Die menschliche Faszination für das Unerklärliche hat eine jahrtausendealte Geschichte. Von alten Schriften voller mystischer Visionen bis hin zu den modernen Berichten über unerklärliche Flugobjekte (UFOs) zeigt sich ein beständiges Muster der Suche nach Sinn und Erklärung inmitten fremdartiger Erscheinungen. Insbesondere die Verbindung zwischen alten religiösen Erfahrungen und den Phänomenen der heutigen UFO-Kultur bietet einen faszinierenden Einblick in das Zusammenspiel von Kultur, Psyche und kollektiver Mythologie. Im frühen babylonischen Exil schildert die biblische Figur Ezechiel eine Vision am Ufer des Chebar-Kanals, die bis heute eindrucksvoll ist: Vier geflügelte Wesen mit jeweils vier Gesichtern erscheinen, getragen von einem feurigen Wind, während sie eine kunstvoll verzierte Streitwagenkonstruktion – die sogenannte Merkavah – ziehen. Oberhalb dieser Wesen thront Gott auf einem saphirblauen Thron und wendet sich an Ezechiel mit den Worten: „O sterblicher Mensch, steh auf, auf deine Füße, damit ich mit dir reden kann.
“ Diese bildgewaltige Szene ist nicht nur ein zentraler Bestandteil der jüdischen Mystik, sondern wurde auch späterer religiöser Meditation und religiöser Fantasie als inspiriertes Leitbild zugrunde gelegt. Die Merkavah-Mystik entwickelte sich Jahrhunderte später, wobei jüdische Mystiker – darunter auch die legendäre Figur Rabbi Akiva – versuchten, Ezechiels Vision nachzuempfinden und spirituelle Himmelsreisen zu unternehmen. Paradoxerweise wird bei diesen „Ascents“ häufig vom Hinabsteigen gesprochen, bei denen die Mystiker durch sieben konzentrische, funkelnde Paläste schreiten, die von furchteinflößenden Engeln bewacht werden, auf der Suche nach dem göttlichen Thron. Dieses mystische Erleben symbolisiert einen intensiven Kontakt zum Unbewussten, das sich jenseits gewöhnlicher Wahrnehmung befindet, und stellt zugleich eine Suche nach Ganzheit dar, die später von Psychologen wie Carl Gustav Jung als archetypische Reise interpretiert wurde. Die Parallelen zwischen diesen alten visionären Erfahrungen und den spektakulären UFO-Beobachtungen des 20.
und 21. Jahrhunderts sind verblüffend. Der berühmte Fall von Roswell im Sommer 1947, bei dem Rancher William „Mac“ Brazel auf seinem Land in New Mexico seltsames metallisches Flugobjekttrümmer entdeckte, markierte den Beginn einer tief verwurzelten amerikanischen UFO-Mythologie, die bis heute Erklärungen, Spekulationen und Verschwörungstheorien hervorruft. Der US-Militärapparat, der zunächst in einer Presseerklärung von der Bergung einer „Fliegenden Scheibe“ berichtete, korrigierte die Darstellung wenig später auf einen Wetterballon. Diese sich wandelnden Berichte und widersprüchlichen Positionen nährten das öffentliche Interesse und die Skepsis gleichermaßen.
In den folgenden Jahrzehnten wurde die Faszination für UFOs von Berichten über Sichtungen von Militär- und Zivilpersonen, geheimen Regierungsprogrammen – wie dem 2017 vom New York Times enthüllten UFO-Forschungsprojekt des Pentagon – sowie von Whistleblower-Leaks geprägt. Politische Figuren wie Marco Rubio haben geheim gehaltene Entwicklungen und Programme als „eine interne Militärmafia“ bezeichnet, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Das öffentliche Vertrauen hat damit gelitten, und Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit in den USA der Regierung Informationsvorenthaltungen unterstellt. Der Historiker der Religion David J. Halperin setzt sich in seinem Buch „Intimate Alien: The Hidden Story of the UFO“ aus dem Frühjahr 2025 mit dem Phänomen UFOs aus einer bemerkenswerten Perspektive auseinander.
Als Experte für jüdische Mystik, prophetische Visionen und jüdische religiöse Phänomene verbindet Halperin UFO-Sichtungen mit den religiösen Erfahrungen der Vergangenheit und wendet dabei psychologische Theorien, insbesondere jene von Carl Gustav Jung, an. Seine Theorie stellt eine „dritte Möglichkeit“ dar, die weder einhellige Ablehnung noch blinde Akzeptanz von UFO-Berichten bedeutet, sondern sie als Manifestationen kollektiver, kulturell geprägter Archetypen und psychischer Projektionen interpretiert, welche die Lücke zwischen beobachtetem Reiz und persönlicher Wahrnehmung füllen. Halperins eigene Biografie ist eng mit diesem Thema verwoben. Schon als Kind musste er den schmerzlichen Verlust seiner Mutter erleben und fand in der Beschäftigung mit UFOs einen Weg, das Unbekannte und das Gefühl der Fremdheit zu externalisieren. Sein früher psychosexueller und persönlicher Zugang zum UFO-Phänomen führte ihn schließlich zum Studium der Nahostsprachen und später zu einer akademischen Karriere in den Religionswissenschaften, wo er sich intensiv mit der Merkavah-Mystik und Visionen des Propheten Ezechiel auseinandersetzte.
Die Parallelen zwischen antiken visionären Erfahrungen und UFO-Begegnungen dienen Halperin als Schlüssel, um das moderne UFO-Phänomen nicht als rein physisches Ereignis zu erklären, sondern als einen Spiegel der menschlichen Psyche. Sein Roman „Journal of a UFO Investigator“ illustriert auf surreale Weise die Grenzen zwischen Realität, Traum und Mythen. Die Protagonistenerfahrung einer Alien-Entführung wird in bildstarken Szenen geschildert, die an die Körperhorrorfilme von David Cronenberg erinnern und eine düstere, albtraumhafte Atmosphäre erzeugen. Der UFO-Abstieg, der den Aufstieg in Himmelswelten umkehrt, erinnert bewusst an die Merkavah-Mystiker, die ebenfalls eher „absteigen“ auf dem Weg zu Gottes Thron. Wichtiges Element in Halperins Analyse ist die Deutung der individuellen UFO-Sichtungen als Ausdruck kollektiver psychologischer Dynamik.
Er verweist auf Carl Jungs Einschätzung, dass fliegende Untertassen symbolhafte Mandalas sind, die zeitgenössische existenzielle Ängste ins Visier nehmen. Dieses kongeniale Modell erlaubt einen ausgewogenen Umgang mit den Phänomenen, indem es den Wahrnehmungen der Zeugen Respekt zollt, ihnen aber keine objektive Existenz von Außerirdischen unterstellt. Ein exemplarischer Fall für Halperins Ansatz sind die Berichte von Barney und Betty Hill, einem afroamerikanischen und einer weißen Frau, die 1961 von einer UFO-Entführung in Neuengland berichteten. Ihre Geschichte beinhaltet ungewöhnliche körperliche Spuren und lückenhafte Erinnerungen, unter Hypnose rekonstruiert. Halperin analysiert tiefgreifend, wie persönliche Erfahrungen von Rassismus und kollektive Trauma-Erinnerungen, etwa an die durch die Sklaverei verursachten Leiden, ihre Wahrnehmung der Entführung prägten.
Für Halperin wird ihre Begegnung zur „Mythologisierung“ eines unerklärlichen Ereignisses, das ebenso eine Verarbeitung historischer und sozialer Traumata ist. Kulturelle Reflexionen finden sich auch in der Entwicklung der Darstellung der Aliens durch Barney Hill, die sich im Laufe der Befragungen veränderte und von ersten „deutsch-ähnlichen“ Figuren unter dem Einfluss seines jüdischen Hypnose-Therapeuten bis zu archetypisch dämonisierten Wesen reichte. Hier zeigt sich, wie die Wechselwirkung mit kulturellen Symbolen und persönlichen Erfahrungen das Bild des Fremden und Unbekannten formt. Die populärwissenschaftlichen Theorien von Erich von Däniken, der Ezechiels Vision als antike Begegnung mit außerirdischen Raumschiffen deutet, werden von Halperin kritisch betrachtet. Er erkennt den Reiz solcher Identifikationen, betont aber zugleich, dass solche Visionen außerhalb der bewussten Kontrolle der prophezeiende Figur entstehen und als erfahrungsbasierte, symbolische Zustände des Bewusstseins verstanden werden sollten.
Die mystische Erfahrung ist für Halperin eine Erscheinung, die noch vor allen konzeptuellen Deutungen liegt, egal ob religiös oder wissenschaftlich. Die Struktur der viergesichtigen Wesen, die als Quaternität eine archetypisch symbolische Ganzheit repräsentieren, passt zum jungianischen Verständnis kollektiver Seeleninhalte. Die Übung der Merkavah-Mystiker, die sich körperlich nach unten beugen, um den spirituellen Aufstieg zu vollziehen, findet Parallelformen etwa im Schamanismus und im hypnotischen Rückgriff von UFO-Entführten auf vergangene Zeitpunkte. Dennoch stößt Halperins Ansatz an seine Grenzen, wenn er komplexe, mehrere Zeugen umfassende Fälle wie Roswell oder das Tic Tac-UFO der USS Nimitz-Flugzeugträger untersucht. Während die psychologischen Erklärungen bei individuell geprägten Erfahrungen gut greifen, werden offizielle Dokumentationen, radardaten und Zeugenaussagen der militärischen Elite schwieriger einzuordnen.
Die Idee einer massenhaften Synchronisierung von Wahrnehmungen und gar militärischen Presseerklärungen erscheint dabei fast ebenso unwahrscheinlich wie die Existenz von Außerirdischen, doch Halperin zeigt sich offen gegenüber dem Geheimnis in der kollektiven Psyche, ohne es eindeutig aufzulösen. Abschließend zeigt sich, dass das UFO-Phänomen zugleich eine moderne Form mythologischer Erzählungen ist, in denen die Menschen ihre kollektiven Ängste, Hoffnungen und Traumata projizieren. Die Verbindung von Chariot und Saucer verweist auf einen jahrtausendealten menschlichen Umgang mit dem Fremden, das im Inneren und Äußeren wahrgenommen wird. Ob im biblischen Ezechiel, in der meditativen Merkavah-Tradition oder in den Erscheinungen amerikanischer UFO-Wissenschaft – die Suche nach dem Absoluten, dem Unbekannten und der Ganzheit bleibt eine universelle und beständige Erfahrung.