Brasilien und China haben ein ambitioniertes Großprojekt gestartet, das die Infrastruktur und den Handel in Südamerika nachhaltig verändern könnte. Die Planung einer rund 3.000 Kilometer langen Eisenbahnstrecke, die den Amazonas-Regenwald durchquert, rückt mit chinesischer Finanzierung und Unterstützung in greifbare Nähe. Dieses Vorhaben, bekannt als der Bioozean-Korridor, soll den Atlantik mit dem Pazifik verbinden und dabei neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen, gleichzeitig aber auch erhebliche ökologische und soziale Fragen aufwerfen. Die offizielle Ankündigung erfolgte Anfang Mai 2025 bei einem Treffen in Peking.
Dort trafen sich Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und chinesische Regierungsvertreter, darunter Staatspräsident Xi Jinping, um über die Details und den Fortschritt des Projekts zu beraten. An diesem historischen Meilenstein zeigt sich das Engagement beider Länder für stärkere wirtschaftliche Verknüpfungen und eine effizientere Logistik, die Südamerikas Rolle im weltweiten Handelssystem neu definieren könnte. Der geplante Bahnverlauf soll die brasilianische Atlantikküste bei Ilhéus mit dem peruanischen Hafen Chancay am Pazifik verbinden. Chancay ist ein erst vor wenigen Monaten eröffnetes Hafenprojekt mit beträchtlichen chinesischen Investments, wobei die COSCO-Gruppe, Chinas führender staatlicher Hafenbetreiber, eine dominierende Rolle innehat. Indem Soja, Eisenerz und andere Exportgüter aus Brasilien künftig schneller und kostengünstiger über diesen Landweg verschifft werden können, sollen Transportzeiten um bis zu zehn Tage verkürzt werden.
Besonders wichtig ist die Rolle des Bioozean-Korridors für die brasilianische Agrar- und Bergbauindustrie. Der Transport von Mineralien und landwirtschaftlichen Produkten, insbesondere Soja, wird durch die Eisenbahn effizienter, was nicht nur ökonomische Vorteile verspricht, sondern auch aus ökologischer Sicht von Bedeutung sein könnte. Die Verlagerung vom Schiffstransport über den Atlantik oder gar den Umweg um das Kap der Guten Hoffnung auf Schienen könnte den CO2-Ausstoß reduzieren, wenn auch die Bauphase und die begleitende Landnutzung der Infrastruktur intensiv betrachtet werden müssen. Der geplante Trassenverlauf durchquert die für ihre Biodiversität berühmten Amazonas-Staaten Rondônia und Acre sowie das agrarisch stark genutzte Mato Grosso do Sul. Gleichzeitig führt die Route durch das sogenannte Matopiba-Gebiet, eine Zonen im Cerrado-Savannenkomplex, die sich zu einem wichtigen Zentrum für Sojaanbau und Rinderhaltung entwickelt hat.
Dieses Gebiet ist in den vergangenen Jahren durch intensive Abholzung geprägt, was ökologische Folgen für das empfindliche Ökosystem und den Klimaschutz mit sich bringt. Ein sensibles Thema bleibt dabei die Berührung indigener Territorien. Die brasilianische Regierung hat bereits eine Routenänderung vorgenommen, um die Bahnlinie soweit möglich von indigenen Schutzgebieten fernzuhalten. Dies soll Konflikte mit den betroffenen Gemeinschaften verhindern und die intakten Waldflächen schützen. Dennoch warnen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen vor indirekten Auswirkungen, da die Infrastruktur oft als Katalysator weiterer Rodungen und landwirtschaftlicher Expansion wirkt.
Von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Projekts ist die Genehmigungsphase in China. Während das politische Signal von der chinesischen Führung klar auf grün steht, muss die staatsnahe China State Railway Group noch die formelle Zustimmung erteilen. Das brasilianische Planungsministerium hat um eine Entscheidung innerhalb eines Monats gebeten und plant, einen Vertrag beim kommenden BRICS-Gipfel in Rio de Janeiro zu unterzeichnen, der im Juli 2025 stattfinden wird. Die Bedeutung des Bioozean-Korridors kann kaum überschätzt werden. Für Brasilien bedeutet er eine neue Verbindung zu den wachstumsstarken asiatischen Märkten und eine Diversifikation der Exportwege.
Für China wiederum ist das Projekt Teil der strategischen Initiative, globale Handelsrouten auszubauen und die wirtschaftliche Verflechtung mit wichtigen Rohstofflieferanten zu intensivieren. Gleichzeitig steht China somit vor der Herausforderung, sein Image als Förderer nachhaltiger Entwicklung zu beweisen, indem es die Umweltrisiken eines solchen Großprojekts verantwortungsvoll manage. Die Rolle der Eisenbahn gegenüber bestehenden Straßeninfrastrukturen wird dabei häufig positiv bewertet. Schienenverkehr verursacht grundsätzlich geringere Umweltbelastungen im Betrieb, insbesondere bei großer Gütermenge. Dennoch kann der Bau der Gleise selbst erhebliche Eingriffe in die Natur bedeuten.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Zugstrecken oft in der Lage sind, Naturbarrieren besser zu überwinden und weniger fragmentierend zu wirken als Straßen, vorausgesetzt sie werden sorgfältig umgesetzt. Deshalb sind genaue Umweltverträglichkeitsprüfungen und langfristige Schutzkonzepte unerlässlich. Neben ökologischen befindet sich das Projekt auch in einem sozialen Spannungsfeld. Indigene Organisationen und Umweltschützer mahnen eine stärkere Einbindung der lokalen Bevölkerung und transparente Dialogprozesse an. Die Risiken durch mögliche Landnahme, kulturelle Zerstörungen und Veränderung traditioneller Lebensweisen sind nicht zu unterschätzen.
Einige Stimmen fordern Maßnahmen, die agrarindustriellen Druck zu begrenzen und nachhaltige Entwicklungskonzepte zu fördern, damit das Projekt nicht nur eine ökonomische Erfolgsstory wird, sondern auch die Lebensqualität vor Ort verbessert. Ein weiterer Aspekt betrifft die geopolitische Dimension des Bioozean-Korridors. Neben der wirtschaftlichen Kooperation zwischen Brasilien und China positioniert sich Südamerika als wichtige Schnittstelle im neuen globalen Handelsnetz. Die Verbindung von Atlantik und Pazifik verkürzt nicht nur Lieferketten, sondern könnte auch das Machtgefüge in der Region beeinflussen. Die Beteiligung chinesischer Unternehmen und die Nutzung eines chinesischen Tiefseehafens in Peru symbolisieren eine zunehmende Präsenz Chinas in Lateinamerika, die sowohl Chancen als auch Bedenken hervorruft.
Die Infrastrukturpläne erstrecken sich auch über den maritimen Sektor hinaus. Die Modernisierung des Hafens in Chancay repräsentiert Chinas Strategie, in wichtige Knotenpunkte des Welthandels zu investieren, die gleichzeitig die Last der Frachtströme von Überseekontinenten besser verteilen können. Für Brasilien ist das Projekt die Gelegenheit, seine Exportabhängigkeit vom Hafen Santos an der Südostküste aufzubrechen und so diversifizierter und resilienter zu werden. Nicht zuletzt hat das Projekt auch positive Impulse für die regionale Wirtschaftsentwicklung zum Ziel. Durch den Ausbau von Infrastruktur entstehen neue Arbeitsplätze, der regionale Handel wird belebt und Zugang zu Märkten verbessert.