Die wissenschaftliche Welt ist geprägt von Kreativität, Innovation und unermüdlichem Streben nach Fortschritt. Doch hinter den facettenreichen Persönlichkeiten stecken oft auch individuelle Herausforderungen, die im konventionellen Bild von Forschung und akademischer Arbeit wenig Beachtung finden. Eine besonders interessante Gruppe bilden Wissenschaftler und Forscher, die mit einer Diagnose von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, leben. Wie erleben sie ihre Arbeit und wie gelingt es ihnen, Feuer – eine leidenschaftliche Energie – mit einem scharf fokussierten Geist zu verbinden? Die Antworten darauf zeigen nicht nur die Vielfalt neurodivergenter Talente, sondern auch wertvolle Ansätze für mehr Inklusion und Verständnis im Wissenschaftsbetrieb. ADHS ist eine neuroentwicklungsbedingte Störung, die häufig durch Symptome wie Unaufmerksamkeit, Impulsivität und eine gesteigerte motorische Aktivität gekennzeichnet ist.
Entgegen veralteter Vorurteile bedeutet ADHS aber nicht, dass Betroffene weniger leistungsfähig sind – vielmehr zeigen viele Wissenschaftler mit ADHS eine außergewöhnliche Kreativität, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, bei hochinteressanten Themen eine intensive mentale Energie zu entfalten. Dieses „Feuer“ in Kombination mit Fokus kann besonders im Forschungsalltag zu einer Quelle großer Stärke werden. Der berühmte Ursprung des Wortes Hyperaktivität bringt bereits zwei Bewegungen zusammen: das Streben nach Bewegung und die Fokussierung des Geistes. Viele Wissenschaftler berichten, dass sie beim Verfolgen ihrer Forschungsfragen eine intensive Konzentrationsphase erleben, die sie förmlich in den Bann zieht. Sie verlieren sich in der Materie, arbeiten mit beachtlicher Geschwindigkeit und können komplexe Probleme auf unkonventionelle Weise lösen.
Die so entstehende Fokussierung ist aber stark „dosiert“ und geht mit Herausforderungen einher – insbesondere wenn es um Routinearbeiten oder die Einhaltung enger Fristen geht. Ein Beispiel ist die Arbeit von Lis Gallant, einer Vulkanologin, die an der University of Hawai’i at Hilo forscht. Gallant wurde während ihrer Studienzeit klar, dass ihre Arbeitsweise ungewöhnlich war: Sie konnte in mündlichen Präsentationen brillieren, zeichnete sich durch Detailverliebtheit aus, während schriftliche Arbeiten oftmals unter Zeitdruck entstanden und eher flüchtig wirkten. Dies war ein erster Hinweis auf ihre ADHS-Diagnose. Während viele den Aspekt der Hyperfokussierung kennen, haben auch Schwierigkeiten mit der Organisation, dem Zeitmanagement und der Selbstmotivation Teil ihres Alltags.
Gallant beschreibt ihre Herangehensweise als intensive, kurze Arbeitsphasen, denen Pausen folgen, in denen sie sich anderen Dingen widmet. Gerade diese Dynamik kann zwar produktiv sein, erfordert jedoch auch ein Bewusstsein für die eigenen Grenzen. Neben persönlichen Strategien hilft das Anerkennen neurodivergenter Arbeitsstile sowohl Wissenschaftlern als auch Institutionen, produktiver zu sein. Denn Rahmenbedingungen in Laboren, Instituten oder bei der Planung von Forschungsprojekten sind häufig auf lineare und gleichmäßige Arbeitsprozesse ausgerichtet. Flexibles Zeitmanagement, die Möglichkeit zu fokussierten Arbeitsabschnitten und ein unterstützendes Umfeld tragen maßgeblich dazu bei, wie Forschende mit ADHS ihr Potenzial entfalten können.
In einigen Fällen erhalten sie durch gezielte Unterstützung und Coaching auch Zugang zu Werkzeugen, mit denen sie ihre Stärken besser in den Forschungsalltag integrieren. Die Diskussion um Neurodiversität im Beruf wird zunehmend auch in der Wissenschaft geführt. ADHS ist hierbei ein Paradebeispiel für eine Form von Diversität, die Mehrwert schafft. Kreative Problemlösungen, unkonventionelle Denkansätze und eine hohe Resilienz gegenüber Rückschlägen sind Eigenschaften, die gerade im dynamischen Umfeld moderner Forschung von enormer Bedeutung sind. Und genau diese Potenziale können sich dann entfalten, wenn individuelle Bedürfnisse erkannt und berücksichtigt werden.
Das Thema geht darüber hinaus auch an der Schnittstelle von mentale Gesundheit und beruflicher Entwicklung entlang. Wissenschaftler mit ADHS berichten oft von Belastungen durch den hohen Druck in der akademischen Welt, kombiniert mit dem eigenen Anspruch, trotz Widrigkeiten hervorragende Leistungen zu erbringen. Hier sind Institutionen gefragt, ein unterstützendes Klima zu schaffen, das Verständnis für neurodivergente Herausforderungen zeigt und gezielte Hilfen bereitstellt. Dies kann von spezifischen Anpassungen beim Zeitplan bis zu Austauschforen für Betroffene reichen. Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von ADHS in hochqualifizierten Berufen verändert sich.
Neben den Schwierigkeiten rückt zunehmend die Anerkennung der Chancen von Menschen mit dieser Diagnose in den Fokus. Erfahrungsberichte von Wissenschaftlern wie Lis Gallant bieten einen authentischen Einblick in das Leben mit ADHS und können Vorurteile abbauen. Sie regen dazu an, das Thema differenzierter zu betrachten und individuell passende Lösungen zu suchen. Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg neurodivergenter Wissenschaftler ist die Selbstakzeptanz. Das Bewusstsein, dass ADHS nicht nur Risiken, sondern auch besondere Begabungen mit sich bringt, schafft die Grundlage dafür, Arbeitsabläufe und Alltag so zu gestalten, dass das persönliche Optimum erreicht wird.
In diesem Zusammenhang wird viel über Methoden zur Selbstorganisation und Zeitplanung gesprochen. Digitale Tools etwa können helfen, Ablenkungen zu minimieren und Projekte besser zu strukturieren. Zugleich sind Pausen und Phasen kreativer Zerstreuung wichtige Elemente, um Energie zu regenerieren. Die Verbindung zwischen Feuer und Fokus, also der emotionalen Leidenschaft und der wissenschaftlichen Genauigkeit, ist somit kein Widerspruch. Vielmehr zeigt sie eine besondere Balance, die Forscher mit ADHS immer wieder neu herstellen müssen.
Ihre Fähigkeit zur Hyperfokussierung in Verbindung mit einer oft unkonventionellen Herangehensweise ermöglicht es ihnen, Forschungslücken zu schließen und innovative Ideen voranzutreiben. Dabei können neue Blickwinkel entstehen, die traditionelle Denkweisen herausfordern und so den wissenschaftlichen Fortschritt beflügeln. Gleichzeitig müssen die emotionalen und organisatorischen Herausforderungen erkannt werden. Perioden höherer Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten bei der langfristigen Planung oder die Überforderung durch administrative Aufgaben erfordern gezielte Strategien und Unterstützung. Inklusive Arbeitsplätze, ein besseres Verständnis der neurodiversen Arbeitsweisen und offene Gespräche im Team sind unverzichtbar, um das immense Potenzial von Wissenschaftlern mit ADHS gezielt zu fördern.
Die Zukunft der Wissenschaft profitiert von Diversität in allen Facetten – kognitiv, kulturell und neurobiologisch. Wissenschaftler mit ADHS tragen durch ihren einzigartigen Zugang zur Welt und zum Wissen entscheidend dazu bei, Forschungsfragen mit frischem Blick zu betrachten. Institutionen und Kolleginnen und Kollegen, die diesen Ansatz unterstützen und entwickeln, schaffen einen wertvollen Nährboden für Innovation und Menschlichkeit im Forschungslabor. Nur durch gegenseitiges Verständnis und individuelle Freiheit kann das Zusammenspiel von Feuer und Fokus wirklich zur Entfaltung kommen und neue Horizonte für die wissenschaftliche Arbeit erschließen.