrategischen Zweck haben die ‚Letters of Last Resort‘ auch Eingang in die populäre Kultur gefunden.
Das Theaterstück „Letter of Last Resort“ von David Greig sowie Szenen in Filmen und Fernsehserien thematisieren die tiefgründigen ethischen und psychologischen Herausforderungen, die mit der Verantwortung der Inhaber dieser geheimen Macht einhergehen. Die fiktionalen Darstellungen illustrieren, wie schwer es ist, eine reale Entscheidung für den Fall des Schlimmsten zu fassen, wenn das Schicksal ganzer Staaten und der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel steht.Die Symbolkraft der ‚Letters of Last Resort‘ ist enorm, weil sie das letzte erzwungene Instrument verlangen, um auf existenzielle Bedrohungen zu reagieren. Sie stehen für die dunkelste Seite der nuklearen Abschreckung, das Amt der Angst und der ultimativen Macht, die kein demokratisches System leichtfertig aus der Hand geben kann. Dennoch ermöglichen die Briefe zugleich eine gewisse Hoffnung, denn sie legen in die Hände einzelner Personen, die im Zweifelsfall mit Mut und Verantwortung handeln müssen, ein letztes Stück Kontrolle über die nukleare Antwort und somit über die Zukunft des Landes.