In den letzten Jahren hat das Interesse an Fragen des menschlichen Wohlbefindens und des Aufblühens erheblich zugenommen. Besonders im Zuge gesellschaftlicher Herausforderungen sehnen sich immer mehr Menschen danach, ein gutes und erfülltes Leben zu führen. Die Global Flourishing Study (GFS) ist eine wegweisende internationale Langzeitstudie, die mit über 200.000 Befragten aus 22 verschiedenen Ländern auf sechs Kontinenten das Ziel verfolgt, das Phänomen des „Flourishing“ oder Aufblühens systematisch zu erfassen, zu verstehen und das Wissen über dessen Determinanten weltweit zu erweitern. Anders als viele frühere Studien, die vor allem westliche Perspektiven auf das Wohlbefinden fokussierten, berücksichtigt die GFS kulturelle Vielfalt und liefert damit eine sowohl globale als auch differenzierte Sicht auf das seelische, soziale und materielle Aufblühen der Menschen.
Der Begriff „Flourishing“ umfasst einen breiten, multidimensionalen Ansatz zum Wohlergehen. Er beschreibt den Zustand, in dem alle wesentlichen Lebensbereiche eines Menschen als gut wahrgenommen werden – nicht nur individuell, sondern auch im Kontext der Gemeinschaft und Umwelt. In der Studie berücksichtigt man Aspekte wie Gesundheit, Glück, Sinnhaftigkeit, Charakter, zwischenmenschliche Beziehungen und finanzielle Sicherheit. Diese ganzheitliche Sichtweise macht Flourishing zu einem Visionärskonzept, das nicht nur den subjektiven Zustand, sondern auch objektive Lebensumstände mit betrachtet. Die Studie nutzt innovative Erhebungsmethoden mit qualitativen und quantitativen Instrumenten, die sorgfältig entwickelt und umfassend getestet wurden, um kulturelle Unterschiede im Frageverständnis zu berücksichtigen.
Dabei sind sämtliche Daten national repräsentativ, was Bedeutungen für Politikgestaltung und Praxis eröffnet. Ein besonderer Fokus liegt auf den retrospektiven Einschätzungen der Kindheitserfahrungen der Teilnehmenden, um den Einfluss früher Lebensumstände auf das spätere Aufblühen zu erforschen. Aus den ersten Erhebungswellen zeigt sich, dass das Niveau des Flourishing von Land zu Land stark variiert. So schneiden Länder wie Indonesien, Mexiko und die Philippinen besonders gut ab, während Japan und die Türkei eher niedrigere Werte aufweisen. Diese Unterschiede spiegeln nicht nur kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontexte, sondern auch die Bedeutung verschiedener Wohlfühlaspekte wider.
Beispielsweise sind Länder mit höherem Bruttoinlandsprodukt nicht zwangsläufig auch Spitzenreiter in Bezug auf Sinnstiftung oder zwischenmenschliche Beziehungen. Die Ergebnisse offenbaren zudem bedeutende Zusammenhänge zwischen demographischen Faktoren und dem Ausmaß des Flourishing. Mit zunehmendem Alter steigt generell das Wohlbefinden, wobei Männer und Frauen sich insgesamt ähnlich entwickeln. Gleichwohl zeigen sich Unterschiede zwischen Menschen in verschiedenen Beziehungs- und Beschäftigungsstatus: Verheiratete Personen beispielsweise berichten deutlich höheres Lebensglück als getrennt Lebende oder Alleinstehende. Auch regelmäßige Teilnahme an religiösen Gottesdiensten korreliert stark mit einem höheren Aufblühen, was neben der spirituellen Dimension vermutlich auch Gemeinschafts- und Sinnaspekte widerspiegelt.
Ebenso eindrucksvoll sind die Analysen zu Kindheitserfahrungen, die den Rahmen einer nachhaltigen Förderung des Flourishing setzen. Gute Beziehungen zu Mutter und Vater in der Kindheit und ein stabiles finanzielles Umfeld wirken sich langfristig positiv auf das Leben im Erwachsenenalter aus. Im Gegensatz dazu beeinträchtigen belastende Erfahrungen wie Missbrauch oder das Gefühl, in der Familie ein Außenseiter zu sein, das Wohlbefinden deutlich. Allerdings zeigt die Studie auch komplexe Zusammenhänge, bei denen wirksame Resilienz und Entwicklungseffekte aus widrigen Lebensumständen nicht ausgeschlossen sind – etwa wenn schwierige Kindheitssituationen manche Erwachsenen zu mehr ehrenamtlichem Engagement bewegen. Ein überraschendes und gleichermaßen bedeutendes Resultat betrifft die Rolle der Religion und Spiritualität.
Der regelmäßige Gottesdienstbesuch und eine religiöse Bindung sind nicht nur in westlichen Ländern, sondern global betrachtet einer der stärksten Faktoren für ein höheres Aufblühen. Diese Erkenntnis schlägt eine Brücke zwischen materiellen und spirituellen Dimensionen des Wohlbefindens und regt dazu an, spirituelle Ressourcen als wichtige Ressource in der gesellschaftlichen Gesundheitsförderung stärker zu berücksichtigen. Die GFS weist auch auf die kritische Lage der jüngeren Generationen hin. Im Gegensatz zu früheren Annahmen, dass das Wohlbefinden über das Leben meist ein U-förmiges Muster beschreibt, präsentieren sich jüngere Menschen heute oft mit vergleichsweise niedrigerem Wohlbefinden – ein besorgniserregender Trend, der insbesondere im Zusammenhang mit psychischen Herausforderungen moderate Aufmerksamkeit erfordert. Hierzu besteht noch Forschungsbedarf, vor allem hinsichtlich der Frage, ob es sich um zeitlich begrenzte Kohrt-Effekte handelt oder tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, die junge Generationen besonders belasten.
Die weitreichenden Erkenntnisse der Global Flourishing Study bieten nicht nur eine umfassende Grundlagenerkenntnis über die Verteilung und Ursachen menschlichen Aufblühens, sondern liefern auch eine wichtige Basis für die konzeptionelle Weiterentwicklung von Interventionen und sozialpolitischen Strategien. Die multidimensionalen Daten geben Aufschluss darüber, welche demografischen Gruppen besonders unterstützungsbedürftig sind und welche Lebensumstände am stärksten mit positiven Entwicklungen korrelieren. Jedoch weist die Studie auch Grenzen auf. So sind viele der Erhebungen auf Selbstauskünfte und retrospektive Berichte angewiesen, was mögliche Verzerrungen durch Erinnerung oder subjektive Wahrnehmung einschließt. Zudem ist die Auswahl der Länder zwar global breit gefächert, umfasst jedoch keine Länder mit niedrigem Einkommen, was eine vollständige weltweite Repräsentation einschränkt.
Unterschiede in sprachlicher Interpretation oder kulturellen Kontexten stellen weitere Herausforderungen der Datenvergleichbarkeit dar. Dennoch bleibt die GFS aktuell die umfangreichste und methodisch durchdachteste Studie zum globalen Wohlergehen auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene. Ausblick und Bedeutung der Studie für Gesellschaft und Wissenschaft sind immens. Die GFS sensibilisiert für die Komplexität von Wohlbefinden und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen des Aufblühens. Für Politik und Praxis bedeutet das, dass eine Förderung des menschlichen Wohlergehens einen ganzheitlichen, kulturübergreifenden Ansatz erfordert, der individueller Lebenslagen ebenso gerecht wird wie gesellschaftlichen und spirituellen Dimensionen.
Darüber hinaus zeigt die GFS, dass Lebenserfahrungen insbesondere aus der Kindheit maßgebliche Prädiktoren für späteres Wohlergehen sind. Daraus lassen sich konkrete Handlungsfelder ableiten, um schon frühzeitig fördernde Bedingungen zu schaffen und negate Einflüsse zu reduzieren. Solche Strategien tragen zur nachhaltigen Stärkung der Lebensqualität ganzer Gesellschaften bei. Zukünftige Erhebungswellen der GFS werden vermutlich weitere vertiefte Erkenntnisse zu zeitlichen Mustern, innerstaatlichen Unterschieden und den Wirkungen von Interventionen ermöglichen. Die offene Zugänglichkeit der Daten an die Forschungscommunity fördert zudem eine breite und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Thema Flourishing.
Insgesamt markiert die Global Flourishing Study einen bedeutenden Fortschritt in der Erforschung des menschlichen Wohlbefindens und eröffnet neue Perspektiven für die Gestaltung einer Gesellschaft, in der Menschen nicht nur überleben, sondern wirklich aufblühen können.