Die faszinierende Welt unter Wasser birgt eine enorme Vielfalt an Leben und Ökosystemen, die für das bloße Auge jedoch oft schwer zugänglich ist. Eine entscheidende Herausforderung bei der Aufnahme von Bildern in dieser Umgebung ist die optische Verzerrung, die das Wasser selbst verursacht. Licht wird auf dem Weg durch das Wasser gebrochen, gestreut und gefiltert, sodass Farben verblassen und Objekte oft in einem nebligen Blau erscheinen. Diese Eigenschaft erschwert es Wissenschaftlern, Tauchern und Unterwasserrobotern, die tatsächlichen Farben und Details von Meerestieren, Pflanzen oder natürlichen Strukturen genau zu erkennen und zu dokumentieren. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Zusammenarbeit mit dem Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) haben nun eine innovative Bildanalyse-Technologie entwickelt, die diese Problematik löst.
Sie nennen ihr System SeaSplat – eine Technologie, die den Einfluss des Wassers auf Unterwasserfotos eliminiert und die echten Farben der Unterwasserwelt sichtbar macht. SeaSplat verwendet ein komplexes Modell, das die optischen Effekte von Wasser, wie Streulicht (Backscatter) und Lichtabschwächung (Attenuation), erkennt und reversiert. Dies ermöglicht die Rekonstruktion realistischer und farbgetreuer Unterwasserbilder. Das Resultat sind anschauliche dreidimensionale Darstellungen, die eine virtuelle Erkundung der Szenen ermöglichen, als würde man selbst durch die Meere tauchen. Licht verhält sich unter Wasser wesentlich anders als an Land.
Besonders auf Farben wie Rot wirkt sich dies stark aus, da diese Wellenlänge schnell absorbiert wird und nur in unmittelbarer Nähe erkennbar bleibt. Hierdurch verändern sich Farben je nach Betrachtungswinkel und Entfernung zu einem Objekt drastisch. Darüber hinaus erzeugen Partikel im Wasser ein diffuses „Nebel“-Phänomen durch das reflektierte Licht, das als Backscatter bezeichnet wird. Diese optischen Einflüsse hatten bisher 3D-Bildgebungsverfahren an Unterwasseraufnahmen stark behindert, da die Zusammensetzung verschiedener Perspektiven zu uneinheitlichen und verzerrten Darstellungen führte. SeaSplat kombiniert einen physikalisch fundierten Bildentstehungs-Algorithmus mit einer sogenannten 3D Gaussian Splatting-Technik.
Diese Methode verbindet jeweils einzelne Bilder zu einem konsistenten, realitätsnahen dreidimensionalen Modell der Unterwasserwelt. Dabei werden die Störfaktoren des Wassers aus den Aufnahmen herausgerechnet, sodass sie nicht mehr die Farben beeinträchtigen. Der Anwender erhält eine virtuelle Szenerie mit echten, lebendigen Farben, die sich aus verschiedenen Winkeln betrachten lässt. Eine faszinierende Anwendung der Technologie ist die Untersuchung von Korallenriffen und anderen empfindlichen Meeresökosystemen. Korallenbleiche beispielsweise wird durch Farbveränderung sichtbar, die im unverfälschten Bild als weißer Bereich erkennbar ist, jedoch in herkömmlichen Unterwasseraufnahmen oft blau und verschwommen erscheint.
SeaSplat macht diese Gesundheitszeichen der Korallen zuverlässig sichtbar, was eine genauere Überwachung und zeitnahe Schutzmaßnahmen erleichtert. Das System wurde erfolgreich mit Bildern von verschiedenen Meeresregionen getestet, darunter anhand von Aufnahmen aus der Karibik bei Curaçao, im Roten Meer und im Pazifik vor Panama. Neben Fotos von Tauchern kamen auch Bilddaten von autonomen Unterwasserrobotern zum Einsatz. Dadurch konnten detailgetreue dreidimensionale Modelle erschaffen werden, die zum Teil virtuell begehbar sind. Wissenschaftler können dadurch mit hoher Präzision Veränderungen in Lebensräumen dokumentieren, Meeresbiologie erforschen und die Biodiversität überwachen.
Neben dem wissenschaftlichen Nutzen bietet SeaSplat auch Potenzial im Bereich der Unterwasserrobotik und autonomen Fahrzeugen. Insbesondere bei ROVs (Remotely Operated Vehicles) und AUVs (Autonomous Underwater Vehicles), die für Meereserkundungen eingesetzt werden, kann die Technik helfen, die aufgenommenen Bilddaten in Echtzeit farbkorrigiert und dreidimensional darzustellen. Aktuell erfordert die Verarbeitung aufwendige Rechenressourcen, weshalb der Betrieb noch an Land oder auf Forschungsschiffen stattfindet. Zukünftige Entwicklungen im Hardware-Bereich könnten jedoch auch den Einsatz direkt an Bord ermöglichen, was die Einsatzfähigkeit und Mobilität solcher Systeme enorm erhöhen würde. Gegenüber bisherigen Methoden wie Sea-Thru zeichnet sich SeaSplat durch seine Schnelligkeit bei der Erstellung und Wiedergabe von realitätsgetreuen 3D-Unterwasserszenen aus.
Während andere Verfahren oft enormen Rechenaufwand benötigen und dadurch die Anwendung auf große Bildserien erschwert wird, ermöglicht SeaSplat eine vergleichsweise effiziente Analyse und Visualisierung. Der Name SeaSplat spielt auf den Ursprung des Verfahrens an: die „3D Gaussian Splatting“ Technik, die für eine übersichtliche Verknüpfung von Bildern sorgt, sowie die Anwendung im Meer (Sea). Mit der Entwicklung von SeaSplat wird künftig eine neue Ära der Unterwasserfeaturierung möglich. Für so unterschiedliche Bereiche wie den Naturschutz, die Meeresbiologie, die maritime Archäologie und sogar für den kommerziellen Tourismus können realitätsgetreue und besser verständliche Unterwasserbilder einen enormen Mehrwert bieten. Diese Technik hilft dabei, die Tiefsee nicht nur wissenschaftlich besser zu erfassen, sondern auch für die Öffentlichkeit verständlicher und eindrucksvoller zugänglich zu machen.
Sie macht einen virtuellen Tauchgang in bunte, lebendige und naturgetreue Unterwasserwelten möglich – ohne die Herausforderungen, die das Wasser für Lichtwellen darstellt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass SeaSplat eine innovative und technisch anspruchsvolle Lösung bietet, um das große Problem der Farbverfälschungen in der Unterwasserfotografie zu überwinden. Durch die Kombination von physikalisch basierter Bildkorrektur und fortschrittlichen 3D-Visualisierungsmethoden sorgt diese Technologie dafür, dass Wissenschaftler und Taucher die Meereswelt in ihrer wahren Schönheit und Farbenpracht erleben und erforschen können. Damit könnte SeaSplat die Meeresforschung grundlegend verändern und neue Perspektiven für den Schutz und die Dokumentation der Unterwasserumgebung eröffnen. Die Möglichkeiten der digitalen Unterwassererfassung mit SeaSplat stehen dabei noch am Anfang.
Perspektivisch könnten weiter optimierte Rechenmodelle, verbesserte Algorithmen und leistungsstärkere Rechner an Bord von Robotern die Nutzung solcher Verfahren im Feld erheblich vereinfachen. Dies verspricht einen Schub für die Marineforschung, den Erhalt maritimer Lebensräume und das Verständnis der komplexen Beziehungen in den Ozeanen unserer Erde. SeaSplat verbindet damit modernste Technologien aus Computer Vision, Robotik, Photometrie und Meereswissenschaft zu einem leistungsfähigen Werkzeug – zur Darstellung einer Welt, die bisher oft im trüben Licht verborgen lag.